Die Affäre des Bundespräsidenten findet kein Ende. Im Moment hat sich die Auseinandersetzung darauf verlagert, was genau Christian Wulff in seinem Mailbox-Anruf bei Bild-Chefredakteur Kai Diekmann verlangt hat: den Bericht über seine umstrittene Eigenheimfinanzierung ganz zu stoppen, wie es Bild darstellt, oder ihn nur um einen Tag zu verschieben, wie es Wulff in seinem Fernsehinterview am Mittwochabend behauptet hat und wie es nun angeblich ARD-Recherchen erhärten.
Vieles spricht allerdings weiterhin für die Version der Bild-Zeitung: Warum sollte das Blatt in diesem Fall lügen? Denn wenn Bild den Wortlaut von Wulffs Mailbox-Nachricht veröffentlichen will – wie von Wulff erbeten und von diesem abgelehnt –, würde sie sich ja selber ohne Not der Unwahrheit überführen.
Warum also verweigert Wulff die Freigabe? Die Bürger könnte sich dann selber ein Bild machen. So steht weiter Aussage gegen Aussage: das Wort von Deutschlands größter Boulevardzeitung gegen das des Präsidenten – schlimm genug! Denn sein politisches Schicksal hängt nun womöglich davon ab, ob sich Bild an die Zusage hält, den Wortlaut oder das Tondokument selbst nicht zu veröffentlichen, weil Wulff es abgelehnt hat.
Nach aller Erfahrung wird die Mailbox-Abschrift und damit die Wahrheit in nicht ferner Zukunft aber sowieso ans Tageslicht kommen. Denn der Text kursiert schon seit Wochen unter Journalisten auch anderer Medien – eben offenbar auch der ARD.
In jedem Fall zeigt Wulffs Weigerung, dass er es mit der versprochenen und gar als richtungsweisend angepriesenen Transparenz offenkundig doch nicht so ernst meint.
Im Sinne der Aufklärung der Öffentlichkeit sollte es sich die Bild-Redaktion deshalb überlegen, ob sie den Wortlaut nicht trotzdem publik macht. Denn der Präsident hat es in seinem ebenfalls veröffentlichten Antwortschreiben ja nicht ausdrücklich untersagt. Man kann es jedenfalls so lesen, dass er lediglich seinem dringenden Wunsch ausgedrückt hat, dass seine hinterlassenen Äußerungen nach seiner Entschuldigung unter Verschluss bleiben sollten.
Selbst aber wenn Wulff tatsächlich nur um eine Verschiebung des Berichts gebeten haben sollte: Die Art und Weise seines Anrufs und die von ihm ja nicht dementierte Wortwahl („Krieg“, „endgültiger Bruch“) zeugen in keinem Fall von einem Umgang mit der Presse, die man ihn sich von einem Politiker wünscht. Weder von einem Ministerpräsidenten noch erst recht vom Bundespräsidenten. Selbst wenn der sich noch als Präsidentenlehrling sieht.
Einzigartig ist auch, dass sich ein deutsches Staatsoberhaupt mit einer Boulevardzeitung öffentlich und für jeden im Internet verfolgbar über solche Fragen kabbelt. Allein das belegt, dass er belastet bleibt und nicht frei ist, sich seinem eigentlichen Amt zu widmen.
Dazu gehört auch, dass die BW-Bank der Darstellung Wulffs zu den Modalitäten seines neuen, langfristigen Eigenheimkredits in einem Punkt widersprochen hat.
Fazit: Es bleiben erhebliche Zweifel an Wulffs Glaubwürdigkeit. Nur wenn er die zurückerlangt, kann er jedoch – wie er selber am Mittwoch gesagt hat – darauf hoffen, eine zweite, letzte Chance zu bekommen. So aber bleibt er ein Bundespräsident mit Gnadenfrist.