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Die Minister in spe gehen

Westerwelle verlaesst die Party. Um ihn herum: mindestens vier Bodyguards und zwei Assistenten. Hermann Otto Solms geht auch, in die andere Richtung, allein. Die Basis bleibt, feiert, und freut sich ueber das Ende von elf Jahren Opposition..

 

Warten auf Westerwelle

Die Parteielite der FDP laesst auf sich warten. Sie hat im Praesidium, ein paar Strassenbloecke entfernt, das Ergebnis erfahren und beratschlagt. Die Basis frohlockt schon mal: 4 oder 5 Minister soll Guido nun fordern, heisst es.

 

Gelbe Vorfreude

Weisswein, Rotwein, Sekt und eine Schnapsbar. Feierlaune schon jetzt auf der FDP-Party in Berlin-Mitte. Die Jungliberalen tragen T-shirts mit dem denglischen Spruch: Make love, not Steuererklaerung (ms)

 

Frühaufsteher Westerwelle

Der FDP-Chef war heute Morgen einer der ersten Wähler. Während die Kanzlerin vermutlich noch frühstückte – ganz gemütlich machte sie ihr Kreuz erst um 13 Uhr in der Humboldt-Uni –,  besuchte Guido Westerwelle bereits sein Wahllokal in seiner Heimatstadt Bonn. Ob ihm der Gedanke an die erste Hochrechnung den Schlaf geraubt hat? Womöglich. Hinzu kommt, dass er heute noch rechtzeitig nach Berlin kommen muss. Der Flieger startete bereits. Die FDP-Party findet wegen großen Andrangs erstmals nicht in der Parteizentrale statt, sondern in den Römischen Höfen, einem Prachtbau in Berlin-Mitte. Westerwelle ist sich sicher: Die „letzten Stunden der Opposition“ seien nun für die FDP angebrochen, sagte er auf einer Abschlusskundgebung in Köln.

 

Steini, der Sexgott, und Westerwelle, der Kanzler

Von Tina Groll

Manche nennen es Wahlkampf für die Twitter-Generation, das ist dann elitär gemeint. Andere finden es total „obamaesk“, was wohl Spitze heißt: Lustige Politspots, Wahlkampfsongs oder Animationen im Netz. Geeignet, um sich den Sonntagnachmittag bis zur ersten Hochrechnung zu vertreiben, sind die kurzweiligen Clips jedenfalls.

Wer hätte gedacht, dass Steinmeier junge Frauen schlaflose Nächte bereitet? Das zumindest behauptet das dralle Steini-Girl – eine angeblich 22-jährige Jura-Studentin, die in ihrem Liebeslied den SPD-Kandidaten anschmachtet und ihm zu ihrem liebsten „Toy-Boy“ erklärt. Endlich mal etwas Erotik für den sonst so drögen Wahlkampf. Hinter dem sexy Clip stecken jedoch nicht die Sozialdemokraten, sondern das Videoportal Sevenload. Für die Sängerin, die sich mit knappen Höschen an einem Steinmeier-Pappaufsteller räkelt, hat sich das Video schon vor der Wahl gelohnt. Sie ist im Netz zu einiger Bekanntheit gekommen, und auch von einem Plattenvertrag soll bereits die Rede sein. Die SPD dagegen ist über das laszive Video not amused und befürchtet, dass das Video ältere Wähler vergraulen könnte.

Vielleicht täte etwas Gelassenheit gut? Immerhin ist die Idee aus den USA geklaut. Dort unterstützte die Sängerin Amber Lee Ettinger mit Videos in ähnlicher Aufmachung Barack Obama bei der Präsidentschaftswahl. Der Clip soll Obama geholfen haben. Anders als das Liebeslied vom Steini-Girl war ihr Song „Crush on Obama“ jedoch kein Werbefake.

Kein Fake, dafür aber ein gelungener Loriot-Remake ist dagegen der Clip „Szenen einer Ehe“ von den Grünen. Zu sehen sind Guido Westerwelle und Angela Merkel als Loriot-Figuren – jedoch im Rollentausch. Während Guido die Hausfrau in der Küche mimt und Angela zum Regieren animieren möchte, sitzt die Kanzlerin relaxt im Sessel. „Ich möchte einfach nur hier sitzen.“

Sich selbst aufs Korn nehmen dagegen die Jungen Liberalen in ihrem Clip „Die reine Wahrheit“. Der Spot zeigt eine Reihe stolzer Nachwuchsliberaler: „Wir fordern marktgläubig als religiöse Ansicht bei Facebook einzuführen“, sagen sie. Oder: „Wir bügeln unsere Jeans – und unsere Hemden, die wir immer in die Hose stecken sowieso.“ Leider fällt das Video zum Ende durch ernsthafte Forderungen etwas ab.

Was passieren kann, wenn man sein Kreuzchen für die FDP macht, zeigt ein personalisierbarer Spot der IG Metall. Mit nur einer einzigen Stimme zieht Guido Westerwelle ins Bundeskanzleramt ein – behauptet jedenfalls der freundliche Nachrichtensprecher in dem fiktiven Programm Nachrichten-TV24.de. Demnach war ein einziger Nichtwähler für den Sieg Westerwelles entscheidend – auf den sich die geballte Wut der Nation in den Tagen nach der Wahl richtet.

Der Spot ist zwar lustig, inhaltlich jedoch etwas widersprüchlich. Zum einen wird behauptet, alle Bürger seien wählen gegangen, zum anderen wird dem Nicht-Wähler vorgehalten, er habe durch seine Passivität über den Ausgang des Urnengangs entschieden. Aber immerhin: Das Video kann mit den Namen von Freunden versehen und weitergeleitet werden – auf die Mobilisierung kommt es der IG Metall wohl vor allem an.

Mobilisiert hat auch der Song „Wähl auch Du, CDU im Jahr 1972. Hach, herrlich. Damals war der schmissige Gassenhauer das offizielle Wahlkampflied. Nicht nur die eingängige Melodie zeichnet das Lied als Ohrwurm aus – auch in seiner sprachlichen Klarheit überzeugt das Lied: „Wähl auch Du, CDU. Ich weiß längst schon, was ich tu. Was denn sonst? CDU!“

Und wenn das sehr viele Wähler tun werden, gibt es am Sonntag noch einen Song zum Mitgrölen: Lady Kanzler mit dem Hit „Pokerface.

 

Clement will gelb wählen

Ach, Wolle. Andrea Ypsilanti in Hessen hat er schon zur Weißglut getrieben. Damals konnte man das verstehen: Dass der ehemalige Superminister seine Probleme mit Ypsilanti hatte, geschenkt! Ersterer verstand sich jahrelang als Wirtschaftsweiser der SPD; die andere inszenierte sich als die neue Rosa Luxemburg. Das konnte nicht gut gehen. Deshalb sprach Wolfgang Clement, inzwischen Energie-Lobbyist und Ex-Genosse, kurz vor Ypsilantis erster Wahl jegliche Regierungstauglichkeit ab.

Nun aber fällt er Steinmeier in den Rücken. Das verwundert schon, schließlich saßen die beiden zusammen am Kabinettstisch, fühlten sich demselben Parteiflügel zugehörig. In einer Anzeige im Bonner „General-Anzeiger“ ruft Clement zur Wahl von FDP-Chef Guido Westerwelle auf. Deutschland müsse „wieder ein Land des Fortschritts“ werden, in dem „verantwortete Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Entwicklung uneingeschränkt gewährleistet“ werde, soweit Clement.

Immerhin reagierte Steinmeier anders als weiland Ypsilanti, die leidenschaftlich über Clement schimpfte. Von den Genossen gab es heute keine offizielle Reaktion. Dafür feixt die FDP, zum Beispiel in ihrem Twitter-Channel.

 

Inside SPD

Er hätte der deutsche Obama werden können, heraus kam doch nur der Frank-Walter aus Ostwestfalen. Das, zusammengefasst, ist die zentrale Botschaft eines lästerlichen Insider-Berichts, den heute das Wochenmagazin Der Freitag veröffentlicht. Auf vollen vier Seiten wird hier unter der Überschrift „No we can’t“ über den Wahlkampf der SPD hergezogen. Der Wahlkampfchef, Kajo Wasserhövel, sei herrisch und zugleich planlos, die SPD habe das Web 2.0 nicht verstanden – und die alte, analoge Presse habe im Brandt-Haus sowieso keiner im Griff.

Die SPD-Strategen waren nervös, als sie von der Freitag-Geschichte erfuhren. Nestbeschmutzer und Geheimnissausplauderer wünscht sich kein Wahlkämpfer. Medienvertreter wurden sanft davor gewarnt, die Geschichte aufzugreifen, da sie etliche Fehler enthielte – und der/die mutmaßliche Insider/in ohnehin, schon als er/sie noch Mitarbeiter/in war, viele aufgehalten und genervt hat.

Letztlich war die Aufregung umsonst. Viele druckten sich den Artikel heute neugierig aus, kaum einer las ihn bis zum Ende. Er ist furchtbar langatmig und auch nicht wirklich bissig, eher selbstgerecht.

 

Demoskop legt sich fest

SPD-Bashing, die dritte. Matthias Jung, Chef der Forschungsgruppe Wahlen hat sich festgelegt. Er erwarte „ein Fiasko“ für die SPD. Er rechne fest mit einer „knappen, aber sicheren Mehrheit“ für Schwarz-Gelb. Das melden heute auf der Titelseite unsere Freunde vom Tagesspiegel.

Wir von ZEIT ONLINE haben uns heute früh zurückgehalten. Zum einen, weil wir uns ein wenig nostalgisch an die Tradition erinnert haben, dass Umfragen kurz vor Wahlen eben zurückgehalten werden. Zum anderen: Wer hat denn in der jüngeren Wahlgeschichte größere Fiaskos erlebt? Die SPD oder die Demoskopen? Eben!

 

Merkel wählt in der Mensa

Und zwar im Wahllokal 01228 in der Dorotheenstr. 19-21. Wenn das Medieninteresse die Kapazität des Wahllokales überschreitet, wovon auszugehen ist, erfolgt durch das Bundespresseamt „eine Zugangsbeschränkung“, um „den ordnungsgemäßen Ablauf der Wahl sicherzustellen“. So teilte eben jenes Amt heute mit. Merkel wird gegen 13 Uhr zur Stimmabgabe erwartet.

Gut, besonders spannend ist das nicht. Aber dennoch fast das Aufregendste, was heute von der Union zu hören ist. CDU und CSU neigen zwar das ganz Jahr über zum Streit, ausgerechnet vor Wahlen allerdings, sind die bürgerlichen Parteien ziemlich diszipliniert. Sie warten mit der Selbstzerfleischung, bis das Ergebnis feststeht.

 

Wahl-Betrüger

Wahlen ziehen Gauner an. Immer schon und überall. Wir denken an Hamburg, an Dachau, an Teheran, an Ost-Berlin. Von heute an muss man auch das niedersächsische Hildesheim denken. Hier treibt derzeit ein Telefonstreichspieler sei Unwesen. Er klingelte arglose Hildesheimer an, um ihnen mitzuteilen, dass ihre Wahlbenachrichtigungskarte ungültig sei. Eine neue Karte könne nicht mehr rechtzeitig beantragt werden, daher solle man besser von Vornherein zu Hause bleiben.

Die Stadt, not amused, wies umgehend darauf hin, dass diese „Wählertäuschung“ eine Straftat darstelle, die mit einer Haftstrafe bis zu zwei Jahren geahndet werde. Alle Bürger, die ähnliche Anrufe erhalten, werden gebeten, sich an die Polizei zu wenden.

Die Entwarnung folgte kurze Zeit darauf: Der Anrufer entpuppte sich als ein Radiomoderator. Das ganze war eine Aktion des  ffn-Crazy-Phones, wie die Oberstaatsanwaltschaft inzwischen bestätigte. Gegen den Moderator wurde ein Ermittlungsverfahren wegen Anfangsverdachts der „Wählertäuschung“ eingeleitet.