Lesezeichen
‹ Alle Einträge

„Endlich Freiheit”

 

Zum Abschied gab’s Applaus von den versammelten Journalisten im Theatersaal des Bukarester Parlamentspalastes. Ja, ein bisschen professionelle Wehmut schien diesem Präsidenten fast hinterher zu wehen, als er von der Bühne abtrat. Schließlich war Wladimir Putin während seiner zehnjährigen Amtszeit immer für eine dramatische Schlagzeile gut.

Nur heute nicht.

Wladimir Putin gab bei seinem letzten großen Auftritt vor der Weltpresse ganz den Versöhner. “Es gibt keine ethischen Trennlinien in Europa”, sagte der russische Präsident, der Anfang Mai sein Amt an den Nachfolger Dimitri Medwedew übergibt. “Wirklich nichts, was uns trennt.”

Das vielleicht am häufigsten gebrauchte Wort in seiner Rede lautete “Partner”. Freundlich und konstruktiv habe er mit seinen “Partnern” von der Nato geredet. Er freue sich auf das morgige Treffen mit seinen amerikanischen Partnern (George W. Bush wird mit Putin in Sotschi zusammenkommen, um über Großthemen zu sprechen, für die beim Nato-Gipfel keine Zeit war). Er sprach von seinen iranischen “Partnern”, die nun einmal das “legitime Recht auf die Entwicklung ziviler Kernenergie” hätten. Und er stellte klar, dass ohne den Partner Russland auch für die Nato wenig liefe. Sowohl im Kampf gegen Proliferation und Terrorismus wie auch bei der Mission in Afghanistan sei der Westen auf sein Land angewiesen.

“Deswegen kooperieren wir mit der Nato.”

Kein Wutausbruch über die Nato-Perspektive, die das Bündnis der Ukraine und Georgien am Abend zuvor ausgesprochen hatte. Lediglich sein – abstraktes – Mantra gegenüber einer Nato, die noch immer keine klare Zukunftsaufgabe definiert habe, wiederholte der Präsident: „Das Erscheinen eines mächtigen Militärbündnisses an Russlands Grenze würde als direkte Bedrohung betrachtet“, sagte er.

Doch je konkreter Putin wurde, desto diplomatischer erschienen seine Positionen. So zeigte er sich über den gestrigen Beschluss der Allianz, die amerikanischen Pläne für Raketenabwehrstellungen in Osteuropa zu unterstützen, nicht einmal mehr irritiert. Vielmehr sprach er offen von möglichen Kooperationen auch auf diesem Gebiet. Für das Missile Defense-Programm, erklärte der Präsident, müsse als Nächstes einmal eine gemeinsame Bedrohungsanalyse erarbeitet werden. Er stelle sich dabei vor, die Befehlsstrukturen “demokratisch” zu gestalten. So könne das System womöglich aus zwei Hauptquartieren gesteuert werden, “eines in Moskau, eines in Brüssel.”

Kein Wort mehr von der angeblichen Bedrohung, die die Raketenabwehr für Russlands Nuklearpotenzial darstelle. Über die vermeintlich kräfteverzerrende Wirkung des ABM-Systems hatte sich Putin noch bei seinem legendären Auftritt bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 in einer Weise erzürnt, die manchen Beobachter an einen neuen Kalten Krieg zwischen Russland und der Nato glauben ließ.

Überhaupt, München. Es sei doch alles nicht so ernst zu nehmen gewesen, was er dort gesagt habe, stellte der Kreml-Chef klar.

“In München habe ich auf einer internationalen Konferenz gesprochen, deren Format einen bestimmten, wenn Sie so wollen, polemischen Ton erforderte, und die es mir erlaubte, sehr frei zu reden”, antwortete Putin auf die Frage eines Journalisten, ob er sich hinter den Kulissen des Bukarester Gipfels ähnlich erregt habe wie damals. Neinnein, so Putin, warum denn?

Um allerdings hinzuzufügen:

“Diese (Münchner) Konferenz hat uns vorangebracht.” Russland werde endlich wieder als Global Player ernstgenommen, sollte das heißen.

“Heute sind wir in einer völlig anderen Situation als damals”, so Putin über die Stimmung nach dem Gewitter. Die Stimmung habe sich gewandelt.

Bei aller altersmilder Rhetorik offenbarte Putin dennoch große Empfindlichkeit angesichts des aus seiner Sicht noch immer wachsenden Machtungleichgewichts, das zwischen der Nato und Russland herrsche. Auf die Frage, warum er Angst habe, wenn sich die Nato als Gemeinschaft demokratischer Staaten bis an die Grenzen seines Landes erstrecke, antwortete er ein wenig angespannt:

“Die Nato ist kein Demokratisierungsapparat! Erweiterungen lösen nicht automatisch Probleme.” Litauen etwa sei bis heute kein demokratischer Staat. Dort würden noch immer Tausende von Russen diskriminiert.

Als ungerecht bezeichnete Putin es auch, dass insbesondere die Baltenstaaten die erneuerte Fassung des Vertrages über Konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) noch immer nicht ratifiziert haben.

Ziel des KSE-Regimes ist es, das Arsenal bestimmter schwerer Waffen von den ehemaligen Flanken zwischen Nato- und Warschau-Pakt-Gebieten zu verbannen. Die Nato-Staaten lehnen eine Ratifizierung des Abkommens von 1999 seit dem Jahr 2000 ab. Nach Russlands Einmarsch in Tschetschenien fürchteten sie weitere militärische Ausfallschritte gegen abtrünnige Republiken und verlangten deshalb, dass Russland zunächst seine Truppen aus Georgien und Moldawien abzieht. Dieser Stillstand hält bis heute an.

“Wir sind das einzige Land, das den KSE-Vertrag umgesetzt hat”, sagte Putin ein wenig erregt. “Der Westen dagegen verlegt weitere Truppen an unsere Grenzen.” Im Dezember 2007 setzte Moskau den KSE-Vertrag aus. Jetzt, sagte Putin, sei erst einmal der Westen an der Reihe.

Doch mit diesem Konflikt muss sich nun bald Putins Nachfolger herumschlagen. Er sei froh, aus dem Amt zu scheiden, antwortete der Präsident auf die abschließende Frage einer Journalistin. “Ich freue mich, die Bürde des Amtes auf die Schultern meines Nachfolgers zu legen”, bekannte er mit freundlicher Miene. “Das bedeutet für mich nach zehnjähriger Präsidentschaft endlich die langerwartete Freiheit.”

Wenn das einmal für alle Russen gölte.