Das Fahrwasser ist aktuell noch ziemlich ruhig – vor allem wählerseitig ist der Wahlkampf noch vergleichsweise weit weg. „Die Ferien, nicht die Wahlen sind wichtig“, könnte man sagen. Online-Umfragen im Vorfeld der Europawahl haben gezeigt, dass bislang kaum eine Politisierung der Wählerschaft zu beobachten ist. Nur jeder fünfte Wähler hat sich demnach für den Europawahlkampf interessiert. Auch seit dem lassen sich keine Anzeichen zunehmender Politisierung finden.
Aber: Das ist eher die Ruhe vor dem Sturm: Die Parteien (und auch die Wähler) rollen sich erst langsam warm – ganz wie bei einer Flachetappe der Tour de France (die Europawahl wäre demnach etwa ein eher müder Zwischensprint oder aber eine Bergwertung der Kategorie 4 gewesen). Die Musik spielt dabei am Ende – und so wird es auch dieses Mal sein: In der gleichen Umfragen vor der Europawahl sagen rund zwei Drittel der Befragten, dass der Ausgang der Bundestagswahl für Sie wichtig ist. Ein Politisierungspotenzial ist eindeutig vorhanden.
Dass moderne Wahlkämpfe erst spät in Fahrt kommt (und auch immer Wähler sich erst spät entscheiden), zeigt auch ein Blick zurück auf die Wahl 2005. Erst mit dem TV-Duell zwei Wochen vor der Wahl hat die SPD ihren Wahlkampf (und ihre Attacken v.a. auf Kirchhof) massiv intensiviert – und damit ist es ihr gelungen, eigene Anhänger zu mobilisieren und ihre Aufholjagd zu beschleunigen. Umfragen aus dem damaligen Wahlkampf zeigen, dass die Wähler – nach eigenen Angaben – sich spät entschieden haben: Jeder zehnte Wähler hat sich erst am Wahltag selbst entschieden; insgesamt ein Viertel der Wähler in den Tagen vor der Wahl (einschließlich des Wahltags). Die Aufholjagd der SPD ebenso wie das überraschend starke Abschneiden der FDP, das waren beides Ergebnisse sehr später Bewegungen.
Allerdings ist die Situation für die Regierungsparteien – und hier insbesondere für die SPD, die aktuell sicherlich noch den größten Mobilisierungs- und Überzeugungsbedarf hat – schwieriger als 2005: Es ist ein schmaler Grat zwischen Mobilisierung und Kabinettsdisziplin, Wahlkampf und Regierungskooperation. Die Politisierung von Themen fällt ihr bislang schwer und man darf gespannt sein, wie sich die SPD hier thematisch und personell in den kommenden Wochen aufstellt, um diesen Balanceakt zu meistern. Je näher der Wahltag aber rückt, umso legitimer wird es, Wahlkampf zu führen. Das Unbehagen, das auf allen Seiten – Parteien, Medien, Wählern – sowohl im Kontext von Arcandor als auch jetzt im Zuge von Krümmel noch zu beobachten ist, wird dann nachlassen. Der Wahlkampf wird in Schwung kommen – und die Wähler werden bereit sein.