Das Spekulieren um die parteipolitische Zusammensetzung einer Regierung im Vorfeld einer Bundes- oder Landtagswahl gehört mittlerweile zum Standard der Medienberichterstattung. Eine maßgebliche Ursache dafür sind die in den letzten Jahren immer häufiger auftretenden ‚negativen’ Koalitionsaussagen: die Parteien teilen nicht nur mit, mit wem sie gerne nach der Wahl koalieren wollen, sondern auch, mit wem sie auf keinen Fall in eine Koalition eintreten möchten. Dies ist auch im Fall der nordrhein-westfälischen Landtagswahl am kommenden Sonntag nicht anders. So hat die dortige FDP erst am letzten Wochenende eine Koalition mit SPD oder Grünen mit der Begründung ausgeschlossen, dass beide Parteien nicht explizit eine Zusammenarbeit mit der Linken nach der Wahl ablehnen. Offenbar werden nun auch die Bündnisstrategien anderer parteipolitischer Wettbewerber als ein maßgeblicher Grund dafür herangezogen, dass man selbst bestimme Koalitionsmöglichkeiten von vorneherein ablehnt.
Betrachtet man die jüngsten Umfrageergebnisse für die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 9. Mai, dann erreichen die beiden „Wunschkoalitionen“ aus CDU und FDP einerseits sowie SPD und Grünen andererseits sehr wahrscheinlich keine Mehrheit im Parlament. Würde auch ein „schwarz-grünes“ Bündnis keine Mandatsmehrheit im Düsseldorfer Landtag erreichen, wie es die Ergebnisse des ZDF-Politbarometers vom 30. April vermuten lassen, dann wären neben einer „großen Koalition“ aus Christ- und Sozialdemokraten nur Bündnisse aus drei Parteien mit einer parlamentarischen Mehrheit ausgestattet. Zwei der drei bekanntesten „Dreier-Kombinationen“ – die „Ampel“ aus SPD, FDP und Grünen sowie eine „Jamaika“-Koalition aus CDU, Liberalen und Grünen – haben die Freidemokraten an Rhein und Ruhr mit ihrem auf dem Aachener Landesparteitag verabschiedeten Wahlaufruf bereits ausgeschlossen. Eine etwaige Koalition aus Sozialdemokraten, Grünen und Linken wird zwar weder von Rot noch von Grün gewünscht, offiziell ausgeschlossen ist sie jedoch nicht.
Wie wahrscheinlich sind nun die verschiedenen Koalitionsoptionen in NRW, wenn man gängige Theorien der Regierungsbildung zugrunde legt und diese empirisch testet? Auf der Grundlage aller Regierungsbildungen in Bund und Ländern seit 1990 lassen sich mit Hilfe multivariater statistischer Analysen die Determinanten der Koalitionsbildung in Deutschland ermitteln und auf dieser Basis auch die Wahrscheinlichkeiten für alle potentiell möglichen Koalitionen berechnen. In die Berechnung fließen die Stärke der Parteien im Parlament, ihre programmatischen Positionen, die anhand einer Analyse der Landtagswahlprogramme gewonnen werden, die Koalitionsaussagen der Parteien sowie die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat ein. Für Nordrhein-Westfalen wird die Sitzverteilung im neuen Landtag anhand der Ergebnisse des ZDF-Politbarometers vom 30. April, wo ein schwarz-grünes Bündnis keine Mehrheit hätte, sowie von Forsa vom 28. April, nach der eine Koalition aus CDU und Grünen hingegen über eine Mehrheit der Sitze im Landtag verfügen würde, berechnet.
Im Rahmen dieses Blogs wurde dieses Verfahren bereits für die Landtagswahlen in Brandenburg, dem Saarland und in Thüringen im letzten Herbst mit Erfolg durchgeführt: die schließlich gebildeten Koalitionen wiesen in zwei der drei Bundesländer – in Thüringen und dem Saarland – die höchste Wahrscheinlichkeit auf (vgl. Bräuninger & Debus 2009). Für Nordrhein-Westfalen ergibt sich das in der folgenden Tabelle abgetragene Bild.
Tabelle 1: Wahrscheinlichkeiten ausgewählter Koalitionsoptionen in Nordrhein-Westfalen
Koalitionsoption |
Berechnete Sitzverteilung auf Grundlage der Ergebnisse von Forsa vom 28. April |
Berechnete Sitzverteilung auf Grundlage der Ergebnisse des Politbarometers vom 30. April |
CDU und Grüne |
65,3% |
0,5% |
CDU und SPD |
29,9% |
85,9% |
SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Linke |
2,8% |
7,9% |
Den Ergebnissen zufolge wäre – für den Fall, dass Union und FDP eine Mehrheit im Landtag verfehlen würden und eine parlamentarische Mehrheit für ein schwarz-grünes Bündnis bestünde – eine Koalition aus CDU und Grünen die mit Abstand wahrscheinlichste Koalitionsoption (65,3%). Ein Bündnis der beiden großen Parteien CDU und SPD würde auf Platz 2 mit einer Wahrscheinlichkeit von knapp 30% landen, während ein Linksbündnis mit 2,8% äußerst unwahrscheinlich sind. Sollte das Wahlergebnis so aussehen, dass im nächsten Landtag auch CDU und Grüne über keine Mehrheit verfügen würden, dann ist ein Bündnis der beiden großen Parteien der sehr wahrscheinliche Ausgang des Regierungsbildungsprozesses.
Wieso erreicht schwarz-grün eine so hohe Wahrscheinlichkeit? Zum einen bevorzugt eine große Partei in der Regel eine Koalition mit einer kleineren parlamentarisch vertretenen Kraft, um so bei der Besetzung der Kabinettsposten, die in der Regel den Kräfteverhältnissen innerhalb der Koalition entspricht und somit proportional erfolgt, einen möglichst hohen Anteil an Ämtern zu gewinnen. Zum anderen zeigt die Analyse der Wahlprogramme der nordrhein-westfälischen Landesparteien, dass die Christdemokraten an Rhein und Ruhr in der Wirtschafts- und Sozialpolitik sehr moderat und nicht wirtschaftsliberal ausgerichtet sind, so dass die Übereinstimmung mit Grünen oder SPD in diesem Politikfeld recht groß ist. Sollte also schwarz-gelb in Düsseldorf keine Mehrheit erreichen, dann könnte NRW nach Hamburg das zweite Bundesland werden, in dem CDU und Grüne gemeinsam die Regierung stellen. Wenn Christdemokraten und/oder Grüne jedoch schwächer abschneiden und keine gemeinsame Mehrheit im Landtag erreichen, dann stehen die Zeichen auf Bildung einer „großen Koalition“.
Literatur
Bräuninger, Thomas & Marc Debus (2009): Schwarz-Gelb, Schwarz-Rot, Jamaika oder die Ampel? Koalitionsbildungen in Bund und Ländern im Superwahljahr 2009. Zeitschrift für Politikberatung 2: 3, 563-567. [http://dx.doi.org/10.1007/s12392-009-0215-2]