von Johannes Staemmler
Der Plagiatsfall zu Guttenberg zeigt nicht nur die beschleunigte Wahrheitsfindung mit Hilfe des Internets sondern auch, wie fragil Vertrauen im demokratischen System ist. Eine missratene wissenschaftliche Qualifizierungsarbeit aus dem Füller eines Ministers schadet der Demokratie.
Der Vorwurf der unlauteren Verwendung fremden geistigen Eigentums durch den Promovenden zu Guttenberg ist seit dem 16. Februar 2011 öffentlich. Innerhalb von wenigen Tagen haben Hunderte mit Hilfe des Internets unzählige nicht zitierte Textteile gefunden und im Guttenplag Wiki zusammengetragen. Ein punktuelles Versehen beim Verfassen der Dissertation kann ausgeschlossen werden. Die Offenlegung der Wahrheit ist weitestgehend durch Bürger geschehen und das Internet war das probate Mittel (siehe dazu ausführlich Shirky 2009).
Eine ähnliche Kraft entwickelten die aktiven Netznutzer durch das vielfache und vehemente Kommentieren des Radiobeitrags von Bundespräsident Köhler 2010, der sich zum Einsatz deutscher Soldaten auf Handelsrouten geäußert hatte. Die Herstellung von Öffentlichkeit nahm auch hier ihren Ursprung in der dezentral organisierten aber wachen Netzwelt. Sie war der Anlass eines unvorhersehbaren Rücktritts.
Innerhalb weniger Tage musste nun der Bundesminister seine Aussage korrigieren, ihm sei ein einzelner Irrtum beim Verfassen seiner Dissertation unterlaufen. Er ist bereit, seinen Titel zurückzugeben. Profis aller Couleur machen diesen strategisch-kommunikativen Fehler, Verfehlungen erst dann zugeben, wenn sie längst öffentlich sind. Die Universität Bayreuth, die selbst einen erheblichen Reputationsschaden erlitten hat, wird über die rechtlichen Konsequenzen befinden müssen. Über die politischen wird weiter debattiert.
In den ersten Affairentagen wurde angenommen, dass die Fehler des Ministers ausgiebig ausgebreitet werden würden in der Hoffnung, den adligen Hoffnungsträger auf mediales und moralisches Normalmaß einzudampfen. Dies ist aber nur im Rahmen von Pressebeiträgen und Debatten unter Wissenschaftlern der Fall gewesen, deren Glaubwürdigkeit auch zur Debatte steht. Der per Umfrage ermittelte Zuspruch zum Minister durch die Bürger ist ungebrochen hoch.
Vielmehr scheint ein anti-elitärer Reflex Minister zu Guttenbergs politisches Leben zu verlängern. Wie Max Steinbeis auf carta.info richtig analysiert, reagiert eine nicht unerhebliche Anzahl von Bürgern mit Sympathiebekundungen für den Minister, die seinen Kritikern vorwerfen aus niederen (also rein akademischen und publizistischen) Beweggründen gegen ihn zu hetzen. Einem athenischen Marktplatz ähnelnd wird bei Facebook das Stimmwirrwarr strukturiert und die breite Unterstützerscharr sichtbar. Die sozialen Medien dienen auch denen, die um die politische Zukunft des Bundesministers bangen.
Der medial und kommunikativ erfahrene Bundesminister zu Guttenberg läuft Gefahr, auf einer populären Welle über eine persönliche Krise zu reiten, die in Wirklichkeit das gesamte politische System betrifft. Das Vertrauen in die demokratischen Institutionen steht zur Debatte. Charismatische Führung kann und darf Integrität nicht aufwiegen. Auch wenn die öffentliche Meinung es anders bewertet, schadet Herr zu Guttenberg dem gesamten demokratischen System durch seine weitere Anwesenheit als Minister. Das Vertrauen in die politischen Institutionen samt ihrem Personal ist ein prekäres Gut, auf welches die Demokratie nicht verzichten kann. Nur dem politischen Personal zu vertrauen und die Institutionen zu vernachlässigen wäre fatal. Demokratie zehrt von institutionellem Vertrauen und der Aufrichtigkeit der Mehrzahl ihrer Bürger, die sie aber selbst nicht erzwingen kann (vgl. Böckenförde 1976). Dafür kann sie ein Minister leicht zerstören, der zwar charismatisch aber nicht integer ist.
Quellen:
Böckenförde, Ernst-Wolfgang (1976) Staat, Gesellschaft, Freiheit. Frankfurt.
Shirky, Clay (2009) Here Comes Everbody. Penguin Books.
Der Autor:
Johannes Staemmler, MPP, promoviert im Rahmen eines Fellowships der Hertie School of Governance und IFOK zum Thema „Zivilgesellschaft in strukturschwachen Regionen“. Er studierte Internationale Beziehungen an der Technischen Universität Dresden und Public Policy an der Hertie School of Governance. Seine Schwerpunkte sind bürgerschaftliches Engagement, politische Theorie, Regionalentwicklung sowie politische Kommunikation.