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Hannelore Rüttgers – oder was?

Nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen sind als Folge der schnellen Absage von Gesprächen mit der Linkspartei die Weichen nun erst einmal auf „Große Koalition“ gestellt. Die Frage, wer denn in einer solchen Regierungskonstellation den Ministerpräsidenten zu stellen hat, scheint offenbar ganz klar zu sein. Die CDU „natürlich“, wie immer wieder argumentiert wird. Zur Begründung wird das Kriterium der Stimmenanzahl bemüht. Weil die CDU laut amtlichem Endergebnis exakt 5982 Stimmen mehr erhalten hat als die SPD, sei es doch wohl klar, dass sie den Ministerpräsidenten auch stellen müsse – so oder so ähnlich war es dieser Tage der Presse zu entnehmen.

Mal ganz abgesehen von der Frage, ob ein solches Kriterium in einem parlamentarischen System auch tatsächlich viel Sinn ergibt, zeigt die Empirie jedenfalls keine reflexartige Beziehung in Koalitionsregierungen, der zu Folge immer die nach Stimmen stärkste Partei den Regierungschef stellen muss.

Ein paar Beispiele gefällig? Unser Nachbarland Österreich hat das auf der Bundesebene schon drei Mal erlebt. Zuletzt nach der Nationalratswahl 1999. Die konservative Österreichische Volkspartei (ÖVP) unter der Führung von Wolfgang Schüssel ist nach Stimmen nur drittstärkste Kraft geworden, nach der sozialdemokratischen SPÖ und der FPÖ von Jörg Haider. Nach dem Scheitern von Koalitionsverhandlungen mit der SPÖ führte Wolfgang Schüssel als Bundeskanzler ab dem 4. Februar 2000 eine ÖVP-FPÖ-Koalition an, obwohl wohlgemerkt die FPÖ nach der Wahl die „stärkere“ Partei war. 1953 und 1959 ist der ÖVP Kandidat ebenfalls Bundeskanzler geworden, obwohl die mitregierenden Sozialdemokraten mehr Stimmen bei der Wahl bekommen hatten.

Aber auch in anderen Ländern, die an Koalitionsregierungen gewöhnt sind, finden sich solche Beispiele. Der schwedische Zentrumspolitiker Fälldin etwa wurde nach der Wahl 1979 zum Ministerpräsidenten gewählt, obwohl damals die bürgerlich-konservative Moderata samlingspartiet und nicht mehr die Zentrumspartei die nach Stimmen größte bürgerliche Partei wurde. Ähnlich gelagerte Fälle finden sich auch in Dänemark in der Koalition zwischen Liberalen und Konservativen in den 80er Jahren. Wenn man systematisch sucht, findet man wahrscheinlich noch mehr. Hat jemand noch weitere Beispiele parat?

Langer Rede kurzer Sinn: Es ist mitnichten in Stein gemeißelt, dass die stärkste Partei auch den Ministerpräsidenten stellen muss. Die Beispiele zeigen, dass von einem derartigen Automatismus keine Rede sein kann. Welche Partei den Regierungschef stellt, liegt genauso auf dem Verhandlungstisch und ist daher Bestandteil von Koalitionsverhandlungen, wie viele andere Dinge auch.

 

Der Teufel steckt im (Wahlrechts-)Detail

Zur Mehrheit fehlt Rot-Grün in NRW ein einziger Sitz. Rot-Grün-Rot wird es nicht geben. Also bleibt den Sozialdemokratinnen dort wohl nur der (schwere) Gang in die Große Koalition. Wie die Kollegen von wahlrecht.de zeigen, hängt die Sitzverteilung dabei nicht vom gewählten Zuteilungsverfahren ab. Ob Sainte-Laguë, Hare/Niemeyer oder D’Hondt – das Ergebnis ist identisch. Zumindest solange man die Sitzzahl bei 181 belässt.
Gleichwohl könnte man sich bei Rot und Grün mit Blick auf das Wahlsystem die Haare raufen – kleine Veränderungen der Regeln hätten mitunter große Wirkung gehabt: So hätte es für Rot-Grün etwa gereicht, wenn der nordrhein-westfälische Landtag nur aus 159 Sitzen bestehen würde (und die Sitze nach Hare/Niemeyer zugeteilt worden wären): Die SPD hätte dann nämlich 59 Sitze erhalten (wie die Union auch), die Grünen 21 – und 80 rot-grüne Sitze wären eine Mehrheit gewesen. Analog wäre es bei Sitzzahlen von 3, 5, 7, 19, 21, 35, 59, 73, 75, 87, 89, 91 und 105 gewesen… aber bei 181 eben nicht.

 

Nach der Wahl: Große Koalition oder Rot-Rot-Grün in NRW?

Das Ergebnis der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen stellt die Parteien – insbesondere SPD, FDP und Grüne – vor schwierige Entscheidungen. Dies rührt daher, dass – wie in Hessen nach der Landtagswahl 2008 – nur solche Koalitionen über eine Mehrheit im Parlament verfügen, die von mindestens einer beteiligten Partei entweder vorab ausgeschlossen wurden oder nicht besonders gewünscht werden. Ersteres trifft auf die Ampelkoalition und ein Jamaika-Bündnis zu, die beide in einem Parteitagsbeschluss der Liberalen kurz vor der Landtagswahl abgelehnt wurden. Eine Koalition der beiden großen Parteien CDU und SPD sowie eine Linkskoalition aus Sozialdemokraten, Grünen und der ‚Linken’ entspricht wiederum nicht den Wunschvorstellungen der jeweiligen Parteien.

Kurz vor der Wahl sind wir bei der Berechnung der Wahrscheinlichkeiten für die verschiedenen Koalitionen aufgrund der Umfrageergebnisse von zwei Szenarien ausgegangen, bei denen jeweils – im Gegensatz zum Ergebnis der Landtagswahl – von der CDU als der stärksten Partei im Düsseldorfer Landtag ausgegangen wurde. Im ersten Szenario hatte eine Koalition aus CDU und Grünen, nicht jedoch ein rot-grünes Bündnis eine Mehrheit im Parlament. Den Ergebnissen zufolge wäre die Bildung einer ‚schwarz-grünen’ Koalition das wahrscheinlichste Ergebnis des Regierungsbildungsprozesses gewesen. In Szenario 2 verfügten CDU und Grüne hingegen über keine Mehrheit im Parlament. Auf Basis dieser Sitzverteilung sowie aufgrund der programmatischen Positionen der Parteien und der Koalitionsaussagen ergab sich die höchste Wahrscheinlichkeit für eine große Koalition aus Christ- und Sozialdemokraten.

Was ist unter den gegebenen Bedingungen nun das wahrscheinlichste Ergebnis des Regierungsbildungsprozesses in Nordrhein-Westfalen? Offenbar bleibt es dabei, dass SPD und Grüne eine Koalition mit der ‚Linken’ nicht ausschließen und damit die FDP ihre Absage an ein Bündnis, dass SPD und/oder Grüne mit einschließt, aufrechterhält. In diesem Fall ist ein Bündnis der beiden großen Parteien wahrscheinlicher als eine rot-rot-grüne Koalition. Jedoch ist der Unterschied zwischen den ermittelten Wahrscheinlichkeiten für beide Koalitionen nicht allzu groß: während die Bildung einer CDU/SPD-Koalition eine Chance von 54% erhält, so liegt die Wahrscheinlichkeit für die Formierung einer Linkskoalition bei knapp 40%. Hätten SPD und Grüne doch ein Bündnis mit der ‚Linken’ ausgeschlossen und damit Verhandlungen über eine Ampelkoalition den Weg geebnet, dann wäre die Situation zwar deutlich offener, jedoch wäre noch immer eine große Koalition das wahrscheinlichste Ergebnis des Regierungsbildungsprozesses mit einer Chance von gut 47%. An zweiter Stelle würde mit einer Wahrscheinlichkeit von rund einem Drittel die ‚Jamaika’-Koalition aus CDU, Liberalen und Grünen anstelle einer ‚Ampel’ landen. Ein rot-gelb-grünes Bündnis folgt erst auf Platz 3 mit einer Wahrscheinlichkeit von 15,6%.

Tabelle 1: Wahrscheinlichkeiten ausgewählter Koalitionsoptionen in Nordrhein-Westfalen auf Grundlage der endgültigen Sitzverteilung

Koalitionsoption Absage einer Ampel- und Jamaika-Koalition der FDP wird aufrechterhalten Absage einer Ampel- und Jamaika-Koalition der FDP wird aufgehoben; SPD und Grüne schließen Bündnis mit der ‚Linken’ aus
CDU und SPD 53,8% 47,1%
SPD, Grüne und Linke 39,9% 0%
SPD, Grüne und FDP 0% 15,6%
CDU, Grüne und FDP 0% 31,9%

Die schlechten Chancen für die Bildung einer Ampelkoalition resultieren vor allem aus den großen inhaltlichen Differenzen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik zwischen der FDP auf der einen und SPD und Grünen auf der anderen Seite. Insofern wäre ohnehin fraglich gewesen, ob Verhandlungen von SPD, FDP und Grünen von Erfolg gekrönt gewesen wären. Die Modellberechnungen können allerdings nicht mit einbeziehen, dass es in einem Bündnis zweier beinahe gleich starker Parteien Konflikte um die Besetzung des Ministerpräsidentenamts geben wird. Ebenso werden innerparteiliche Konflikte zu den verschiedenen Koalitionsoptionen nicht berücksichtigt. Von daher sind die Chancen für eine große Koalition zwar besser als die eines rot-rot-grünen Bündnisses, allerdings spielen eine Reihe von Unwägbarkeiten eine Rolle, die die Bildung beider Koalitionsoptionen erschweren können. Von daher: alles offen in NRW.

 

Punktlandung?

AndreaNordrhein-Westfalen hat gewählt, eine klare Aussage getroffen hat es aber nicht. Mit Ausnahme einer großen Koalition ist kein Zwei-Parteien-Bündnis möglich und sämtliche Dreierkonstellationen wurden vor der Wahl entweder als nicht realisierbar befunden (Rot-Rot-Grün) oder definitiv ausgeschlossen (Ampel und Jamaika). Dies lässt die Parteien in einer Patt-Situation zurück und es scheint, als ob diejenige, die den ersten Zug wagt, das Spiel verlieren würde.

Doch was landespolitisch sehr kompliziert und nicht minder heikel daherkommt, könnte für Frau Merkel aus bundespolitischer Sicht ein Optimalzustand sein. Natürlich hat sie sich in den Wahlkampf einbringen müssen und natürlich wollte sie einen Absturz ihrer Partei in die Opposition verhindern. Eine Fortführung des schwarz-gelben Bündnisses jedoch hätte sie andererseits unter erheblichen Zugzwang gesetzt. Derzeit jedoch stehen viele Zeichen auf große Koalition, sodass sich der Erhalt der Regierungsverantwortung in NRW mit der stärkeren Einbindung der SPD in der Bundespolitik paaren könnte, womit die Grundlage für breite Konsense in unpopulären Fragen geschaffen wäre. Zudem legt das Wahlergebnis auch noch nahe, dass die CDU durch ihren denkbar knappen Vorsprung vor der SPD in einer solchen Koalition weiterhin den Ministerpräsidenten stellen würde, dieser aber wohl nicht mehr Jürgen Rüttgers heißen würde, da sich die herben Verluste der Union auch mit seiner Person verbinden. Dem innerparteilichen Kontrahenten wäre somit der Boden für bundespolitische Ansprüche entzogen, zugleich könnte sich aber auch mit Hannelore Kraft keine Persönlichkeit der SPD als starke Ministerpräsidentin etablieren und ihrer Partei inmitten der schwierigen Identitätssuche ein prägendes Gesicht geben.

Eine große Koalition in NRW würde Deutschland bereits ein gutes halbes Jahr nach Antritt der schwarz-gelben Bundesregierung wieder zu dem machen, was es nach Ansicht der Wissenschaft schon immer war: ein Staat der großen Koalitionen. Nur selten konnten Regierungen auf Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat bauen, zumeist waren also Kompromisslösungen und Abstimmungen über die Parteigrenzen hinweg sowie zwischen Bundes- und Länderebene nötig. Gerade in Krisenzeiten könnte dies nicht nur gut für die Bundeskanzlerin sein, der die moderierende Rolle liegt und die dafür zu Zeiten der Großen Koalition im Bund auch sehr geschätzt wurde. Sondern auch gut für Deutschland, das auf diese Weise Parteienstreits, symbolischer Politik etc. entgehen könnte. So gesehen hätte das Wählervotum in NRW in all seiner Unklarheit doch den politischen Willen vieler auf den Punkt gebracht.

 

Noch eine Zahl…

Viele Zahlen standen gestern und heute in Nordrhein-Westfalen im Raum – aber eine habe zumindest ich nicht gehört. Und dass, obwohl sie wiederum etwas zum Ausdruck bringt, was wir bei fast allen Wahlen der jüngeren Vergangenheit haben beobachten können und was meines Earchtens sehr bemerkenswert (vulgo: merkwürdig) ist. Es ist der gemeinsame Stimmenanteil von Union und SPD. Die folgende Abbildung zeigt, wie dieser Anteil sich über alle NRW-Wahlen hinweg entwickelt hat.

Mit 69,1 Prozent hat dieser Anteil – wieder einmal – ein historisches Tief erreicht. Selbst bei der ersten nordrhein-westfälischen Landtagswahl 1950 (in der Phase der Konsolidierung des deutschen Parteiensystems) lag er minimal höher.

Die Gründe für diese Entwicklung sind sicherlich vielfältiger Natur (man könnte das gestern so oft zitierte „Ursachenbündel“ heranziehen), Fakt aber ist: Zumindest aktuell ist es um die Integrationskraft der beiden „Volksparteien“ nicht gut bestellt.

 

Wolkige Ansichten – Das Vokabular der Wahlprogramme in NRW

„Die Parteien haben den Bezug zu den Menschen da draußen verloren.“ Solche oder ähnliche Zitate liest man immer wieder. Allerdings nicht in den Wahlprogrammen der Parteien in NRW. Denn: Allen fünf Parteien, die sich in Nordrhein-Westfalen Hoffnung auf den Einzug in den Landtag machen können, liegen die „Menschen“ – gleich nach „NRW“ – besonders am Herzen. Zumindest, wenn man die Häufigkeit der darin verwendeten Begriffe als Maßstab heranzieht. Das ist eines der wichtigsten Ergebnisse aus der Wortwolken-Analyse im „Wahlprogramm-Check“ der Universität Hohenheim und des CommunicationLabs Ulm.

Besonders wichtig sind die „Menschen“ allerdings den beiden roten Parteien Linke und SPD. Es gibt also – trotz aller gegenteiligen Beteuerungen – durchaus gewisse Übereinstimmungen, auf denen man bei Koalitionsverhandlungen aufbauen könnte. Und da man für solch eine Koalition auch die Grünen mit ins Boot holen müsste, dürfte es die Beteiligten freuen, dass sich mit der Betonung der Bedeutung der „Kommunen“ auch zwischen Linken und Grünen eine wichtige Gemeinsamkeit zeigt.

Die gibt es allerdings auch zwischen Grünen und Schwarzen: Beide fordern in ihren Wahlprogrammen konsequenter als alle anderen Parteien „mehr“. Selbst bei FDP und Linkspartei sind Übereinstimmungen feststellbar: Beide Parteien haben eine Vorliebe für die Nennung des eigenen Parteinamens in ihren Programmen. Die drei anderen Parteien, insbesondere CDU und SPD, sind da im Vergleich deutlich zurückhaltender.

Also doch eher Schwarz-Grün oder sogar Schwarz-Gelb-Tiefrot? Wohl kaum, zumindest, wenn man das Vokabular der Wahlprogramme als Prognoseinstrument heranzieht. Denn insgesamt überwiegen trotz allem die begrifflichen Gemeinsamkeiten bei den drei Oppositionsparteien. So ist man sich hier ebenfalls einig, dass nach der Wahl viele wichtige Dinge angepackt werden „müssen“. Der 9. Mai wird zeigen, ob man dies in einer gemeinsamen Regierungskoalition tun können wird.

CDU
SPD
Grüne
FDP
Linke
 

Doch Rot-Grün?

Hat das, was zu Beginn des Jahres aussichtslos schien, nun, wenige Tage vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, womöglich doch noch eine Gewinnchance: ein Regierungsbündnis von SPD und Grünen? Es wäre eine große politische Überraschung. Doch welche empirischen Befunde sprechen für einen solchen Wahlausgang und welche sprechen dagegen?

Für eine Koalition von SPD und Grünen spricht vor allem das präferierte Koalitionsmodell: Nannten vor der NRW-Wahl 2005 noch 28% Schwarz-Gelb als Wunschkoalition, sind es nun nur noch 19% (hier und nachfolgend werden Vorwahl-Umfragen „Politbarometer-Extra“ der FGW angeführt). Im Gegenzug hat sich die Präferenz für Rot-Grün von 24% (2005) auf 27% (2010) verstärkt. Ein positiver Effekt für Rot-Grün könnte auch von der Kompetenzzuschreibung in der Bildungspolitik ausgehen: 44% nennen hier entweder SPD oder Grüne als kompetenteste Parteien und lediglich 30% CDU oder FDP, 2005 lag Rot-Grün noch deutlich hinter Schwarz-Gelb zurück. In diesem Zusammenhang könnte Rot-Grün von der wichtigeren Rolle der Landespolitik (54%) für die Wahlentscheidung der Bürger im Vergleich zur Bundespolitik profitieren (2005: 50%). Schließlich spricht die primär wahlzyklusbedingte Schwäche der Regierungsparteien im Bund für Rot-Grün, vor allem für die Grünen, die seit 2005 weder im Bund noch in NRW an einer Regierung beteiligt sind.

Gegen Rot-Grün spricht nicht nur, dass das Koalitionsmodell von lediglich einer Minderheit präferiert wird, sondern auch, dass die Landesregierung erst eine Legislaturperiode im Amt und politisch lediglich angeschlagen ist. Auf der +5/-5-Skala erreicht Schwarz-Gelb einen Mittelwert von 0,0, 2005 lag die damalige rot-grüne Landesregierung bei -0,7 und wurde fast schon folgerichtig abgewählt. 2010 kommt die CDU alleine immerhin noch auf ähnlich gute Bewertungen (0,3) wie SPD (0,4) oder Grüne (0,2). Und 53% der Befragten erwarten, dass die CDU, Jürgen Rüttgers oder Schwarz-Gelb die Wahl gewinnen wird, lediglich 28% nennen hier Rot-Grün. Wechselstimmung sieht anders aus. Und selbst wenn es Rot-Grün schaffen sollte, Schwarz-Gelb zu überflügeln, dann würde es aufgrund der Linkspartei wahrscheinlich nicht zu einer Mandatsmehrheit von SPD und Grünen im Landtag reichen.

Am meisten spricht eigentlich sowohl gegen Rot-Grün wie Schwarz-Gelb. Auch dies lässt sich durch Präferenzen und Bewertungen der Bürger Nordrhein-Westfalens unterstreichen: Rüttgers und Kraft liegen in der Kandidatenpräferenz ebenso gleichauf wie ihre Parteien in den Kompetenzzuschreibungen beim wichtigsten Thema Arbeitslosigkeit. Auch bei der Wahlabsicht geht es so eng zu, dass jede vermeintliche „Führung“ eines Lagers ein statistisches Artefakt sein könnte. Man sollte also mit einem Patt der beiden Lager rechnen. Mein Kollege Marc Debus hält dann aufgrund der Wahlprogramminhalte ein Bündnis von CDU und Grünen für wahrscheinlicher als eine Große Koalition. Schwarz-Grün hätte sicherlich Symbol- und Disziplinierungscharakter für den Bund, frei nach dem Motto: „FDP paß‘ auf, wir können notfalls auch mit den Grünen!“ Sollbruchstellen eines solchen Bündnisses, vor allem an der Parteibasis von Schwarz und Grün, wären dann jedoch gegen die Regierungsstabilität eines Elefantenbündnisses abzuwägen. In frühestens drei Tagen sind wir (etwas) schlauer.

 

Im Falle eines Falles: Was käme nach Schwarz-Gelb in Nordrhein-Westfalen?

Das Spekulieren um die parteipolitische Zusammensetzung einer Regierung im Vorfeld einer Bundes- oder Landtagswahl gehört mittlerweile zum Standard der Medienberichterstattung. Eine maßgebliche Ursache dafür sind die in den letzten Jahren immer häufiger auftretenden ‚negativen’ Koalitionsaussagen: die Parteien teilen nicht nur mit, mit wem sie gerne nach der Wahl koalieren wollen, sondern auch, mit wem sie auf keinen Fall in eine Koalition eintreten möchten. Dies ist auch im Fall der nordrhein-westfälischen Landtagswahl am kommenden Sonntag nicht anders. So hat die dortige FDP erst am letzten Wochenende eine Koalition mit SPD oder Grünen mit der Begründung ausgeschlossen, dass beide Parteien nicht explizit eine Zusammenarbeit mit der Linken nach der Wahl ablehnen. Offenbar werden nun auch die Bündnisstrategien anderer parteipolitischer Wettbewerber als ein maßgeblicher Grund dafür herangezogen, dass man selbst bestimme Koalitionsmöglichkeiten von vorneherein ablehnt.

Betrachtet man die jüngsten Umfrageergebnisse für die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 9. Mai, dann erreichen die beiden „Wunschkoalitionen“ aus CDU und FDP einerseits sowie SPD und Grünen andererseits sehr wahrscheinlich keine Mehrheit im Parlament. Würde auch ein „schwarz-grünes“ Bündnis keine Mandatsmehrheit im Düsseldorfer Landtag erreichen, wie es die Ergebnisse des ZDF-Politbarometers vom 30. April vermuten lassen, dann wären neben einer „großen Koalition“ aus Christ- und Sozialdemokraten nur Bündnisse aus drei Parteien mit einer parlamentarischen Mehrheit ausgestattet. Zwei der drei bekanntesten „Dreier-Kombinationen“ – die „Ampel“ aus SPD, FDP und Grünen sowie eine „Jamaika“-Koalition aus CDU, Liberalen und Grünen – haben die Freidemokraten an Rhein und Ruhr mit ihrem auf dem Aachener Landesparteitag verabschiedeten Wahlaufruf bereits ausgeschlossen. Eine etwaige Koalition aus Sozialdemokraten, Grünen und Linken wird zwar weder von Rot noch von Grün gewünscht, offiziell ausgeschlossen ist sie jedoch nicht.

Wie wahrscheinlich sind nun die verschiedenen Koalitionsoptionen in NRW, wenn man gängige Theorien der Regierungsbildung zugrunde legt und diese empirisch testet? Auf der Grundlage aller Regierungsbildungen in Bund und Ländern seit 1990 lassen sich mit Hilfe multivariater statistischer Analysen die Determinanten der Koalitionsbildung in Deutschland ermitteln und auf dieser Basis auch die Wahrscheinlichkeiten für alle potentiell möglichen Koalitionen berechnen. In die Berechnung fließen die Stärke der Parteien im Parlament, ihre programmatischen Positionen, die anhand einer Analyse der Landtagswahlprogramme gewonnen werden, die Koalitionsaussagen der Parteien sowie die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat ein. Für Nordrhein-Westfalen wird die Sitzverteilung im neuen Landtag anhand der Ergebnisse des ZDF-Politbarometers vom 30. April, wo ein schwarz-grünes Bündnis keine Mehrheit hätte, sowie von Forsa vom 28. April, nach der eine Koalition aus CDU und Grünen hingegen über eine Mehrheit der Sitze im Landtag verfügen würde, berechnet.

Im Rahmen dieses Blogs wurde dieses Verfahren bereits für die Landtagswahlen in Brandenburg, dem Saarland und in Thüringen im letzten Herbst mit Erfolg durchgeführt: die schließlich gebildeten Koalitionen wiesen in zwei der drei Bundesländer – in Thüringen und dem Saarland – die höchste Wahrscheinlichkeit auf (vgl. Bräuninger & Debus 2009). Für Nordrhein-Westfalen ergibt sich das in der folgenden Tabelle abgetragene Bild.

Tabelle 1: Wahrscheinlichkeiten ausgewählter Koalitionsoptionen in Nordrhein-Westfalen

Koalitionsoption Berechnete Sitzverteilung auf Grundlage der Ergebnisse von Forsa vom 28. April Berechnete Sitzverteilung auf Grundlage der Ergebnisse des Politbarometers vom 30. April
CDU und Grüne 65,3% 0,5%
CDU und SPD 29,9% 85,9%
SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Linke 2,8% 7,9%

 

Den Ergebnissen zufolge wäre – für den Fall, dass Union und FDP eine Mehrheit im Landtag verfehlen würden und eine parlamentarische Mehrheit für ein schwarz-grünes Bündnis bestünde – eine Koalition aus CDU und Grünen die mit Abstand wahrscheinlichste Koalitionsoption (65,3%). Ein Bündnis der beiden großen Parteien CDU und SPD würde auf Platz 2 mit einer Wahrscheinlichkeit von knapp 30% landen, während ein Linksbündnis mit 2,8% äußerst unwahrscheinlich sind. Sollte das Wahlergebnis so aussehen, dass im nächsten Landtag auch CDU und Grüne über keine Mehrheit verfügen würden, dann ist ein Bündnis der beiden großen Parteien der sehr wahrscheinliche Ausgang des Regierungsbildungsprozesses.

Wieso erreicht schwarz-grün eine so hohe Wahrscheinlichkeit? Zum einen bevorzugt eine große Partei in der Regel eine Koalition mit einer kleineren parlamentarisch vertretenen Kraft, um so bei der Besetzung der Kabinettsposten, die in der Regel den Kräfteverhältnissen innerhalb der Koalition entspricht und somit proportional erfolgt, einen möglichst hohen Anteil an Ämtern zu gewinnen. Zum anderen zeigt die Analyse der Wahlprogramme der nordrhein-westfälischen Landesparteien, dass die Christdemokraten an Rhein und Ruhr in der Wirtschafts- und Sozialpolitik sehr moderat und nicht wirtschaftsliberal ausgerichtet sind, so dass die Übereinstimmung mit Grünen oder SPD in diesem Politikfeld recht groß ist. Sollte also schwarz-gelb in Düsseldorf keine Mehrheit erreichen, dann könnte NRW nach Hamburg das zweite Bundesland werden, in dem CDU und Grüne gemeinsam die Regierung stellen. Wenn Christdemokraten und/oder Grüne jedoch schwächer abschneiden und keine gemeinsame Mehrheit im Landtag erreichen, dann stehen die Zeichen auf Bildung einer „großen Koalition“.

Literatur

Bräuninger, Thomas & Marc Debus (2009): Schwarz-Gelb, Schwarz-Rot, Jamaika oder die Ampel? Koalitionsbildungen in Bund und Ländern im Superwahljahr 2009. Zeitschrift für Politikberatung 2: 3, 563-567. [http://dx.doi.org/10.1007/s12392-009-0215-2]

 

Lang, kurz, einfach, übersetzt oder vorgelesen – Wie hätten Sie Ihr Wahlprogramm gerne?

Wenn am 9. Mai um 18 Uhr die Wahllokale in NRW schließen und die ersten Hochrechnungen eintrudeln, dann wird es auch wieder darum gehen, ob die Parteien die Wähler mit ihren programmatischen Angeboten überzeugen konnten oder nicht. Eine beliebte Erklärung für schlechte Wahlergebnisse lautet dann immer: „Wir konnten unsere Positionen offensichtlich nicht gut genug kommunizieren.“ Will heißen: An sich haben wir alles richtig gemacht, die Wähler haben es nur einfach nicht verstanden.

Doch wen trifft eigentlich die Schuld für diese immer wieder gerne angeführten „Kommunikationsprobleme“? Die Wähler? Oder nicht eher die Parteien selbst, die ja schließlich selbst bestimmen können, wie viel Aufwand sie in die Vermittlung ihrer programmatischen Ziele stecken? Diese Frage lässt sich nur dann beantworten, wenn man den Aufwand untersucht, den die Parteien in die Vermittlung ihrer politischen Ziele und Pläne stecken. Betrachtet man die Ergebnisse des „Wahlprogramm-Checks“ der Universität Hohenheim und des Ulmer CommunicationLabs zur NRW-Wahl, dann lässt sich eines sehr schnell feststellen: Es gibt dramatische Unterschiede zwischen den Parteien, was den Aufwand an programmatischen Vermittlungsbemühungen angeht.

Einsames Schlusslicht ist die CDU: Hier müssen sich potenzielle Wähler mit der Originalfassung des Wahlprogramms begnügen. Am anderen Ende der Skala rangieren die Grünen. Diese nehmen auf die Interessen und sonstigen Voraussetzungen der potenziellen Wähler deutlich mehr Rücksicht: Es gibt die 228 Seiten lange Originalfassung des Wahlprogramms für Politik-Freaks, die Kurzfassung für den normal interessierten Wähler, das Programm in Stichpunkten für den gerade noch irgendwie an Politik interessierten Bürger, Übersetzungen für russische und türkische Wähler, das Programm in leichter Sprache für Wähler mit geistiger Behinderung und das Programm als Audio-Datei für Wähler mit Sehbehinderung. Die anderen drei Parteien rangieren zwischen diesen beiden Extremen, wobei auffällt, dass nur die drei Oppositionsparteien Programme in leichter Sprache anbieten.

Der Trend zur Versionierung der Wahlprogramme mit dem Ziel der Ansprache unterschiedlichster Wählergruppen ist seit einigen Jahren erkennbar. Interessanterweise folgen die Parteien diesem Trend jedoch von Wahl zu Wahl unterschiedlich stark. So waren die Grünen bei der Bundestagswahl mit Kurzfassung, Stichpunktfassung und Version in leichter Sprache das Schlusslicht unter den fünf Bundestagsparteien. Denn die beiden großen Parteien (SPD, CDU/CSU) offerierten ihre Programme beide zusätzlich auch noch als YouTube-Videos in Gebärdensprache sowie als Hörbuch zum Herunterladen. Die CDU stellte darüber hinaus sogar eine kostenlose Papierversion in Braille-Schrift für Blinde zur Verfügung, die FDP hingegen gab sich besonders international mit Übersetzungen in insgesamt acht Sprachen.

Was sagen uns diese Ergebnisse? Ob man die Gründe für die Vermittlungsproblematik eher auf der Seite der Wähler oder eher auf der Seite der Parteien suchen sollte, kommt stark auf den jeweiligen Wahlkampf und das Wahlprogramm-Angebot der jeweiligen Parteien an. Zumindest die CDU sollte sich im Falle einer Wahlniederlage am 9. Mai also lieber an die eigene Nase fassen, als – wie so oft – die Schuld bei den unverständigen Bürgern zu suchen.

 

CDU und SPD in NRW – Kopf an Kopf auch bei der Verständlichkeit

Noch eine Woche bis zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen – und das Umfrage-Rennen zwischen CDU und SPD ist knapper als je zuvor (siehe auch den Beitrag „Zeit für Kampagnen!“). Die Wahlentscheidung zwischen CDU, SPD und den drei kleinen Parteien ist – trotz des nicht zu unterschätzenden Kandidatenfaktors – v.a. eine Entscheidung zwischen den programmatischen Angeboten der Parteien. Doch: Wie verständlich vermitteln die Parteien ihren Wählern diese Programme? Gibt es Unterschiede zwischen Regierung und Opposition oder kleinen und großen Parteien? Welche Partei schafft es am besten, eine Sprache zu treffen, die nicht nur von Politikern, sondern auch von ganz normalen Bürgern verstanden wird?

Wie schon bei der Europa- und Bundestagswahl im letzten Jahr haben Kommunikationswissenschaftler der Uni Hohenheim in Kooperation mit dem Ulmer CommunicationLab die Verständlichkeit der Wahlprogramme zur Landtagswahl in NRW genauer unter die Lupe genommen. Betrachtet man die Ergebnisse der Forscher, so lässt sich zunächst feststellen: Trotz der negativen Ergebnisse des „Wahlprogramm-Checks“ zur Bundestagswahl hat die Verständlichkeit der Wahlprogramme seitdem insgesamt kaum zugenommen. Auf dem Hohenheimer Verständlichkeitsindex, der von 0 (kaum verständlich) bis 20 (sehr verständlich) reicht, erreichen die fünf untersuchten Parteien nach wie vor lediglich Werte zwischen etwa 6 und 12 Punkten.

Am besten schneidet hierbei die CDU mit einem Wert von 11,8 Punkten ab, am schlechtesten die FDP mit nur 5,8 Punkten. Letztere liegt damit nur knapp über der Verständlichkeit politikwissenschaftlicher Doktorarbeiten (4,3 Punkte). SPD (10,1 Punkte), Grüne (9,0) und Linkspartei (8,1) gruppieren sich zwischen diesen beiden Polen. Im Vergleich zur Bundestagswahl haben CDU und Linkspartei damit ihre Verständlichkeit erhöhen können, während die Programme von Grünen und FDP spürbar an Verständlichkeit eingebüßt haben. Die Grünen fallen deshalb von ihrem Spitzenplatz bei der Bundestagswahl auf den dritten Rang zurück und tauschen diesen dabei gleichzeitig mit der CDU.

Ein anderes Bild ergibt sich jedoch, wenn man die Kurzprogramme der Parteien betrachtet, die von einem deutlich größeren Teil der Wählerschaft gelesen werden dürften: Hier legt die SPD das mit Abstand verständlichste Programm vor (17,2 Punkte) und übertrifft dabei in der Einfachheit ihrer Sprache sogar einen durchschnittlichen Bild-Zeitungsartikel (16,8 Punkte). Auch Grüne (12,7 Punkte) und FDP (12,4 Punkte) kommunizieren in ihren Kurzprogrammen deutlich verständlicher als in den Langfassungen. Bei der Linkspartei führt die Kürzung ihres Programms hingegen – anders als noch bei der Bundestagswahl – zu einem Verlust an Verständlichkeit (7,8 Punkte). Die CDU schließlich, die mit 28 Seiten die mit Abstand kürzeste Originalfassung vorlegt, sieht diese offensichtlich zugleich auch als ihre Kurzfassung an. Ob sie damit die Leselust ihrer potenziellen Wähler überschätzt hat, könnte eines der Diskussionsthemen des nächsten Sonntagabends sein…

P.S.: Ab sofort beobachten die Hohenheimer Forscher die Verständlichkeit der Parteien auch kontinuierlich auf monatlicher Basis unter www.polit-monitor.de

Links:
– Wahlprogramm-Check der Uni Hohenheim: https://komm.uni-hohenheim.de/wahlprogramm-check.html
– PolitMonitor der Uni Hohenheim: http://www.polit-monitor.de