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Sturm im Champagnerglas

 

Nach dem glamorösen Gipfel von Paris bleiben Zweifel. Wie lange wird die neue Mittelmeerunion wohl halten?

Der Mann ist nicht nur ein Macher. Er ist auch ein Poet. „,Gestalten’ ist neben ‚lieben’ eines der schönsten Worte überhaupt“, dichtet der französische Präsident Sarkozy in seinem Programmbuch „Bekenntnisse“. Und fährt fort: „Schon immer brach ich leidenschaftlich gern mit alten Gewohnheiten, um das Unmögliche möglich zu machen (…) und das auszuüben, was wir gemeinhin Macht nennen.“

Am Wochenende nun hat Sarkozy in seiner neuen Rolle als EU-Präsidentschaftsinhaber gewaltig gestaltend gewirkt. Die Europäische Union ist um einen Peripherie-Ring reicher. In Paris hoben 43 Staatschefs aus Europa, dem Nahen Osten und Nordafrika die Mittelmeerunion aus der Taufe. Der Pakt soll helfen, die Sahara als Solarstromquelle zu erschließen, die Verschmutzung des Mittelmeeres einzudämmen, illegale Migration zu verhindern sowie den Handel und den Studentenaustausch zu fördern. Vierzehn Tage nach Beginn seiner Ratspräsidentschaft hat Sarkozy sein Prestige-Projekt unter Dach und Fach gekriegt.

Seinen besonderen Reiz gewinnt das Abkommen freilich aus der Tatsache, dass Europa es auch mit dem Schmuddelstaat Syrien schließt. Darüber toben nicht nur die Menschenrechtler von amnesty international. Die Regierung in Damaskus beherbergt immerhin Exilführer der Hamas, unterstützt die Hisbollah, wird beschuldigt, hinter dem Mord an dem früheren libanesischen Premierminister Rafik Hariri zu stecken und befindet sich offiziell noch immer im Krieg mit Israel. Zusammen mit dem syrischen Staatschefs Basher al-Assad in einem Konferenzraum im Grand Palais an der Champs Elýsèe fotografiert zu werden, dürfte dem israelischen Premier einige Überwindung gekostet haben.

Und wie Assad reagierte, als er – als Ehrengast auf der Tribüne – bei der Militärparade zum 14. Juli ebensolche französische UN-Jeeps an sich vorbeifahren sah, die im Libanon helfen, die Hisbollah in Schach zu halten, ist bisher nicht überliefert.

Derart gespannte Contenance werden die Staatschefs aus der Mittelmeerunion künftig regelmäßig aufbringen müssen. Laut den Beschlüssen des Pariser Gipfels sollen sie sich von nun an alle zwei Jahre treffen, ihre Außenminister sogar jedes Jahr.

Drei Fragen sind nach dem pompösen Parisauflauf deshalb berechtigt: Wie lange wird die Lust der „Club Med“-Mitglieder anhalten, diesen Rhythmus einzuhalten? Wer wird der Motor hinter der Initiave sein, nachdem Nicolas Sarkozy den EU-Ratsvorsitz abgegeben oder einen neuen Spielplatz gefunden hat? Wie, drittens und kurzgefasst, nachhaltig ist das Projekt Mittelmeerunion?

PGV, Président à Grande Vitesse, nennen die Franzosen ihren Staatschefs in Anlehnung an den heimischen Hochgeschwindigkeitszug. „Sarko ist gewohnt zu bekommen, was er will“, sagt ein französischer Diplomat. „Mit zehn Jahren hat er sich vorgenommen, Präsident zu werden, und er ist es geworden. Er ist niemand, der sich von Strukturen oder einem zähen Bürokratismus aufhalten lässt, wenn er ein Ziel vor Augen hat.“

Er ist aber auch einer, der schnelle Schnitte liebt. Seine Neigung zum PR-wirksamen Einzelgängertum hat er bereits vor der Brüsseler Amtsübernahme eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Den Sturm im Champagnerglas weiß der Franzose hervorragend zu inszenieren.

Im vergangenen Jahr ließ er seine (Ex-)Frau Cécilia vor laufenden Fernsehkameras in Libyen die bulgarischen Krankenschwestern „befreien“, die der Diktator Ghaddafi als Geiseln gehalten hatte. Er staubte damit den Erfolg jahrelanger, zäher EU-Diplomatie ab und fädelte bei derselben Gelegenheit gleich ein Abkommen für die Lieferung von französischer Nukleartechnik an Ghaddafi ein.
Im Januar „kündigte“ Sarkozy unilateral die Fischereiquoten der EU auf (was unilateral nicht geht). Anfang Februar sagte er, Frankreich werde dem bedrohten Stahlkonzern Mittal mit Geld aus der Staatskasse unter die Arme greifen (was gegen die EU-Subventionsregeln verstößt). Ende Februar sagte er kurzfristig zwei deutsch-französische Regierungstreffen ab, weil Wichtigeres dazwischen gekommen war (und anderem ein Kommunalwahlkampfauftritt seiner Finanzministerin).
Und noch im März wollte er die Mittelmeerunion noch zu einer eigenen Mini-EU unter französischer Führung machen (bevor ihn Angela Merkel wieder einfing und das Projekt zurück in Brüsseler Bahnen lenkte). Sarkozy hätte gerne einen politischen Club Mediterrane unter Geschäftsführung der Mittelmeeranrainer hochgezogen. Geht nicht, beschied ihm nun die EU-Kommission. Außenpolitische Projekte unterliegen der jeweiligen Ratspräsidentschaft. Anfang 2009 wird Sarkozy seinen Prestigeverbund deshalb wieder los, Copyright hin oder her.

Der selbsternannte Président de la rupture, des „Bruchs“, ist bisher also nicht gerade durch langen Atem aufgefallen. Zwar mag seine energetische Art einem Europa, das nach der Lähmung durch das irische Nein auf Standby-Betrieb läuft, voerst gut tun. Aber reicht ein neuer Stil?

„Elektroschocks müssen ja nicht übel sein“, räumt eine hohe EU-Kommissionsbeamtin ein. „Aber sie alleine reichen nicht. Bei Sarkozys Vorschlägen fragt man sich ständig: Where is the beef? Er scheint doch eher von seinem Ego getrieben als von Ideen.“

In der Tat leiden viele von Sarkozys so genannten „neuen Politiken“ unter mangelnder Produktreife. Mal erklärt er sich zum „Präsidenten der Menschenrechte“, mal schmeichelt er in Richtung der Moskauer Autokraten („Wladimir Putin ist es gelungen, Russland in die Demokratie zu führen“), mal fordert er mehr Klartext gegenüber Chinas KP.

Und kaum ist die Mittelmeerunion beschlossen, träumt Sarkozy schon von einer neuen starken EU-Flanke. Diesmal im Osten. Während einer Konferenz in Jalta forderte er kürzlich eine „besondere Beziehung“ der Ukraine zur EU. Schon beim nächsten Gipfel am 9. September in Evian hoffe er, ein neues Abkommen für die „europäische Zukunft“ der Ukraine abschließen zu können, das die Zusammenarbeit und den „freien Handel“ stärken solle.*

Und wie verlässlich sind die neuen Partner seines „neuen Europas“? Sarkozys Handelspartner Ghaddafi blieb der Mittelmeer-Gründungsfeier fern. Er wolle, hieß es, keinen französischen „Neokolonialismus“ unterstützen. Aus libyschen Diplomatenkreisen ist etwas anderes zu hören. Ghaddafi, heißt es dort, müsse derzeit Rücksicht auf die Volksmeinung nehmen – und die fordere zunächst einmal, dass Europa das Palästina-Problem löse. Was auch immer stimmen mag – das Beispiel zeigt, wie schnell sich die Partner im Süden ihre Partnerschaft anders überlegen können.

* Die Pläne Sarkozys für eine neue „historische“ Partnerschaft Europas mit der Ukraine im Wortlaut:

Ukraine is a country of strategic importance to Europe. From the very moment of assuming office, I have wanted to be the advocate of a special relationship between the European Union and Ukraine.
For several months, France has been pleading the case before its partners in the European Union and the European Commission for negotiations on a new, strengthened, agreement between the Union and Ukraine with the aim of reaching the most ambitious result. It is our ardent hope that, on the occasion of the Evian Summit meeting on September 9, the European Union and Ukraine will be able to conclude an historic political agreement on the principles, the objectives, the scope and the constituent elements of this partnership, for the years to come and for the European future of Ukraine. The Evian Summit must give a decisive impetus to the negotiation of the new agreement, which can then be rapidly finalised and signed at the beginning of 2009. This is the ambition for the French Presidency of the European Union.
The new agreement, which will succeed the 1994 agreement for partnership and cooperation, will mark a new era in the development of relations between the European Union and Ukraine. It will permit strengthened cooperation in all areas of common interest: political dialogue, foreign and security policy, economic and energy cooperation, cooperation in the areas of freedom, security and justice – including the issue of visas – and the consolidation of our common institutional framework. The agreement will also include the establishment of a free-trade area between the European Union and Ukraine, which will considerably boost our economic integration.
Our goal is to encourage and support your efforts for political and economic modernisation. With this new agreement, the rapprochement between the European Union and Ukraine will further develop, fully taking into account the European identity and Ukraine’s European choice.