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Kanzlermodell sagt Wiederwahl von Merkel voraus

Von Thomas Gschwend und Helmut Norpoth

 
Bei der Bundestagswahl im Herbst zeichnet sich eine Wiederwahl der amtierenden Regierungskoalition ab. Die amtierende Regierungschefin konnte im Vergleich zur letzten Bundestagswahl ihre Popularität noch einmal steigern. Die aktuellen Popularitätswerte von Angela Merkel sind im Vergleich zu denen ihres Herausforderers Peer Steinbrück wirklich historisch hoch. Nur Willy Brandt 1972 im Vergleich zu Rainer Barzel sowie Konrad Adenauer 1953 im Vergleich zu Erich Ollenhauer genossen einen noch deutlicheren Ansehensvorsprung in der Geschichte der Bundesrepublik. Sofern der derzeitige Popularitätsvorsprung von Angela Merkel über den Sommer stabil bleibt, wird das ihrer CDU/CSU-FDP-Koalition eine absolute Mehrheit der Zweitstimmen am 22. September sichern.

Diese Einsicht verdanken wir einem von uns entwickelten Vorhersagemodell, das sich bei den letzten drei Bundestagswahlen bewährte. Abgeleitet von theoretischen Ansätzen zur Erklärung von Wahlverhalten haben wir ein Prognosemodell entwickelt, dass jeweils im Sommer vor den Bundestagswahlen 2002, 2005 und 2009 bereits den jeweiligen Sieger richtig vorhersagte. Ob auf einen Sieg der amtierenden Regierungskoalition gehofft werden darf, erklären wir mit dem Zusammenwirken von lang-, mittel- und kurzfristigen Einflussfaktoren. Da ist zunächst erstens der langfristige Wählerrückhalt der Regierungsparteien – gemessen als durchschnittlicher Wahlerfolg bei den vorangegangenen drei Bundestagswahlen. Hinzu kommt zweitens der mittelfristig wirksame Prozess der Abnutzung im Amt – gemessen durch die Zahl der Amtsperioden der Regierung. Drittens geht die Popularität des amtierenden Kanzlers ein, gemessen als mittlerer Wert jeweils ein und zwei Monate vor einer Bundestagswahl. Dennoch ist die historische Popularität der Kanzlerin trügerisch, da mittlerweile am rechten Spektrum eine neue Partei aussichtsreich um den Einzug in den Bundestag kämpft, die „Alternative für Deutschland“ (AfD). Anhänger dieser Partei werden sich eher für Merkel statt für Steinbrück als Kanzlerin aussprechen, ohne aber letztlich die jetzige Regierung bei den Wahlen zu unterstützen. Eine solche Situation korrigieren wir – übrigens wie bei Gerhard Schröder 2005 mit der Linken -, indem wir einfach die Unterstützungswerte dieser Parteien vom langfristigen Wählerrückhalt der jeweiligen Regierungsparteien abziehen. Auf solche Wähler kann sich die Regierungskoalition wahrlich nicht verlassen. Mit Hilfe statistischer Analyseverfahren können wir schließlich das Zusammenwirken dieser drei Faktoren und deren Gewichtung für die Stimmabgabe zu Gunsten einer Regierungskoalition äußerst genau bestimmen.

Bis auf den Wert der Kanzlerunterstützung kurz vor der Wahl liegen alle benötigten Modellwerte bereits vor. Es ist jedoch noch nicht möglich, schon heute eine exakte Prognose für den Ausgang der Bundestagswahl im Herbst zu erstellen. Die kann es nach der Logik unseres Modells erst Mitte August geben. Allerdings können wir auf Grund hypothetischer Popularitätswerte der Bundeskanzlerin, die sie kurz vor der Wahl im Vergleich zu ihrem Herausforderer genießen könnte, schon heute sehen welches Ergebnis unser Modell dann vorhersagen würde.

Nach den letzten veröffentlichten Politbarometern vom Juli, bereinigt um die Unentschlossenen, liegt die Zustimmungsrate für Merkel bei 68 Prozent. Bliebe es dabei, würde unser Prognosemodell komfortable 49,7 Prozent für das schwarz-gelbe Lager vorhersagen. Damit wird es zu einer Wiederwahl der von Merkel geführten CDU/CSU-FDP-Koalition nach der Wahl im September kommen.

 

 

Regierung ohne Mehrheit? Eine große Zahl an Nichtwählern kann keiner Partei recht sein

In den 70er und 80er Jahren war es ganz normal, heutzutage ist es eine nicht mehr für möglich zu haltende Vorstellung: Die etablierten Parteien konnten gemeinsam die übergroße Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger für sich begeistern. Die Bezeichnung „Volkspartei“ für Union und SPD war gerechtfertigt.

Dieses Bild hat sich schon seit den 90ern kontinuierlich gewandelt, und als Begründung werden allzu häufig Politik- und Politikerverdrossenheit ins Feld geführt. Laut einer aktuellen Forsa-Umfrage wissen derzeit 30 Prozent der Wahlberechtigten nicht, ob sie zur Wahl gehen werden, weitere zehn Prozent würden sich für kleine Parteien deutlich unterhalb der 5-Prozent-Hürde entscheiden.

Dramatisch sind diese Zahlen freilich nicht. Die 30 Prozent „Politikverdrossenen“ sind vermutlich zumindest in Teilen für Botschaften zur Wahl empfänglich. Aus diesem Grunde ist der Begriff „Politikverdrossenheit“ auch überspitzt. Aus der Wahlforschung wissen wir, dass der größte Teil der Nichtwähler nicht aus Verdrossenheit und Desinteresse nicht wählen geht, sondern aufgrund mangelnder politischer Alternativen. Zumindest die zehn Prozent, die für kleine und Kleinstparteien stimmen wollen, drücken gleichwohl aus, dass das Parteienspektrum auch jenseits der etablierten Parteien breit ist und es durchaus Wahlmöglichkeiten gibt. Dazu kommt, dass die Mobilisierung von potenziellen Wählern eines der Hauptziele jedes Wahlkampfes ist. Die entsprechenden Planungen der Parteien laufen auf Hochtouren, und so könnte auch die Zahl der Nichtwähler am Ende geringer sein als der Anteil, den die aktuelle Umfrage ausweist.

Allerdings sind dies beides optimistische Argumentationen, und es lohnt sich ein Blick hinter die Fassade: Ist Wahlkampf tatsächlich politisches Werben, das die Bürger begeistern soll? Ist die Entscheidung für eine kleine Partei tatsächlich Ausdruck eines breiten demokratischen Angebots?

Wahlkämpfe haben viele Facetten und neben dem Herausstellen eigener Themen und Kompetenzen gehört auch die Auseinandersetzung mit dem Gegner dazu. Es geht also um Mobilisierung des eigenen Lagers und um Demobilisierung des anderen, auch wenn letzteres seltener erwähnt wird. Gerade der Bundeskanzlerin wird ein Talent zur „asymmetrischen Demobilisierung“, also dem Ausbremsen des politischen Gegners und seiner Anhänger, zugeschrieben. Dergestalt enttäuschte Wähler gehen entweder nicht zur Wahl oder geben leere Stimmzettel ab oder wählen aus Protest andere Parteien. Auch das ist ein Erklärungsansatz für den hohen Anteil, den die sonstigen Parteien in der aktuellen Umfrage erreichen.

Welche dieser Interpretationen nun richtig ist, lässt sich schwer ermitteln – vermutlich tragen wie so oft verschiedene Faktoren zur Erklärung bei. Dennoch sollten die aktuellen Zahlen für die Parteien ein Warnschuss sein. Es ist nicht ohne Risiko, um eine Gruppe zu konkurrieren, die immer kleiner wird…

 

Literatur

H. Rattinger/E. Wenzel (2004), „Nichtwähler und Protestwähler – eine strategische Größe des Parteiensystems?“ in: H. Zehetmair, Hg., Das deutsche Parteiensystem: Perspektiven für das 21. Jahrhundert, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 28-44.

 

 

Christian Wulff und die Wahlforschung

Die Rolle und das Amt des Bundespräsidenten werden in der empirischen Sozialforschung kaum beachtet; zu gering ist sein Einfluss, auch wird er nicht direkt gewählt. Dementsprechend wird das Amt auch in der Diskussion um die Personalisierung von Politik nicht beachtet. Dennoch sollen hier einige der wesentlichen und empirisch fundierten Erkenntnisse der empirischen Wahlforschung präsentiert werden, die sich auf die momentane Debatte um Christian Wulff übertragen lassen.

Die Personalisierung der Politik bzw. des Politischen wird in der Politischen Kommunikationsforschung und in der Wahlforschung schon seit geraumer Zeit erforscht. In anderen Worten: Man stellt sich der Frage, wie sehr politische Richtungsentscheidungen mit den Personen verbunden sind, welche sie vertreten. Unterscheiden lassen sich drei Dimensionen: a) die Personalisierung der Wahlkampfführung, b) die Personalisierung der Medienberichterstattung und c) die Personalisierung der Wahlentscheidung.

Wenn wir uns die Entwicklung der drei Dimensionen im internationalen Vergleich anschauen, lässt sich feststellen, dass die Personalisierung der Wahlkampfführung kein neues Phänomen ist, im Gegenteil: Parteien haben ihren Wahlkampf schon immer auf den Spitzenkandidaten ausgerichtet, die Dramaturgie der Wahlkämpfe, die „Drehbücher“, hatten schon immer einen Hauptdarsteller. Anders gelagert ist die Personalisierung der Medienberichterstattung. Hier lassen sich klare Veränderungen im Zeitverlauf festmachen: Mit dem Einzug des Fernsehens hielten nicht nur neue Formate wie z.B. TV-Duelle, Talkrunden etc. Einzug in das Politische – auch die Konzentration der Medien auf Personen nahm zu. Zwar sind nicht immer ausschließlich die Spitzenkandidaten im Fokus, aber Politiker per se stehen mehr und mehr im Rampenlicht.

Und nun kommen wir zur dritten Dimension, der Personalisierung des Wählerverhaltens. Diese lässt sich wiederum differenzieren in politische und unpolitische Eigenschaften – oder auch: rollennahe und rollenferne Eigenschaften – eines Kandidaten. Mit letzteren sind persönliche Integrität, physische Attraktivität und das Privatleben gemeint. Grundsätzlich festzuhalten ist, dass diese Eigenschaften eine immer wichtigere Rolle spielen: Bürgerinnen und Bürger richten ihre Wahlentscheidung mehr und mehr an den Kandidaten als an Parteien aus. Das Phänomen des personalisierten Wählerverhaltens ist uns aus präsidentiellen Systemen wohlbekannt, im US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf etwa ist der Faktor Persönlichkeit schon lange ein Kernelement, dass strategisch genutzt wird: Die Frage, ob ein Kandidat „präsidiabel“ ist, ist für die Wähler zentral, und Wahlkampfstrategen setzen scheinbar unpolitische Eigenschaften aus dem Privatleben der Kandidaten ebenso in Szene, wie ihre Familienmitglieder oder persönlichen Freunde. Vergleichsweise neu ist, dass solche Entwicklungen auch in der Parteiendemokratie erkennbar sind. Allerdings zeigt die empirische Forschung deutlich, dass auch dort, wo Parteien und nicht Personen gewählt werden, Wahlentscheidungen vermehrt an der Person des Spitzenkandidaten ausgerichtet werden.

Und es sind vor allem die unpolitischen, rollenfernen Eigenschaften, die dabei ins Gewicht fallen. Die Logik, der dieses Phänomen zugeschrieben wird, überzeugt: Politische Inhalte werden immer komplexer und Bürger haben immer weniger Zeit, sich mit diesen auseinanderzusetzen. Daher wählen sie sogenannte „kognitive Abkürzungen“. Sie leiten aus den unpolitischen Eigenschaften, über die sie sich schnell ein Urteil bilden können, ihre Einschätzung über die Kandidaten ab. Hier weist sich vor allem die Integrität der Kandidaten als wichtiger gegenüber den anderen unpolitischen Eigenschaften aus.

Was bedeutet dies nun für unsere Debatte um den Bundespräsidenten? Natürlich, er wird nicht direkt gewählt – dennoch wird er aber als prominenter Vertreter des Volkes wahrgenommen. Seine Autorität und seine Daseinsberechtigung in unserem politischen System sind in erster Linie darauf begründet, dass hier jemand jenseits der Grenzen der Parteienpolitik mit Vernunft, Moral und Augenmaß auf die politischen Entwicklungen im Land blickt, positive Entwicklungen fördert und negative offen anspricht. Dadurch wird dieses Amt zu demjenigen, welches am allerstärksten auf unpolitischen Eigenschaften beruht. Wenn diese nun aber schwinden, da die Integrität des Bundespräsidenten in Frage steht, liegt gemäß den Ergebnissen der Sozialforschung nahe, dass der Rückhalt in der Bevölkerung rapide sinken wird. Viel mehr noch, als wenn es sich um einen Minister oder Parteivorsitzenden handeln würde, für den sich eine gewisse durch Tricks und Kniffe unter Beweis gestellte Cleverness sogar positiv auswirken könnte. Man könnte auch sagen: Auf kein Amt wirkt sich ein Skandal potenziell so schädigend aus, wie auf das des Bundespräsidenten.

Literaturhinweise:

Aarts, Cees/Blais, André/Schmitt, Hermann (Hrsg.) ( 2011): Political Leaders and Democratic Elections. Oxford: OUP.

Klein, Markus/Ohr, Dieter (2000): Gerhard oder Helmut? Unpolitische Kandidateneigenschaften und ihr Einfluss auf die Wahlentscheidung bei der Bundestagswahl 1998, in: PVS 41, 2, 199-224.