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Good bye, Putin

 

Wenn Russland es erst meint mit seiner außenpolitischen Doktrin, dann hat es in der westlichen Staatengemeinschaft keinen Platz

Hastings Lionel Ismay, der erste Generalsekretär der Nato, hat einmal prägnant formuliert, wozu das westliche Verteidigungsbündnis ursprünglich da war: „To keep the Americans in, to keep the Russians out, and to keep the Germans down.“

Sechzig Jahre später hat sich das Selbstverständnis der Allianz – was den dritten Punkt betrifft – gründlich gewandelt. Die Nato will die Deutschen nicht mehr am Boden halten; im Gegenteil mahnt der Generalsekretär die Bundesrepublik bei jeder Gelegenheit, endlich ihren Verteidigungshaushalt zu erhöhen.

Amerika, ja natürlich, soll Stützpfeiler der transatlantischer Sicherheit bleiben.

Und Russland?

Ihm gegenüber verfolgte die Nato seit Ende des Kalten Krieges eine Politik der offenen Tür. Es ging ihr nicht mehr darum, Russland draußen zu halten. Tatsächlich waren es gerade die Amerikaner, die Russland geradezu einluden, sich dem Bündnis anzuschließen – vorausgesetzt, Moskau erfülle die politischen Eintrittskriterien. Diese haben die Außenminister des Bündnisses heute noch einmal eindringlich wiederholt:

Die Beachtung „der Prinzipien friedlicher Konfliktlösung gemäß der Helsinki Schluss-Akte, der Nato-Russland-Gründungsakte und der Erklärung von Rom.“ All diese Standards, so die Nato heute, habe Russland durch seinen Feldzug gegen Georgien verletzt.

„Wir können nicht so weitermachen, als wäre nichts passiert“, folgerten die 26 Außenminister, unter ihnen auch der deutsche Frank-Walter Steinmeier. Als erstes werde der Nato-Russland-Rat auf Eis gelegt, erklärt Nato-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer. „Solange russische Truppen weite Teile Georgiens praktisch besetzt halten, sehe ich nicht, dass der Rat zusammen treten kann.“

Angesichts der grundsätzlichen Verhaltens Moskaus sind allerdings Zweifel angebracht, ob der Kreml diese Sanktion als auch nur im entferntesten schmerzhaft empfinden wird. Wenn die unmittelbare Antwort des russischen Nato-Botschafter die Haltung seiner Regierung annähernd wiedergibt, dann ist das nicht der Fall. Seine Reaktion auf die Kontaktsperre des Bündnisses lautete ohne Witz: „Die Nato ist jetzt isoliert.“´

Die Rhetorik aus Moskau mag natürlich von Kampfeslust aufgepuscht sein. Aber die Kampfeslust selbst ist echt – und diese Tatsache muss die Nato vor eine größere Frage stellen. Sie lautet, ob es mit diesem Russland noch irgendeine Basis für einen konstruktiven Dialog, geschweigedenn eine Partnerschaft geben kann, ja, ob es noch Sinn hat, diesem Russland die Tür zum Westen offenzuhalten. Oder ob jetzt die Zeit für eine Renaissance des Russians-out gekommen ist.

Die Frage stellt sich in dieser Härte, weil der Kampfgeist aus Moskau aus einer Weltsicht rührt, die mit westlichen Überzeugungen von einem zivilisiertem globalen Miteinander schlicht inkompatibel geworden zu sein scheinen.

Dimitri Rogosin, erwähnter russischer Botschaft bei der Nato, hat zum Krisengipfel einen Artikel in der International Herald Tribune geschrieben, in dem er Amerika und der Nato Heuchelei vorwirft. Die russische Föderation, argumentiert er, habe in Südossetien lediglich ihr Recht auf Selbstverteidigung gemäß Artikel 51 der UN-Charta wahrgenommen.

Einen solchen Text schreibt der Botschafter nicht ohne Rückendeckung oder Auftrag aus Moskau. Sein Schlüsselsatz lautet:

„Was die Verteidigung von Bürgern außerhalb des Landes betrifft, so wird die Anwendung von Gewalt, um eigene Landsleute zu verteidigen, traditionell als eine Form der Selbstverteidigung betrachtet.“

Wenn diese Annahme tatsächlich die russische Doktrin für die Region zwischen Moskau und Warschau ist, dann sollte sich der Westen keine Illusionen über wahre Denkart der Kreml-Herrscher mehr machen. Dann ist Georgien nur der Auftakt gewesen für eine ganze potenzielle Reihe von russischen Befreiungskriegen, von der Ukraine bis nach Litauen. Dann muss sich Europa fragen, ob die berühmten Worte von Paul-Henri Spaak, dem ersten Vorsitzenden der UN-Generalversammlung, an die damalige sowjetische Delegation nicht immer noch stimmen: „Messieurs, nous avons peur de vous“ (Meine Herren, wir haben Angst vor Ihnen).

Der Nato-Botschafter Rogosin behauptet, auch andere Ländern hätten von Recht auf Verteidigung ihrer Landesleute im Ausland schon Gebrauch gemacht: Die Belgier 1965 im Kongo, die Amerikaner 1983 in Grenada und 1989 in Panama.

Mit diesem Vergleich allerdings liegt Rogosin völlig falsch, und vermutlich weiß er das. In all den genannten Operation haben zwar Spezialkräfte Staatsangehörige dieser Länder evakuiert – im Land verteidigt haben sie sie aber gerade nicht. In der Tat kennt das Völkerrecht die Möglichkeit, in einer punktuellen Nothilfeaktion die Souveränität eines Staates zu durchbrechen, wenn Schaden für Leib und Leben nicht anders abgewendet werden kann. Aber daraus folgt auf keinen Fall das Recht auf langanhaltende Intervention oder gar Besatzung.

Wenn die russische Regierung allen Ernstes versucht, ein Recht auf extraterritoriale Verteidigung eigener Staatsangehöriger herbeizuphantasieren, dann steckt dahinter mehr als völkerrechtliche Ungebildetheit. Es kommt einem Ethno-Imperialismus nahe. Rogosins Worte sind weniger mit der UN-Charta in Einklang zu bringen als mit der Doktrin der aggressiven Selbstverteidigung, die Katharina die Große ausgeprochen haben soll: „Um meine Grenzen zu verteidigen, bleibt mir nur den Weg, sie auszudehnen.“

Wer solch ein Prinzip zur Grundlage seiner Außenpolitik macht, sprengt die Kerngrundsätze, die internationale Völkerregime seit dem Westfälischen Frieden von 1648 geprägt haben. Einer von ihnen lautet, dass die territoriale Integrität von definierten Staaten gefühlten nationalen Vereinigungsgelüsten vorausgeht.

Wenn Russland in allem Ernst glaubt, das pannationale Russentum sei als Zivilisationswert höher einzustufen als die neue Staatlichkeit ihrer ehemaligen Vasallenstaaten, dann hat es in der westlichen Friedensordnung keinen Platz. Gut möglich, dass Russland diese Prinzipien der modernen Weltordnung (sie stammen übrigens von einem Deutschen aus Königsberg) noch nie verstanden hat, denn schließlich war noch nie eine aufgeklärte Demokratie. Gut möglich auch, dass wir Russland noch nicht richtig verstanden haben. Aber dann sollte uns der Ausspruch des britischen Premierministers Nivelle Chamberlaine zu denken geben, der 1938, als Nazi-Deutschland das Sudentenland in der Tschechoslowakei annektierte, das Urteil abgab, dies sei “ein Streit in einem weit entfernten Land zwischen Leuten, über die wir nichts wissen.”

Der Westen sollte für erste aufhören, Putin-Russland wie einen verantwortungsvollen Erwachsenen zu behandeln. Und ihm lieber mit aller angemessenen Autorität des Älteren helfen, seine Pubertät ohne weiteres Blutvergießen zu bewältigen.