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Haben Landtagswahlergebnisse Effekte auf die Bundestagswahl?

Es ist ein beliebtes Spiel am Abend nahezu jeder Landtags-, Europa- oder Bundespräsidentenwahl. Journalisten fragen Experten – meist Politikwissenschaftler – danach, welche Auswirkungen dieses regionale Wahlergebnis auf die Bundesebene haben wird. Die Experten spielen häufig mit und mutmaßen darüber, dass diese unerwartet hohen Verluste, Gewinne oder diese neue Koalitionskonstellation schon in der ein oder anderen Weise die Bundespolitik beeinflussen werde.

Aus Sicht der Wissenschaft sollte man mindestens ein Fragezeichen hinter solche Medienspiele setzen. Zum einen können die Wähler sehr wohl zwischen verschiedenen Wahlebenen unterscheiden. Gute Indikatoren sind unterschiedliche Wahlbeteiligungsraten oder die ganz unterschiedliche Bewertung von Bundes- oder Landesregierungen sowie -parteien. Und am gleichen Tag gab es schon häufig in verschiedenen Bundesländern ganz unterschiedliche Wahlergebnisse wie z.B. am 25. März 2001 in Baden-Württemberg (hier gewann die CDU hinzu und blieb in der Regierung) und in Rheinland-Pfalz (hier gewann die SPD hinzu und blieb an der Regierung). In beiden Fällen spielte die Landespolitik für die Wahlentscheidung die zentrale Rolle.

Wir wissen andererseits, dass Wahlergebnisse niedrigerer Ordnung stets zu einem variablen Grad von der Bundespolitik beeinflusst werden. Vor allem inmitten von Legislaturperioden des Bundestags gibt es häufig starke anti-gouvernementale Effekte, die dann auch die Landesparteien zu spüren bekommen. Viele Wähler protestieren auf der ihnen gerade zur Verfügung stehenden (Landes-)Ebene gegen die Bundesregierung. Dies begünstigte vor fünf Jahren die CDU im Saarland, die PDS in Thüringen und die NPD in Sachsen. Nun stehen wir am Ende der Legislaturperiode auf Bundesebene, so dass diese Effekte deutlich schwächer sein werden. Zum anderen ist vor allem die CDU nicht mehr in der Opposition, sondern führende Regierungspartei. Insbesondere für sie wird es schwieriger als 2004, zumal im Saarland, wo der Regierungschef immerhin schon zehn Jahre im Amt ist.

Mögliche Effekte von Landtagswahlergebnissen auf Bundestagswahlergebnisse sind demgegenüber vor allem eines: hoch spekulativ. Nicht vier, sondern zwei Wochen vor der Bundestagswahl 1998 fand eine Landtagswahl in Bayern statt. Die CSU gewann damals – trotz hoffnungsloser Situation der Union auf Bundesebene – hinzu und verteidigte souverän die absolute Mehrheit in Bayern. Ein Bundeseffekt dieser Wahl blieb aus, zumindest zwei Wochen später. Es gab in Umfragen zwar einen temporär positiven Effekt für die CDU/CSU in der Woche unmittelbar nach der damaligen Bayernwahl, doch bis zur Bundestagswahl war dieser Effekt verflogen. Selbst die Bayern konnten Kohl nicht retten.

Wie also sollten die drei Landtagswahlen (oder gar die Kommunalwahlen in NRW) von heute Einflüsse auf das Wahlverhalten bei der Bundestagswahl am 27. September haben? Und wie sollten sie Steinmeier zurück „ins Rennen“ bringen? Sicher, systematisch ausschliessen kann man bundespolitische Effekte nicht, vor allem wenn es sich um dramatische Ergebnisse handelt. Doch wenn beispielsweise ein Ministerpräsident stürzt, hat das zwar politische Effekte, vor allem auf innerparteiliche Machtverhältnisse, aber das Wahlverhalten auf der weitaus wichtigeren politischen Ebene, dem Bund, wird davon weitgehend unbeeinflusst bleiben. Zwar entschlossen sich Schröder und Müntefering noch am Abend der verlorenen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai 2005, vorgezogene Neuwahlen anzustreben. Doch die NRW-Wahl war lediglich der schmerzhafte Endpunkt einer langen Leidenszeit. Vorausgegangen waren Landtagswahlpleiten in Serie, ein „Heide-Mörder“ und eine Abspaltung von der SPD, die WASG. Die Lage ist 2009 eine völlig andere. Deshalb werden die Wahlen von heute vor allem eines sein: Der Startschuss für den Endspurt des Bundestagswahlkampfs 2009. Hier geht es dann um eine neue Bundesregierung. Die landespolitischen Ergebnisse von heute werden, davon sollte man ausgehen, für die Wähler dann keine Rolle mehr spielen.

 

Thüringen hakt nach

Kurz vor den Landtagswahlen am Sonntag ist noch immer schwer vorhersagbar, zu welchen Koalitionen die Ergebnisse führen könnten. Denn die Bandbreite der möglichen Koalitionen ist so groß wie selten zuvor: Ein rot-rotes Bündnis, eventuell mit Beteiligung der Grünen, ist ebenso denkbar wie Jamaika- oder Ampelkoalitionen oder die klassischen Varianten Schwarz-gelb und Große Koalition.

Diese unterschiedlichen Szenarien werfen Fragen auf. Gerade in Thüringen, wo derzeit neben der Koalitions- auch die Ministerpräsidentenfrage besonders heiß diskutiert wird, scheinen viele Bürgerinnen und Bürger noch großen Informationsbedarf zu haben und ihre Wahlentscheidung erst dieser Tage zu treffen. Ein Indikator dafür ist die Aktivität der Plattform abgeordnetenwatch.de, auf der man Politikern Fragen stellen kann. Hier wurden bis Freitag immerhin 785 Anfragen zur Landtagswahl in Thüringen verzeichnet, das sind umgerechnet immerhin ca. 35 Fragen pro 100.000 Einwohner. Damit wurden im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung mehr als doppelt so viele Fragen eingereicht wie in Sachsen und dem Saarland.

Die Politiker in Thüringen sind sich des Stellenwerts solcher Foren offensichtlich bewusst und haben etwas mehr als vier von fünf Fragen (82,7%) auch beantwortet. Damit liegen sie knapp vor den Kollegen in Sachsen (80,4%) und deutlich vor jenen im Saarland (69,8%). Zum Vergleich: Von den 2.715 Fragen, die bisher im Rahmen der Bundestagswahl gestellt wurden (das sind ca. 3,3 pro 100.000 Einwohner), wurden gerade mal 61,7% beantwortet.

Natürlich sind solche Zahlen interpretierbar. Beispielsweise könnte man argumentieren, dass der Stellenwert der Internetanfragen dort geringer ist, wo die Bevölkerungsdichte höher und es somit einfacher und wahrscheinlicher ist, die Kandidaten in der Nähe des Wohnortes persönlich an den Wahlständen anzutreffen. Dennoch zeigt die Internetaktivität der Bevölkerung (und der Politiker) an, dass es bis zuletzt noch einige unentschlossene Wählerinnen und Wähler gab und gibt. Gerade in Thüringen könnte es sich also lohnen, den Wahlkampf bis zur letzten Minute zu führen.

 

Die Schicksalsfrage

Die Bildungspolitik ist traditionell ein prominentes Wahlkampfthema. Zur Bundestagswahl 2009 jedoch scheint sich nun jedoch ein Sprung in die Riege jener Themen abzuzeichnen, die nicht nur eifrig diskutiert werden, sondern tatsächlich wahlentscheidend sind. Einer Forsa-Studie für die Zeitschrift „Eltern“ zufolge schreiben 86 Prozent der Befragten dem Bereich „Familie, Kinder, Bildung“ einen mindestens genauso großen Stellenwert zu, wie den klassischen Wahlkampfschlagern Arbeit und Wirtschaft. Für die repräsentative Umfrage wurden Eltern minderjähriger Kinder interviewt, es handelt sich also um eine auch zahlenmäßig starke (Ziel-)Gruppe.

Die Politik hat sich darauf eingestellt: Bildung ist fester Bestandteil der aktuellen Plakatkampagnen der Parteien und die Spitzenpolitiker betonen gebetsmühlenartig den besonderen Stellenwert von Schule, Kinderbetreuung und Ausbildung. Angela Merkel hat bereits im Jahr 2008 ein deutliches Zeichen gesetzt und die „Bildungsrepublik Deutschland“ zu einem zentralen Projekt ihrer Regierung erklärt. Dieses Ziel ist nun eine tragende Säule ihres Wahlkampfes. Ihr Herausforderer Frank-Walter Steinmeier hält die Bildungspolitik gar für die „Schicksalsfrage der Nation“, und die Oppositionsparteien prangern erwartungsgemäß Versäumnisse der Großen Koalition in diesem Bereich an.

Da ist es nicht weiter verwunderlich, dass Studien und Statistiken aus dem Bereich der Bildungsforschung schnell Eingang in den Wahlkampf finden. So lesen etwa die Unionsparteien die Ergebnisse des jüngst erschienenen „Bildungsmonitors“ der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft als Bestätigung ihrer Bildungspolitik – immerhin belegen von ihnen regierte Länder die ersten fünf Plätze der Tabelle. Aus sozialdemokratischer Perspektive hingegen zieht man den Blick auf das „Dynamik-Ranking“ vor, das die relativen Verbesserungen der Länder abbildet. Hier liegen auch einige sozialdemokratisch geführte Länder auf den vorderen Plätzen und das rot-schwarz-geführte Mecklenburg-Vorpommern steht mit weitem Abstand an erster Stelle. Ein schöner Zufall für die Sozialdemokraten ist zudem, dass dort Manuela Schwesig als Sozialministerin wirkt – jene Frau also, die als Shootingstar im Kompetenzteam Steinmeiers gehandelt wird.

Gesamtbewertung der Bundesländer im Zeitablauf

Quelle: Bildungsmonitor der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (Graphik kann durch Anklicken vergrößert werden)

Just sie hat aber jüngst betont, was sonst gerne übersehen wird: Dass es nämlich zwischen den einzelnen Bereichen der Sozialpolitik nicht nur viele Berührungspunkte, sondern auch Grenzen gibt. Ihr ging es um den Unterschied zwischen Frauen- und Familienpolitik; für die Bildungspolitik ist diese Erkenntnis aber mindestens ebenso zutreffend. Wirtschaft, Integration, Familienförderung, Arbeitsmarkt, Demographie – all diese Themen und die damit verbundenen Probleme werden derzeit mit der Bildungspolitik verbunden. Politiker aller Parteien versprechen schnelle Besserung hier durch bessere Bildung da. Selten wird jedoch erwähnt, dass Kitas, Kindergärten, Schulen, Hochschulen und Ausbildungsbetriebe mit diesem Aufgabenkatalog überfordert sein könnten. Im Wahlkampf spielt das meist nur eine Rolle, wenn es um die unzureichende Ausstattung der Einrichtungen oder die Frage der Finanzierung geht.

Am Geld alleine jedoch kann es nicht liegen, der „Bildungsmonitor“ konnte keinen Zusammenhang zwischen dem BIP eines Landes oder dem Einkommen seiner Bürger und seiner Leistung im Bildungsbereich feststellen. Eher lässt sich sogar die leichte Tendenz ausmachen, dass die wirtschaftlich schwächeren Länder etwas bessere Werte erzielen, wobei hierbei natürlich verschiedenste regionale Besonderheiten zu berücksichtigen sind. Nichtsdestotrotz weist dies darauf hin, dass es der Politik oftmals nicht nur am Geld, sondern auch an den passenden Konzepten fehlt.

Und so spitzt sich die Debatte derzeit auf eine wahlkampftaugliche Ja-oder-Nein-Frage zu: Soll der Bund in der Bildungspolitik wieder mehr Einluss erhalten? 91 Prozent der von Forsa befragten Eltern befürworten das. Die SPD nutzt die Gunst der Stunde und macht sich für die Abschaffung des Kooperationsverbotes zwischen Bund und Ländern stark – obwohl sie es im Rahmen der Föderalismusreform (nach einigen Protesten) mitgetragen hat.

Die Themenhoheit im Bereich der Bildungspolitik ist zwischen den Parteien hart umkämpft. Das ist keine besonders gute Voraussetzung für einen inhaltlichen Austausch jenseits plakativer Forderungen und polarisierender Debatten. Trotzdem sollte man versuchen, die derzeitige Prominenz des Themas für zukunftsweisende Reformprojekte zu nutzen.

 

Schwarz-Gelb wird gewinnen.

Die gewünschte Regierungskoalition der amtierenden Bundeskanzlerin, eine Koalition aus CDU/CSU und FDP, wird bei der kommenden Bundestagswahl mit einem Stimmenanteil von 52,9 Prozent eine Mehrheit erhalten.

Diese Einsicht verdanken mein Kollege Helmut Norpoth und ich einem von uns entwickelten Prognosemodell, das sich bei den letzten beiden Bundestagswahlen bewährte. Abgeleitet von theoretischen Ansätzen zur Erklärung von Wahlverhalten haben wir ein statistisches Modell entwickelt, das bereits im Sommer vor den letzten beiden Bundestagswahlen 2002 und 2005 exakte Vorhersagen liefern konnte und auf den richtigen Sieger tippte, während die Ergebnisse der Meinungsforschungsinstitute, basierend auf den Umfragewerten der Parteien, daneben lagen. Unser Verfahren lieferte einen Monat vor der Wahl sogar genauere Werte für die Regierungskoalitionen als alle etablierten Meinungsforschungsinstitute, einschließlich deren 18-Uhr-Prognosen am Wahlabend selbst.

Für die Entwicklung unseres Vorhersagemodells fragten wir uns, was wir aus den zurückliegenden Bundestagswahlen in der Geschichte der Bundesrepublik lernen können. Uns interessierte dabei besonders der gemeinsame Stimmenanteil der jeweiligen Regierungskoalition. Dies verwandelt die Wahlentscheidung zwischen beliebig vielen Parteien in zwei handliche Hälften: die Wahl für oder gegen die Regierung. Weil die amtierende Regierung sich selbst als Notlösung sieht, nachdem keines der politischen Lager 2005 eine Regierungsmehrheit auf sich vereinen konnte, sagen wir für die kommende Bundestagswahl den Stimmenanteil der von der Kanzlerinnenpartei präferierten Regierungskoalition voraus.

Ob auf einen Sieg einer solchen Koalition gehofft werden darf, erklären wir mit dem Zusammenwirken von lang-, mittel- und kurzfristigen Einflussfaktoren. Da ist zunächst erstens der langfristige Wählerrückhalt der Regierungsparteien – gemessen als durchschnittlicher Wahlerfolg bei den vorangegangenen drei Bundestagswahlen. Hinzu kommt zweitens der mittelfristig wirksame Prozess der Abnutzung im Amt – gemessen durch die Zahl der Amtsperioden der Regierung. Drittens geht die durchschnittliche Popularität der jeweils amtierenden Kanzler ein, gemessen durch Werte in Umfragen im Zeitraum von ein und zwei Monaten vor einer Bundestagswahl.

Mit Hilfe statistischer Analyseverfahren können wir das Zusammenwirken dieser drei Faktoren und deren Gewichtung für die Stimmabgabe zu Gunsten der von der Kanzlerin präferierten Regierungskoalition wie folgt bestimmen.

Prognose für Schwarz-Gelb = -5,6 + 0,75*(PAR) + 0,38*(KAN) – 1,53*(AMT)

PAR: Langfristiger Wählerrückhalt der Regierungsparteien (Mittel der Stimmenanteile in den letzten drei Bundestagswahlen)
KAN: Kanzlerunterstützung (unter Ausschluss von Unentschlossenen)
AMT: Abnützungseffekt (Anzahl der Amtsperioden der Regierung)

Für die Berechnung der Prognose für 2009 brauchen wir noch drei Werte. Für den längerfristigen Wählerrückhalt, den Schwarz-Gelb bei den Wählern genießt, ergibt sich ein Wert von 44,1%. Dies entspricht dem Durchschnitt der Stimmenanteile, die Schwarz-Gelb in den letzten drei Bundestagswahlen gewinnen konnte. Hinzu kommt eine Kanzlerunterstützung von 71% für Angela Merkel auf Basis der Erhebungen im Juli und August der Forschungsgruppe Wahlen. Dieser Wert ergibt sich als gemittelter Anteil der Befragten in den Politbarometern im Juli und August, die lieber Merkel statt Steinmeier als Bundeskanzler hätten, unter Ausschluss der Unentschlossenen. Schließlich hat die amtierende Regierung bei dieser Bundestagswahl erst eine Amtsperiode hinter sich. Somit hat sie nur mit einem geringen Abnützungseffekt zu kämpfen.

Werden diese drei Werte in die obige Formel eingesetzt, ergibt das eine Prognose von 52,9 Prozent an Zweitstimmen für Schwarz-Gelb am 27. September 2009. Diese Prognose bestätigt damit eine vorläufige Vorhersage, die wir bereits im Juli auf diesem Blog sowie in der der Financial Times Deutschland veröffentlicht hatten.

 

Drei Landtagswahlen im Vorfeld einer Bundestagswahl – wie stehen die Chancen für die verschiedenen Koalitionsmöglichkeiten in Sachsen, Thüringen und an der Saar?

Wahlergebnisse in den Bundesländern senden in der Regel immer Signale in Richtung Bundespolitik aus. Dies gilt nicht nur im Hinblick auf Stimmengewinne und –verluste der Parteien, sondern auch für die Muster der Regierungsbildung. Man erinnere sich hier an die erstmalige Bildung einer rot-grünen Koalition in Nordrhein-Westfalen 1995: der damalige Ministerpräsident Johannes Rau (SPD) und wohl auch weite Teile der strukturell eher konservativen NRW-SPD waren alles andere als glücklich mit einem solchen Bündnis, doch blieb ihnen aufgrund der Mehrheitsverteilung im Landtag und dem Druck der Bundesebene, ein solches Bündnis im einwohnerstärksten deutschen Bundesland zu installieren, um so die Regierungsfähigkeit einer solchen Koalition für die Zeit nach der Bundestagswahl 1998 zu signalisieren, nichts anderes übrig, als eine rot-grüne Koalition einzugehen.

Es gibt eine Reihe weiterer, historisch älterer Beispiele, wo Koalitionen auf Landesebene dazu dienten, die Tragfähigkeit solcher Bündnisse auf Bundesebene auszutesten. Von den Landtagswahlen im Saarland, in Thüringen und in Sachsen und dem anschließenden Regierungsbildungsprozess könnte – gerade weil sie nur wenige Wochen vor der Bundestagswahl stattfinden – eine ähnliche Bedeutung ausgehen. Dies rührt vor allem daher, dass die SPD – das Debakel um die gescheiterte Bildung einer rot-grünen, von der „Linken“ tolerierten Minderheitsregierung in Hessen 2008 vor Augen – ihren Landesverbänden nicht nur im Osten, sondern nun auch im Westen freie Hand für eine Zusammenarbeit mit der SED- bzw. PDS-Nachfolgepartei gegeben hat, ein solches Bündnis jedoch auf Bundesebene nach wie vor ausschließt. Generell haben die deutschen Parteien aus der verfahrenen Situation in Hessen nach den Wahlen vom Februar 2008 gelernt und schließen weniger Koalitionsoptionen a priori aus als zuvor. Dies gilt zu einem geringeren Grad für die kommende Bundestagswahl, wo die Grünen eine Jamaika-Koalition ausgeschlossen haben und die SPD jedwedes Bündnis mit der „Linken“ ablehnen, sondern vor allem für die drei kommenden Landtagswahlen. So ist ein schwarz-gelb-grünes Bündnis weder von CDU noch von FDP und Bündnisgrünen rundweg abgelehnt worden. Auch schließt die SPD eine Koalition mit der Linken im Saarland und in Thüringen nur dann aus, wenn die Sozialdemokraten nicht den Ministerpräsidenten stellen könnten.

Jüngste Umfragen von Infratest-Dimap und der Forschungsgruppe Wahlen zeigen, dass eine Mehrheit für ein Bündnis für die in allen drei Ländern von jeweils beiden Parteien präferierte CDU/FDP-Koalition nur in Sachsen relativ sicher ist. Was sind nun dann die nächst wahrscheinlicheren Optionen? Auf der Grundlage gängiger Koalitionstheorien wissen wir, dass Parteien an der Besetzung politischer Ämter sowie an der Durchsetzung ihrer in Wahlprogrammen proklamierten inhaltlichen Positionen interessiert sind. Daraus lässt sich kurz gefasst ableiten, dass Koalitionen umso wahrscheinlicher sind, wenn sie

* über eine sie stützende Mehrheit im Parlament verfügen, diese Mehrheit jedoch nicht übergroß ist und von so wenigen Parteien wie möglich getragen wird;
* aus solchen Parteien zusammengesetzt ist, die möglichst ähnliche programmatische Positionen vertreten.

Zusätzlich gibt es theoretische Ansätze, die der stärksten Parlamentspartei einen besonderen Vorteil im Regierungsbildungsprozess zusprechen und der amtierenden Koalition einen Startvorteil im neuen Regierungsbildungsprozess zugestehen. Des Weiteren sollten die im Wahlkampf getätigten Koalitionsaussagen einen Einfluss ausüben: wird eine Aussage zugunsten einer künftigen Koalition zwischen zwei (oder auch mehr) Parteien getroffen, dann sollte dies einen positiven Effekt auf die schlussendliche Bildung dieser Koalition ausüben. Wird ein Bündnis hingegen von vorneherein abgelehnt, dann sollten die Chancen zur Bildung einer solchen Koalition sinken. In Deutschland ist ein weiterer Faktor von Bedeutung, der sich aus der Rolle des Bundesrates in der Gesetzgebung ergibt: die Parteien auf Bundesebene sind daran interessiert, in den Ländern solche Koalitionen zu „installieren“, die mit der parteipolitischen Zusammensetzung von Regierung und Opposition auf Bundesebene übereinstimmen. Wenn solche Landesregierungen die Mehrheit der Sitze im Bundesrat stellen, die aus den selben Parteien wie die Bundesregierung gebildet sind, dann sollte es für die Bundesregierung einfacher sein, ihre Gesetzesinitiativen durch die Länderkammer zu bringen als in Situationen, wo die Bundestagsopposition eine Mehrheit im Bundesrat kontrolliert.

Auf der Grundlage eines Datensatzes, der alle 79 Regierungsbildungsprozesse in Bund und Ländern seit Januar 1990 beinhaltet und davon in 66 Fällen (83,5%) die Regierungsbildung korrekt voraussagt (Bräuninger & Debus 2008, 2009), können wir mit Hilfe multivariater statistischer Analysetechniken die Wahrscheinlichkeiten ermitteln, die jede theoretisch denkbare Koalition (hierzu zählen etwa auch Einparteien-Minderheitsregierungen) nach den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und dem Saarland aufweist. Auf der Grundlage der letzten Umfragen wird davon ausgegangen, dass nur in Sachsen Union und Liberale eine Mehrheit im Parlament erringen, wohingegen es keine Mehrheit für eine potentielle christlich-liberale Koalition in Thüringen und an der Saar gibt. Die programmatischen Positionen der Landesparteien werden anhand einer computergestützten Analyse der Landtagswahlprogramme gewonnen. Auf der Grundlage dieser Positionen lässt sich die ideologische Distanz zwischen den jeweiligen Parteien innerhalb jeder potentiell möglichen Koalition bemessen.

Die Wahrscheinlichkeitsverteilungen der am stärksten diskutierten Koalitionsoptionen sind in der folgenden Tabelle 1 getrennt nach Bundesland dargestellt. In Sachsen dominiert klar eine CDU/FDP-Koalition die Wahrscheinlichkeitsverteilung. Auf der Grundlage dieser Ergebnisse scheint somit die Fortführung der Koalition aus Union und SPD sehr unwahrscheinlich, wenn CDU und Liberale eine gemeinsame Mehrheit im sächsischen Landtag erringen. Im Saarland und in Thüringen, wo wir das Wahlergebnis mit Hinblick auf die letzten Umfragewerte so simuliert haben, dass Union und FDP keine Mehrheit in den beiden Landtagen erreichen, stehen die Chancen für die Bildung einer Koalition aus CDU und SPD gut – sie dominiert ein Linksbündnis, dessen Chancen in beiden Ländern bei rund 10% liegt, sowie auch eine Jamaika-Koalition, die jedoch mit Wahrscheinlichkeitswerten von etwas weniger als 40% auf keinen Fall als chancenlos abzutun ist.

Tabelle 1: Wahrscheinlichkeiten ausgewählter Koalitionsoptionen

  Saarland Sachsen Thüringen
CDU und SPD 47,0% 13,6% 46,9%
CDU, FDP und Grüne 36,6% 0,0% 38,4%
SPD, Grüne und Linke 9,4% 0,0% 10,8%
CDU und FDP 3,0% 86,1% 0,1%

Nun basieren diese Schätzungen – wie oben beschrieben – auch auf einer Variable, die die Bedeutung der Kongruenz zwischen dem Parteienwettbewerb auf Bundes- und Landesebene umfasst. In diesem Fall impliziert dies einen positiven Effekt für eine Koalition aus CDU und SPD in den Ländern, da diese zum Zeitpunkt der Landtagswahlen im August 2009 (noch) die Bundesregierung stellen. Lässt man diese Variable aufgrund des mehr oder weniger offensichtlichen Wunsches von Union und SPD, die große Koalition in Berlin nach den kommenden Bundestagswahlen zu beenden, in den statistischen Schätzungen außer acht, dann ändert sich auch die Verteilung der Wahrscheinlichkeiten auf die jeweils theoretisch möglichen Koalitionsoptionen. Die in Tabelle 2 abgetragenen Wahrscheinlichkeitsverteilungen auf die vier momentan am häufigsten diskutierten Szenarien der Regierungsbildung zeigen nunmehr, dass sowohl im Saarland als auch in Thüringen eine „Jamaika-Koalition“ leicht wahrscheinlicher ist als ein CDU/SPD-Bündnis. Die Chancen zur Bildung einer Koalition aus Sozialdemokraten, Grünen und Linken steigen hingegen nur geringfügig an.

Tabelle 2: Wahrscheinlichkeiten ausgewählter Koalitionsoptionen – Kongruenz zur Bundesebene wird nicht berücksichtigt

  Saarland Sachsen Thüringen
CDU, FDP und Grüne 43,1% 0,0% 42,5%
CDU und SPD 38,0% 19,8% 40,1%
SPD, Grüne und Linke 12,1% 0,0% 13,6%
CDU und FDP 3,0% 79,8% 0,1%

Da maßgeblich entscheidend für die Koalitionsbildung die Stärke der Fraktionen in den Landesparlamenten ist, sind die hier geschätzten Wahrscheinlichkeiten für die einzelnen Koalitionsoptionen naturgemäß nur unter Vorbehalt zu betrachten. Sollten sich im Saarland und in Thüringen Mehrheiten für CDU und FDP in den Landtagen bilden, dann ist eine Koalition dieser beiden Parteien nahezu sicher. Sollte es aber keine Mehrheit für das „bürgerliche Lager“ geben, dann sind die Chancen für „Jamaika“ im Saarland nahezu ähnlich gut wie für eine CDU/SPD-Koalition – lediglich für ein Linksbündnis sieht es – überraschenderweise – nicht so gut aus, was im Saarland wohl auch an den gegensätzlichen Forderungen von Grünen und Linken zur Zukunft des Bergbaus liegen mag.

Literatur

Bräuninger, Thomas/Debus, Marc (2008): Der Einfluss von Koalitionsaussagen, programmatischen Standpunkten und der Bundespolitik auf die Regierungsbildung in den deutschen Ländern, in: Politische Vierteljahresschrift 49, 309-338.
Bräuninger, Thomas/Debus, Marc (2009): Die Regierungsbildung nach der Bundestagswahl 2009: Wie wahrscheinlich ist eine Neuauflage der großen Koalition? Paper vorbereitet für den „Workshop zur Bundestagswahl 2009“ auf dem DVPW-Kongress in Kiel, 21. bis 25. September 2009.

 

Der Schröder-Reflex

Am Abend der Bundestagswahl 2005 wurde Fernsehdeutschland Zeuge einer außergewöhnlichen politischen Forderung. Gerhard Schröder erhob ebenso lautstark wie kompromisslos den Anspruch, in der sich anbahnenden Großen Koalition Bundeskanzler zu bleiben, obwohl seine Partei knapp hinter der Union geblieben war. Auch wenn schließlich alles etwas anders kam, war dies doch das erste Mal, dass ein ungeschriebenes Gesetz in Frage gestellt wurde: Dass nämlich der stärkste Koalitionspartner den Regierungschef stellt.

Vier Jahre später nun kommen im Rahmen der anstehenden Landtagswahlen ähnliche Gedankenspiele auf. Insbesondere in Thüringen wird dieser Tage offen diskutiert, ob mögliche Linksbündnisse von einem SPD-Ministerpräsidenten geführt werden könnten, auch wenn die Linkspartei mehr Mandate als die SPD erringen sollte. Aus Sicht der SPD scheint dies die Antwort auf die heiß diskutierte Frage zu sein, wie man die vorausgesagte linke Mehrheit nutzen könnte, ohne insbesondere der Bundespartei eine schwere Bürde für die Bundestagswahl aufzuladen. Nach zahlreichen Versicherungen aus den Reihen der SPD, man werde dem Linkspartei-Spitzenkandidaten Bodo Ramelow nicht ins Amt helfen, könnte ein Einknicken nach der Wahl einen Sturm entfesseln, der die hessische „Wortbruch“-Debatte an Heftigkeit noch übertreffen könnte.

Die Alternative aber wäre ein politischer Kulturbruch, für den es sehr gute Gründe geben müsste. Die Argumente Schröders anno 2005 waren zum einen, dass die SPD gemessen an den Umfrageergebnissen im Wahlkampfendspurt mächtig aufgeholt hatte, sodass sie die Union bei einem etwas späteren Wahltermin hätte überholen können. Zum anderen konnte er seine guten Persönlichkeitswerte in die Waagschale werfen und sich als eine Art „Volkskanzler“ darstellen.

Ob die SPD in Thüringen in den verbleibenden zehn Tagen noch zum Endspurt ansetzen und die Linkspartei überholen kann, ist ungewiss. Die Persönlichkeitswerte der beiden Kandidaten jedoch zeigen, dass Spitzenkandidat Christoph Matschie nicht deutlich vor Bodo Ramelow liegt. Gemessen an der so genannten Direktwahlfrage (in der die beiden jeweils Ministerpräsident Dieter Althaus gegenübergestellt wurden, siehe Abbildung) schneidet er kaum besser ab. Dazu wurde auch der direkte Vergleich zwischen Matschie und Ramelow erhoben – allerdings nicht in Form einer Direktwahlfrage, sondern anhand der Frage, ob die Linke ihren Kandidaten durchsetzen oder den SPD-Mann mitwählen solle. Auch hier gewinnt Matschie mit einer relativen Mehrheit von 42 zu 31 Prozent. Allerdings sind diese Zahlen zum einen wegen der besonderen Fragestellung schwierig einzuschätzen und zum anderen ebenfalls nicht so deutlich wie der Abstand zwischen Gerhard Schröder und Angela Merkel vor der letzten Bundestagswahl.

Direktwahlfragen zu Thüringen 2009 und der Bundestagswahl 2005

Quellen: LanderTREND Thüringen und ARD Deutschlandtrend von Infratest dimap

Mittlerweile ist klar, dass ein wahrgenommener Endspurt und gute Persönlichkeitswerte allein keine hinreichenden Kriterien dafür sind, als „Juniorpartner“ das Amt des Regierungschefs übernehmen zu können. Neben der Außenwahrnehmung spielt auch die interne Atmosphäre eine wichtige Rolle, und hier sind sich Matschie und Ramelow sicher näher als Schröder und Merkel es waren. Vieles spricht aber dafür, dass nur alle diese Kriterien zusammen die absolut notwendige Grundlage für solch eine außergewöhnliche Entscheidung bilden könnten. Denn ein unter diesen Gegebenheiten gewählter Ministerpräsident bräuchte auch außerhalb seiner Koalition einen starken Rückhalt, um die Kritik an der Legitimität seiner Wahl entkräften zu können. Solange also die SPD und ihr Spitzenkandidat das linke Lager auch jenseits der klassischen „Sonntagsfrage“ nicht dominieren, wird es zu dieser kleinen Revolution wohl nicht kommen.

 

Jamaika an der Saar?

Das Aufkommen der Linkspartei hat den Grünen im Saarland (wie auch anderswo) eine interessante strategische Option geboten und es scheint, als wolle die Partei die Gelegenheit nutzen. Durch ihre Zurückhaltung in Koalitionsfragen und eine deutliche Emanzipation von der SPD konnten sich die Grünen in letzter Zeit zunehmend als unabhängige Größe zwischen CDU und FDP einerseits und SPD und Linkspartei andererseits positionieren.

Man könnte also sagen, dass die Grünen auf dem Weg sind, die neue FDP zu werden. Schon vor einiger Zeit haben die Grünen die FDP als „Partei der Besserverdiener“ abgelöst und sind also für entsprechende Wählergruppen attraktiv. Neu ist nun die strategische Komponente: Die Grünen haben die Position im Parteiengefüge eingenommen, die für die FDP (insbesondere auf Bundesebene) früher charakteristisch war. Sie befinden sich zwischen dem bürgerlichen und dem linken Lager, die im Saarland beide mit jeweils ca. 45% der Stimmen rechnen können und somit beide sind für eine Regierungsbildung auf die Unterstützung der Grünen angewiesen sind.

Die Grünen richten ihren Wahlkampf folgerichtig auf die Verhinderung einer Großen Koalition aus – eine populäre Forderung, die zugleich keine Festlegung der Partei verlangt (auf Nachfrage wird vom Spitzenkandidaten der Grünen die rechnerisch kaum mögliche Ampelkoalition als Präferenz genannt). Natürlich wird die Frage, welchem Bündnis man sich anschließen möchte, nach der Wahl unvermeidlich sein. Sicher scheint aber schon heute, dass die Entscheidung darüber nicht aus dem Bauch heraus getroffen wird, sondern vom strategischen Kalkül der Partei geprägt sein wird. Strategieentscheidungen wiederum sind immer an den Ergebnissen orientiert, die man erreichen möchte. Für eine erste vorsichtige Einschätzung des Verhaltens der saarländischen Grünen nach der Wahl lohnt daher ein Blick auf ihre vermeintlichen Ziele.

Die Politikwissenschaft schreibt Parteien drei zentrale Ziele zu: das Gewinnen möglichst vieler Stimmen, das Besetzen möglichst vieler Ämter und das Durchsetzen möglichst vieler Punkte des Parteiprogramms. Der Erfolg oder Misserfolg bezüglich der errungenen Stimmen steht am Wahltag fest, wichtige Faktoren für die Entscheidung in der Koalitionsfrage sind somit vor allem die zu besetzenden Ämter und die politischen Vorhaben, die man verwirklichen möchte.

Bezüglich der politischen Inhalte fällt eine Einschätzung schwer: Die Grünen kritisieren zwar Seite an Seite mit SPD und Linkspartei die CDU-Regierung, beispielsweise in der Bildungspolitik, andererseits hat aber ein anderes Herzensthema, die Energiepolitik, zu Verstimmungen mit der SPD geführt. Hier scheinen die Grünen dem amtierenden CDU-Umweltminister näher zu stehen als dem in die Kritik geratenen Schattenumweltminister der SPD.

Für die Frage der Ämtervergabe scheint die Jamaika-Option attraktiver zu sein als das Linksbündnis mit SPD und Linkspartei. Eine Betrachtung der bisherigen Dreierbündnisse auf Landesebene (die „Ampeln“ in Brandenburg und Bremen Anfang der 90er Jahre) zeigt, dass in solchen Koalitionen die beiden kleineren Parteien am Kabinettstisch leicht überproportional vertreten waren (siehe Graphik). Lediglich die Bremer Grünen stellten 1991 in der Koalition prozentual gesehen weniger Senatoren als Abgeordnete, allerdings wurde 1993 ein FDP-Senator durch ein Mitglied der Grünen ersetzt.

Ein Bündnis zwischen zwei größeren und einer kleineren Partei gab es bisher noch nicht, es darf aber vermutet werden, dass die Grünen in einem solchen Szenario nicht nur bezüglich der Quantität sondern vor allem auch bezüglich der Qualität der besetzten Ämter die klare Nummer drei sein würden. Beispielsweise würde das wichtige Amt des/der stellvertretenden Ministerpräsident/in, das in einem Jamaika-Bündnis im Bereich des Möglichen liegt, in einem Linksbündnis in weite Ferne rücken.

Die politischen Verhältnisse im Saarland sind natürlich nicht auf die Bundesebene übertragbar. Allerdings könnte sich das Land nach der Wahl am 30. August hervorragend dafür eignen, koalitionspolitische Testballons steigen zu lassen…

 

Merkel macht’s: Eine Prognose zum Wahlausgang

Bei der Bundestagswahl im Herbst zeichnet sich eine neue Mehrheit ab unter Leitung der amtierenden Regierungschefin. Die Deutschen mögen Merkel. Die aktuellen Popularitätswerte der ersten Kanzlerin in der Geschichte der Bundesrepublik sind im Vergleich zu denen ihres Herausforderers, Frank-Walter Steinmeier, auf einem historischen Hoch. Seit der Wiedervereinigung war der Abstand zwischen den Popularitätswerten eines amtierenden Kanzlers und des Herausforderers noch nie so groß gewesen. Sofern die Popularitätsraten der Spitzenkandidaten vom Frühjahr stabil bleiben, wird Merkels Popularität entscheidend sein, um einer von ihr geführten CDU/CSU-FDP-Koalition eine absolute Mehrheit der Zweitstimmen zu sichern.

Diese Einsicht verdanken wir einem von uns entwickelten Prognosemodell, das sich bei den letzten beiden Bundestagswahlen bewährte. Abgeleitet von theoretischen Ansätzen zur Erklärung von Wahlverhalten haben wir ein statistisches Modell entwickelt, das bereits im Sommer vor den letzten beiden Bundestagswahlen 2002 und 2005 exakte Vorhersagen liefern konnte und auf den richtigen Sieger tippte, während die Ergebnisse der Meinungsforschungsinstitute, basierend auf den Umfragewerten der Parteien, daneben lagen. Unser Verfahren lieferte einen Monat vor der Wahl sogar genauere Werte für die Regierungskoalitionen als alle etablierten Meinungsforschungsinstitute, einschließlich deren 18-Uhr-Prognosen am Wahlabend selbst.

Für die Entwicklung unseres Vorhersagemodells fragten wir uns, was wir aus den zurückliegenden Bundestagswahlen in der Geschichte der Bundesrepublik lernen können. Uns interessierte dabei besonders der gemeinsame Stimmenanteil der jeweiligen Regierungskoalition. Dies verwandelt die Wahlentscheidung zwischen beliebig vielen Parteien in zwei handliche Hälften: die Wahl für oder gegen die Regierung. Weil die amtierende Regierung sich selbst als Notlösung sieht, nachdem keines der politischen Lager 2005 eine Regierungsmehrheit auf sich vereinen konnte, sagen wir für die kommende Bundestagswahl den Stimmenanteil der von der Kanzlerinnenpartei präferierten Regierungskoalition bestehend aus CDU, CSU und FDP voraus.

Ob auf einen Sieg einer solchen Koalition gehofft werden darf, erklären wir mit dem Zusammenwirken von lang-, mittel- und kurzfristigen Einflussfaktoren. Da ist zunächst erstens der langfristige Wählerrückhalt der Regierungsparteien – gemessen als durchschnittlicher Wahlerfolg bei den vorangegangenen drei Bundestagswahlen. Hinzu kommt zweitens der mittelfristig wirksame Prozess der Abnutzung im Amt – gemessen durch die Zahl der Amtsperioden der Regierung. Drittens geht die Popularität des amtierenden Kanzlers ein, gemessen als mittlerer Wert jeweils ein und zwei Monate vor einer Bundestagswahl. Mit Hilfe statistischer Analyseverfahren können wir das Zusammenwirken dieser drei Faktoren und deren Gewichtung für die Stimmabgabe zu Gunsten einer Regierungskoalition äußerst genau bestimmen.

Bis auf den Wert der Kanzlerunterstützung kurz vor der Wahl liegen alle benötigten Modellwerte bereits vor. Es ist jedoch noch nicht möglich, schon heute eine exakte Prognose für den Ausgang der Bundestagswahl im Herbst zu erstellen. Die kann es nach der Logik unseres Modells erst Mitte August geben. Allerdings können wir auf Grund hypothetischer Popularitätswerte der Bundeskanzlerin, die sie kurz vor der Wahl im Vergleich zu Ihrem Herausforderer genießen könnte, schon heute sehen, welches Ergebnis unser Modell dann vorhersagen würde.

Nach den letzten veröffentlichten Politbarometern vom Mai und Juni, bereinigt um die Unentschlossenen, liegt die Zustimmungsrate für Merkel bei 65 Prozent. Steinmeier rangiert dagegen nur bei 35 Prozent. Bliebe es dabei, würde unser Prognosemodell komfortable 50,6 Prozent für das schwarz-gelbe Lager vorhersagen. Damit würde es für einen Regierungswechsel für eine CDU/CSU-FDP-Koalition nach der Wahl im September reichen.

 

Wie die Wirtschaftskrise doch noch die Wahl beeinflussen kann

Die Wirtschaftskrise nutzt bisher vor allem der Union. Aber wenn die Arbeitslosigkeit deutlich steigt und die Angst in der Bevölkerung wächst, könnte sich das ändern.

Auf die Finanzkrise folgte die staatliche Bankenrettung; auf die Wirtschaftskrise folgten staatliche Bürgschaften für Unternehmen. Der Staat greift wieder aktiv ein, nach sozialdemokratischer Manier. Gegeißelt werden „gierige“ Manager, der Kapitalismus gerät in die Kritik. Was läge da näher als Verluste für bürgerliche Parteien, die zumeist als wirtschaftsnah gelten, und Gewinne für linke Parteien?

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Das Kieler Landeshaus im Schatten des Berliner Reichstags?

Gut zwei Monate vor der Bundestagswahl hat das landespolitische Geschehen in Schleswig-Holstein die Bundespolitik wenigstens für den Moment aus dem Zentrum des öffentlichen Interesses verdrängt. Bedenkt man, dass eine Landesregierung, überdies eine, die von den gleichen Parteien getragen wird wie die Bundesregierung, auf des Messers Schneide steht, ist das nur allzu verständlich. Wie diese Krise ausgehen wird und ob der schleswig-holsteinische Landtag den Weg für eine Landtagswahl am 27. September ebnen wird, lässt sich im Moment nicht absehen. Dies gilt umso mehr, als geheime Abstimmungen gerade im nördlichsten Bundesland zu erheblichen Überraschungen führen können. Sollte es tatsächlich zu einer vorgezogenen Landtagswahl kommen, stellt sich freilich die Frage, ob das Zusammentreffen von Landes- und Bundestagswahl Konsequenzen für das Wahlverhalten hätte.

Im deutschen Mehrebenensystem lassen sich die verschiedenen Politikarenen generell nicht scharf voneinander trennen. In Landtagswahlkämpfen spielt daher häufig die Bundespolitik eine wichtige Rolle. Auch Bürger reagieren mit ihrem Landtagswahlverhalten auf die Bundespolitik. Beispielsweise nutzen einige die Stimmabgabe bei einer Landtagswahl, um ihrer Unzufriedenheit mit der Bundesregierung auszudrücken. Diese Verhaltensmuster haben dazu beigetragen, dass Landtagswahlen häufig als Nebenwahlen charakterisiert werden. Diese Charakterisierung mag in etlichen Fällen übertrieben sein. Bei Landtagswahlen, die am Tag der Bundestagswahl stattfinden, scheint sie der Realität jedoch recht nahe zu kommen. Dafür sprechen empirische Befunde zu parallel abgehaltenen Land- und Bundestagswahlen in der Vergangenheit. Parteien erzielten bei beiden Wahlen beinahe identische Stimmenanteile, und nur sehr wenige Wähler machten von der Möglichkeit des Stimmensplittings zwischen Land und Bund Gebrauch. Zudem scheint die Landtagswahlentscheidung vergleichsweise stark von bundespolitischen Motiven bestimmt gewesen zu sein. Die Zusammenlegung trug somit zu einer verstärkten bundespolitischen Durchdringung von Landtagswahlen bei.

Vor diesem Hintergrund liegen die Schlussfolgerungen für Schleswig-Holstein recht klar auf der Hand. Sollte die Landtagswahl auf den 27. September vorverlegt werden, wird es die Landespolitik vergleichsweise schwer haben, im Wahlkampf eine prominente Rolle zu spielen. Zudem wird das Landtagswahlverhalten relativ stark von bundespolitischen Faktoren beeinflusst werden. Es ist also damit zu rechnen, dass die Landtagswahl stärker als bei getrennten Urnengängen eine bundespolitische Nebenwahl sein wird. Damit ist freilich noch nicht gesagt, welche Parteien davon profitieren werden. Denn wie schnell sich ein vermeintlich stabiler Bundestrend umkehren kann, das haben nicht zuletzt die Wahljahre 2002 und 2005 gezeigt.