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Zuversicht in der Krise

Nach einer aktuellen Umfrage der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) glauben derzeit rund 71 Prozent der Deutschen nicht, dass sich ihr sozialer Status durch die Finanz- und Wirtschaftskrise verändern wird. Aber Zuversicht scheint keine Nachricht wert. Im Bericht der „Welt am Sonntag“, in deren Auftrag die GfK-Befragung durchgeführt wurde, wird stattdessen hervorgehoben, dass zurzeit 28 Prozent der Deutschen ihre Schichtzugehörigkeit durch die Finanz- und Wirtschaftskrise gefährdet sehen. Der Titel der Presseinformation der GfK lautet noch: „Mehrheit der Deutschen fürchtet keinen sozialen Abstieg“. Bei „Welt online“ wurden daraus Schlagzeilen wie „In Deutschland wächst die Angst vor dem sozialen Abstieg“ und „Deutsche Mittelschicht fürchtet sozialen Abstieg“. Der Nachrichten-Aufmacher bei T-Online am Montagvormittag dröhnte: „Die Angst vor sozialen Abstieg geht um“. Und da musste dieselbe Befragung auch gleich als Beleg dafür herhalten, dass die Angst vor einem sozialen Abstieg durch die Wirtschaftskrise bei immer mehr Deutschen um sich greife.

Nun gehört es zu den wenig aufregenden Erkenntnissen der Medienforschung, dass schlechte Nachrichten gute Nachrichten sind, weil sie mehr Aufmerksamkeit wecken und sich damit auch besser verkaufen lassen. Wenn aber aus guten Nachrichten schlechte Nachrichten gemacht werden, dann untergräbt das die Glaubwürdigkeit des Überbringers der Botschaft und der Grad zwischen Information und Desinformation wird beunruhigend schmal.

Dabei bedürfen die krisenbedingten Ängste der Deutschen wohl kaum einer künstlichen Übertreibung. Denn laut jüngstem ARD-Deutschland-Trend von Infratest dimap machen sich 57 Prozent der Deutschen Sorgen um ihre persönliche wirtschaftliche Zukunft, 56 Prozent fürchten um ihre Ersparnisse und 76 Prozent glauben, dass uns der schlimmste Teil der Krise noch bevorsteht. Unter den Erwerbstätigen haben 38 Prozent der Befragten Angst um ihren Arbeitsplatz, mit einer Zunahme von 6 Prozentpunkten im Vergleich zum Vormonat.

Diese Zahlen sind alarmierend genug, zumal in einem Superwahljahr, in dem die Wählerinnen und Wähler aufgefordert sind, den Politikern ihrer Wahl das Vertrauen auszusprechen. Nun stellt sich die Frage, wem man in der Krise mehr vertrauen mag: den Wünschelrutengängern, die in der Bevölkerung „Empörung über die Folgen der Krise“ (Gesine Schwan) und „soziale Unruhe“ (Oskar Lafontaine) „spüren“; oder denjenigen, die zwar unsere Sorgen nicht unter den Teppich kehren, aber auch Mut machen, dass wir die Krise gemeinsam überstehen und daraus gestärkt hervorgehen werden.

Die Amerikaner entschieden sich bei der zurückliegenden Präsidentschaftswahl in großer Mehrheit für Zuversicht und Optimismus: Yes, we can – Ja, wir packen das! Wofür werden sich die Deutschen entscheiden – für eine Wahl der Angst oder für eine der Zuversicht? Und welche Partei wird den Deutschen überhaupt die Wahl lassen, den Optimismus zu wählen?

 

Europawahlen – reden wir noch einmal darüber!

Die Wahlen zum Europaparlament finden am 7. Juni statt. Aber wie viele Deutsche werden hingehen, fragte ich mich kürzlich in diesem Blog. Denn die Umfragergebnisse des Eurobarometers lassen befürchten, dass sich das Gros der Bundesbürger kaum mehr dafür interessieren wird als für die letzte Wasserstandsmeldung im Radio. Ich finde immer noch, das ist merkwürdig und erklärungsbedürftig zugleich. Denn zum einen wünscht sich eine relative Mehrheit der Deutschen mehr Kompetenzen für das Europaparlament. Zum anderen wirken sich europäische Entscheidungen immer stärker auf unser alltägliches Leben aus, und es ist ja eigentlich unser gutes demokratisches Recht, unsere „Bestimmer“ mit zu bestimmen. Wie lässt sich das erdrückende Desinteresse also verstehen? Oder anders gewendet: Warum sind die Deutschen zur Europawahl (nicht) motiviert? In den Blog-Kommentaren zu diesem Thema wurden zwei zentrale Erklärungsangebote gegeben.

Erstens wurde die unzureichende Medienberichterstattung über die EU genannt. Diese These ist im Zeitalter der Massenkommunikation erst einmal ziemlich plausibel. Denn das meiste, was wir heute über Politik erfahren und wissen, erfahren und wissen wir über die Berichterstattung in den Massenmedien. Das heißt im Umkehrschluss, dass wir weniger über Politik erfahren und wissen, wenn nicht in Fernsehen, Radio und Zeitungen berichtet wird.

Tatsächlich belegen medienanalytische Untersuchungen zur vorangegangenen Europawahl 2004 – aber auch zur Euro-Einführung vor rund zehn Jahren – eine auffällige Zurückhaltung der Massenmedien, wenn es um die Europäische Union geht. Dennoch: Um damit die sinkende Wahlbeteiligung der Deutschen zu erklären, müsste wenigstens ansatzweise nachgewiesen werden, dass die Massenmedien zwischen Ende der 1970er und Anfang der 1990er Jahre, als noch deutlich mehr als die Hälfte der Deutschen bei den Europawahlen ihre Stimme abgaben, stärker und häufiger über europäische Themen berichtet haben als heute. Und selbst wenn dieser Befund zu untermauern wäre, erlaube ich mir trotzdem noch ein bisschen Skepsis. Denn mehr oder weniger implizit wird hier ja davon ausgegangen, dass Informationen bereits zum Urnengang motivieren. Das kann so sein, muss es aber nicht. Die Botschaft, die von den jeweiligen Informationen transportiert wird, ist Sache unserer Interpretation und kann für den einen positiv und den anderen negativ ausfallen, zum Handeln motivieren oder genau das Gegenteil auslösen, nämlich Abstinenz, Zurückhaltung und Verweigerung. Letzteres versucht uns zum Beispiel Spiegel-Journalist Gabor Steingart mit seinen öffentlichen Bekenntnissen eines Nichtwählers deutlich zu machen. Damit bleibt also weiterhin die wichtige Frage zu beantworten, was die Deutschen zur Teilnahme an der Wahl des Europaparlaments motivieren und was sie davon abhalten könnte.

Darauf wurde in den Blog-Kommentaren eine zweite, aufschlussreiche Antwort gegeben: Der Europäischen Union fehlt es an Herz und Seele. Was diese Überlegung aus meiner Sicht interessant macht, ist zum einen die damit verknüpfte Frage, wie stark sich die Deutschen mit der Europäischen Union als Schicksalsgemeinschaft identifizieren. Solange das Schicksal der EU in den Augen der meisten Deutschen nicht mit dem Schicksal ihres Landes verknüpft ist, solange etwa „deren“ Abgeordnete auch nicht als „unsere“ Abgeordneten wahrgenommen werden, solange wird sich die Auf- und Erregung bei der Auswahl jener Repräsentanten in Grenzen halten. Und es wird auch entsprechend wenig Motivation geben, in die Wahl von Leuten zu investieren, die gar nicht als diejenigen wahrgenommen werden, die „unsere“ Interessen in einem Repräsentationsorgan vertreten, dessen Entscheidungen Einfluss auf „unser“ kollektives Schicksal nehmen.

Zum anderen ist die Kritik an der herz- und seelenlosen EU aber nicht nur eine mögliche Erklärung für das verbreitete Desinteresse der Deutschen an europäischen Angelegenheiten, die Wahl zum Europäischen Parlament eingeschlossen. Es kann auch zu einem richtig großen Problem werden, wenn die Konsequenzen der als „kalt“ empfundenen, aber allgemeinverbindlichen europäischen Entscheidungen den Menschen immer stärkere Zumutungen und Belastungen abverlangen, die nur durch emotionale Gewissheiten ertragen und akzeptiert werden können. Das gilt vor allem dann, wenn Solidarität erwartet wird, also die Bereitschaft, zum Wohle anderer ein Stück vom eigenen Kuchen abzugeben.

Aus diesem Grund lohnt ein genauerer Blick darauf, wie sich die Bevölkerungszustimmung zur europäischen Integration in Deutschland entwickelt hat, um sie mit der Entwicklung der Wahlbeteiligung bei den Europawahlen zu vergleichen. Und tatsächlich zeigt sich in der folgenden Abbildung, dass nicht nur die Wahlbeteiligung zwischen 1979 und 2004 deutlich zurück gegangen ist. Beinahe halbiert hat sich auch die so genannte Netto-Unterstützung (Differenz von positiven und negativen Antworten) für die europäische Integration, wenn die Befragten darüber Auskunft geben sollen, ob sie die Mitgliedschaft Deutschlands in der EU für eine gute Sache halten.

Mit dieser Beobachtung ist natürlich kein Ursache-Wirkungs-Zusammenhang belegt. Allerdings ließe eine wachsende Distanz zum europäischen Integrationsprojekt kaum erwarten, dass sich die Menschen künftig stärker mit Europa als Schicksalsgemeinschaft identifizieren und es deshalb auch als notwendig und selbstverständlich betrachten, sich an der Wahl ihrer Repräsentanten zu beteiligen. Das aber wirft eine ganze Reihe neuer Fragen auf.

 

Europawahlen paradox

Am 7. Juni sind Europawahlen. Aber wie viele Menschen werden sich dafür extra auf den Weg ins Wahllokal machen? Noch vor wenigen Monaten hatten laut der letzten Herbstbefragung des Eurobarometer 57 Prozent der Deutschen gar keine Ahnung davon, dass 2009 ein neues Europaparlament gewählt wird. Und 54 Prozent der Befragten meinten, dass sie das sowieso nicht interessiert. Kein Wunder also, dass auch nur 36 Prozent von ihnen versicherten, am 7. Juni das Europaparlament definitiv mitwählen zu wollen. 36 Prozent! Vorausgesetzt, es käme so, wäre das für Deutschland noch einmal ein Rückgang der Wahlbeteiligung auf Europaebene um 7 Prozentpunkte.

Diese Ergebnisse erscheinen paradox. Denn im Herbst 2007 waren laut Eurobarometer 47 Prozent der Deutschen der Meinung, dass in der EU das Europaparlament die meisten Entscheidungsbefugnisse haben sollte, und 48 Prozent wollten ihm eine größere Rolle zugestehen. Wenn das so ist, warum unterstützen die Menschen das Europäische Parlament dann nicht mit der Abgabe ihrer Stimme?

Eine Standardantwort der Europaforscher darauf ist, dass die Menschen wohl nicht den Eindruck hätten, dass bei den Europawahlen viel auf dem Spiel stehe. Schließlich wird ja nicht einmal eine richtige Regierung gewählt. Wozu dann der Stress? Ganz ähnlich hat es auch Jens Tenscher kürzlich in einem Beitrag zu diesem Blog gesehen. Da gibt es nur ein Problem: An der ersten Europawahl 1979 haben sich noch zwei Drittel der Deutschen beteiligt und an den darauf folgenden drei Europawahlen bis einschließlich 1994 eine klare Mehrheit. Vor dreißig Jahren gab es auch keine europäische Regierung zu wählen. Außerdem hat das Europaparlament seither seine Kompetenzen und Einflussmöglichkeiten im europäischen Entscheidungssystem systematisch ausgebaut. Gemessen an diesem Bedeutungszuwachs für das europäische Repräsentationsorgan steht bei den Europawahlen heutzutage recht viel und eigentlich immer mehr auf dem Spiel. Das gilt umso stärker, je mehr Politikbereiche der nationalen Alleinverantwortung entzogen und an die europäische Ebene delegiert werden.

Das Europäische Parlament wird also immer mächtiger – aber für wen eigentlich? Und woran liegt es denn nun, dass es so vielen Menschen vollkommen egal ist, wann Europawahlen sind und welche Abgeordnete sie „nach Europa“ schicken?

 

Wahlkampfthema DDR?

Erwin Sellering hat die DDR verteidigt. Das mag man für unerhört halten – oder auch nicht. Es könnten einem auch viele Gründe dafür einfallen, was den Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern eigentlich dazu veranlasst hat. In einem Superwahljahr, das natürlich auch ein Superwahlkampfjahr ist, scheinen die Einlassungen des westdeutschen Juristen jedenfalls nicht ganz und gar unverdächtig. Allerdings stellt sich damit eine wichtige Frage: Taugt die DDR als Wahlkampfthema?

Aus meiner Sicht ein klares „Nein!“. Denn dagegen sprechen mindestens zwei Gründe. Erstens sind die Wählerinnen und Wähler nicht so schlicht im Gemüt, als dass sie ihre Wahlentscheidung nur an einem Thema ausrichten würden. Es gehört vielmehr zu den sicheren Befunden der Wahlforschung, dass die Entscheidung für die eine oder andere Partei von mehreren Inhalten beeinflusst wird. Außerdem hängt sie von einem überzeugenden Kandidatenangebot der Parteien ab.

Zweitens spielt es eine mitunter wahlentscheidende Rolle, welcher Partei die Menschen am ehesten zutrauen, die Probleme zu lösen, die ihnen auf den Nägeln brennen. Nach dem Anfang März dieses Jahres veröffentlichten Politbarometer der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen waren das vor allem die Arbeitslosigkeit sowie die Banken- und Finanzkrise, die 47 bzw. 40 Prozent der Deutschen nannten. In derselben Umfrage meinten 90 Prozent der Deutschen, dass die Managergehälter in Deutschland zu hoch sind. Schließlich hat sich die Sicht auf die allgemeine Wirtschaftslage weiter verdüstert: Haben im Januar noch 25 Prozent der Deutschen die Wirtschaftslage im Land schlecht beurteilt, waren es Ende März bereits 47 Prozent.

Was lässt sich im aktuellen Wahlkampf also anfangen mit dem Thema DDR? Die Menschen haben offensichtlich andere Sorgen.

 

Selbstaufgabe des Wahlrechts ist freiwilliger Verzicht auf die Demokratie

Gabor Steingart, „Spiegel“-Journalist und Buchautor, hat kürzlich seine „Ansichten eines Nichtwählers“ im Münchener Piper-Verlag veröffentlicht. Am 19. März konnte er bei Maybrit Illner im ZDF für seine streitbaren Auffassungen werben. Die berechtigte Kritik am Zustand der politischen Parteien in Deutschland und die Sorge um die deutsche Demokratie führten Gabor Steingart zu einer Konsequenz, die für Demokraten nur verstörend sein kann: Verzichten wir auf unser Wahlrecht! Denn wer wählt, stimmt zu. Der Nichtwähler hingegen sendet den Parteien ein anderes Signal, nämlich das der Enttäuschung und Unzufriedenheit. Wer die Parteien zu Veränderungen und Reformen zwingen wolle, bleibe der Wahlurne also besser fern.

Bitte? Ein Aufruf zum Wahlboykott? Wir hören und lesen immer wieder von Appellen, die Teilnahme an Wahlen zu verweigern. Nur erreichen uns solche Nachrichten aus Ländern, in denen oppositionelle Kräfte drangsaliert oder im politischen Wettbewerb systematisch benachteiligt werden, in denen Wahlen der Akklamation von Herrschaft und nicht der Legitimation von politischer Führung dienen. Der Boykott von Wahlen ist in einem unfreien Regime ein legitimes Mittel des Widerstands. In freiheitlichen politischen Systemen ist eine Aufforderung zum Boykott von Wahlen aber ein Aufruf zum Boykott der Demokratie. Denn regelmäßige, faire, freie, gleiche und geheime Wahlen sind das Herzstück einer Demokratie. Das weiß auch Gabor Steingart. Ansonsten würde sein Vorschlag, „den“ Politikern in Deutschland mit einer großen Wahlenthaltung einen Denkzettel zu verpassen, jeder Logik entbehren.

Gabor Steingart ruft die Deutschen dazu auf, freiwillig auf ihr gutes und wichtiges Recht zu verzichten, ihre politische Führung selbst aussuchen zu dürfen. In Deutschland wurde das allgemeine Wahlrecht für Frauen und Männer erst 1919 eingeführt und von den Nazis nur wenige Jahre später wieder abgeschafft. Seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland ist das allgemeine Wahlrecht in Deutschland nunmehr seit 60 Jahren garantiert. Historisch betrachtet ist das nicht mehr als ein Wimpernschlag. Die Ostdeutschen mussten auf dieses Recht sogar noch ein bisschen länger warten als die Westdeutschen und haben es sich vor 20 Jahren mit ihrem mutigen Aufbegehren gegen ein autoritäres Herrschaftssystem ertrotzt. Im Jubiläumsjahr der ostdeutschen Montagsdemonstrationen sendet Gabor Steingart damit ein Zeichen, das sich auch als ein Mangel an Respekt gegenüber der Tapferkeit vieler ostdeutscher Frauen und Männer interpretieren lässt, die für das Recht auf freie Wahlen viel und manchmal alles riskierten.

Die freiwillige Aufgabe des Wahlrechts ist kein Korrektiv, das die Parteien zur Reform zwingen könnte. Stattdessen wird freiwillig auf das Recht verzichtet, darüber mit zu bestimmen, wer uns regiert. Das ist gleichbedeutend mit einem Verzicht auf Demokratie. Offenbar dachten im Schnitt der vergangenen 20 Jahre 79 Prozent der deutschen Wählerinnen und Wähler genauso und gaben bei den fünf Bundestagswahlen, die in diesem Zeitraum stattfanden, ihre Stimme ab.