Ich habe heute in Brüssel einen deutschen Politiker mit einem Nokia-Handy gesehen. Ich sage nicht, welchen. Ich will hier kein Shaming betreiben. Aber vorsichtshalber sage ich laut und deutlich, dass ich selbst ein Samsung-Modell besitze.
Natürlich herrscht auch in Brüssel Aufregung über die Entscheidung des finnischen Handy-Konzerns, sein Werk in Bochum zum Jahresende zu schließen. Rund 2300 Mitarbeiter sollen dort ihre Jobs verlieren, obwohl die Fabrik schwarze Zahlen schreibt. Von der Verlagerung nach Rumänien verspricht sich die Konzernzentrale in Helsinki 5 Prozent Einsparungen bei den Produktionskosten pro Gerät. So unsozial kennen wir die Skandinavier gar nicht.
Natürlich ist die Verlagerung aus Nordrhein-Westfalen, das dem Konzern 88 Millionen Euro Fördergelder bezahlt hatte, unmoralisch. Der grüne Bochumer Europaabgeordnete Frithjof Schmidt weist darauf hin, dass Nokia mit der Werksschließung „gegen alle Grundsätze einer sozial verantwortlichen Unternehmensführung, wie sie im entsprechenden Verhaltens-Kodex für Unternehmen der OECD festgelegt sind“, verstoße.
Tatsächlich hat die OECD Leitsätze für verantwortliche Unternehmungsführung herausgegeben. Von einem Verbot, profitable Werke zu schließen steht dort ausdrücklich zwar nichts. Aber die Leitsätze fordern Unternehmen auf, die Folgen zu bedenken, die eine Standortschließung für die Beschäftigten nach sich ziehen und – vor allem – zusammen mit den Betriebräten nach verträglichen Lösungen zu suchen, um die Konsequenzen möglichst mildern. *
Dass Nokia dies getan hätte, kann man dem Unternehmen nach allem, was bekannt ist, nicht nachsagen.
Aber: Rechtlich ist den Finnen nichts vorzuwerfen. Denn die Subventionsrichtlinien der EU sehen lediglich vor, dass Unternehmen frühestens fünf Jahre nach Erhalt der Förderungen ihren Standort verlagern dürfen. Sollte Nokia über die nordrhein-westfälische Landesregierung Fördermittel aus Brüssel erhalten haben, hätte das Unternehmen diese Frist eingehalten. Und selbst wenn Nokia nun für sein neues Werk in Rumänien neue Fördermittel erhalten sollte, geschähe dies völlig im Einklang mit den Subventionsrichtlinien der EU. Alle sieben Jahre erlässt die Europäische Kommission eine neue Fördermittelverordnung. Bis 2013 hat sie sagenhafte 975 Milliarden Euro zu vergeben. Sinn ist es, gerade den schwächeren Regionen beim Aufholen zu helfen.
Nokia profitiert also, wie es die SPD-Expertin für Strukturfonds, Constanze Krehl, festhält, „nur indirekt wie jedes andere Unternehmen von dem mit europäischen Fördergeldern errichteten Industriepark, in dem das Werk steht.“ Schließlich profitiert letztlich auch die deutsche Wirtschaft davon, wenn sich die Industrielandschaft in Rumänien modernisiert, das Lohnniveau steigt und die Osteuropäer sich mehr deutsche Waren leisten können.
Allerdings sollte sich die Europäische Kommission doch fragen, ob eine schlichte Bestandspflicht von fünf Jahren für Standorte nicht zum Subventionshopping verleitet, ob also manches Heuschreckenverhalten seinen Ursprung nicht in den bestehenden Regeln hat.
Laut Auskunft des SPD-Europaabgeordneten Helmut Kuhne (Wahlkreisabgeordneter aus Bochum), hat das Europäische Parlament bereits 2006 beschlossen, gegen Unternehmen, die innerhalb von sieben Jahren nach Erhalt der Förderung ihren Standort verlagern, Sanktionen zu verhängen. „Die Kommission“, so Kuhne, „hat diese Frist aber auf fünf Jahre herabgesetzt.“
Vielleicht wäre es gar keine schlechte Idee, diese Frist nicht nur zu verlängern, sondern auch die moralischen Standards der OECD in EU-Recht zu gießen. Sprich, eine sehr rigide Regel zu erlassen: Ein mit EU-Subventionen errichtetes Werk darf nicht geschlossen werden, solange es Gewinn macht. Ansonsten wären die Subventionen zurückzuzahlen.
Sicher, eine solche Regel verstieße gegen den guten kapitalistischen Grundsatz, wonach Unternehmen nicht bloß Gewinn machen sollen, sondern maximalen Gewinn. Aber wenn sie dies schaffen, dann sollte man sie wenigstens nicht mit den Steuergeldern davonkommen lassen, die der Staat ihnen als Starthilfe hat zukommen lassen.
Es würde Nokia sicher nicht schmerzen, die 88 Millionen Euro an das Land zurückzahlen. Denn womöglich könnte sie ein anderer Unternehmer in Bochum gerade gut gebrauchen – einer zum Beispiel, der tatsächlich bleibende Arbeitsplätze schaffen will.
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* In considering changes in their operations which would have major effects
upon the livelihood of their employees, in particular in the case of the closure
of an entity involving collective lay-offs or dismissals, provide reasonable
notice of such changes to representatives of their employees, and, where
appropriate, to the relevant governmental authorities, and co-operate with the
employee representatives and appropriate governmental authorities so as to
mitigate to the maximum extent practicable adverse effects. In light of the specific
circumstances of each case, it would be appropriate if management were
able to give such notice prior to the final decision being taken. Other means
may also be employed to provide meaningful co-operation to mitigate the
effects of such decisions.