Lesezeichen
‹ Alle Einträge

„Ein Akt der Selbstzerstörung“

 

Die Libertas-Partei des Iren Declan Ganley will die Europawahlen zum Referendum gegen die EU machen.
Doch sie wird zum Opfer ihres eigenen Ehrgeizes

Brüssel/Duisburg
Das Hauptquartier der Freiheitskämpfer liegt inmitten feindlicher Gemäuer. Gegenüber hat der „Europäische Personalauswahl-Dienst“ sein Büro, und durch die Häuserlücken schimmert die Glasfassade der EU-Kommission. „Libertas? Nein, das sind wir nicht!“, stellt die Dame an der Gegensprechanlage klar. „Fahren Sie hoch in den siebten Stock.“ Ein Klingelschild fehlt der neuen Partei kurz nach ihrem Einzug in Brüssel noch. Wie überhaupt vieles etwas provisorisch wirkt für eine Bewegung, die sich vorgenommen hat, bei den Europawahlen am 7. Juni „die politische Landschaft des Kontinents zu verändern.“

Oben, in einer loftartigen Etage, wartet der Anführer der Rebellen, ein Mann, dem seine Anhänger magische Eigenschaften nachsagen. „Unglaublich energetisch“, sagt einer seiner Wahlkampfmitstreiter. Er habe, schwört ein anderer, jahrelang in der Industrie gearbeitet, aber „keinen vergleichbaren Menschen kennen gelernt“. Declan Ganley, 40, Ire, millionenschwerer Telekommunikationsunternehmer, bürgerlicher Heiland für die einen, populistischer Rattenfänger für die anderen, hat es im vergangenen Juni in seiner Heimat fertig gebracht, für ein knappes Nein beim Referendum über den EU-Reformvertrag zu sorgen. Jetzt will er das Brüsseler Establishment das Fürchten lehren, indem ganz Europa gegen die EU mobilisiert.

Europa, sagt er, das liebe er. Die EU hingegen, die ist seiner Ansicht nach zu einer anti-demokratischen, gesichtslosen und entrückten Gesetzesmaschine degeneriert.

„Es ist doch mugabeesk, was hier passiert“, sagt Ganley in Anspielung auf den Diktator vom Simbabwe und zeigt hinüber Richtung Kommission. „Wenn ein Abstimmungsergebnis diesen Eliten nicht passt, dann wird eben noch mal abgestimmt.“ Damit diese Kommissare („ungewählte, arrogante Bürokraten, die achtzig Prozent der Gesetze in Europa erlassen“) nicht noch mächtiger werden, will Ganley die Europawahlen zu einem Referendum über den Lissabon-Vertrag machen, und er findet dafür eine wachsende Schar Anhänger in immer mehr Ländern.

Libertas hat schon Ableger in Frankreich, Großbritannien, Spanien, Dänemark, Schweden, Polen, Ungarn, Tschechien und einer ganzen Reihe kleinerer Länder gegründet. Die Gegenbewegung, die da sprießt, ist bemerkenswerter Weise die erste wirklich pan-europäische Partei, und selbst in Brüssel gibt manch ein Beamter hinter vorgehaltener Hand zu, es sei in Tat an der Zeit für mehr gesunden Widerspruch gegen den Wildwuchs von Kompetenten in der EU-Zentrale. Keine Frage, Ganley hat eine politische Marktlücke entdeckt: Er will all jenen, die am scheinbar unumstößlichen Integrationskurs der EU stören, eine ideologisch unverseuchte Wahlalternative zu den links- und rechtsextremen Europahassern bietet. Ein zweistelliges Ergebnis, glaubt er, könnte Libertas schon einfahren am 7. Juni. „Und dann können sie“, Kopfbewegung aus dem Fenster, „die Bürger nicht mehr ignorieren.“

Die Absicht, die Brüsseler Geschäftsführerdemokratie mit konstruktiver Opposition aufzumischen, nobel sein. Doch in der EU-Apo des Declan Ganley zeichnet sich bereits der Schicksalszug der klassischen Tragödie ab. Je mehr die Neuropäer tun, um ihrem Scheitern zu entrinnen, nämlich als obskure EU-Feinde abgeschrieben zu werden, desto zielstrebiger gehen sie ihm entgegen.

Es ist ein Abend im April, an dem sich zeigt, dass Libertas zum Opfer eines überspannten Einzelkämpferethos zu werden droht. Was freilich auch an der Aggressivität liegt, mit der das etablierte Brüssel Kräfte abstößt, die es als Spielverderber identifiziert hat. Es ist der Abend der „Big Debate“, einem Ereignis, das schon wochenlang vorher wie ein Ringkampf angekündigt wurde. Declan Ganley trifft Daniel Cohn-Bendit, EU-Guerillero contra Ex-Guerillo. Hunderte Gäste aus der Europa-Community strömen herbei, erwarten einen der spannendsten Schlagabtausche des Jahres. Was sie erleben, ist ein Big Debakel. Ganley hält ein Buch in die Höhe, in dem Cohn-Bendit schildert, wie er als Erzieher in den siebziger Jahren Kinder gestreichelt habe. Die Botschaft: Ein Kinderschänder! Cohn-Bendit hält Ganley vor, er unterhalte Geschäftsbeziehungen in die USA. Will sagen: Ein neokonservativer Einflussagent! Die Chance, darüber zu reden, ob es eine bessere, bürgernähere EU geben kann, zerstiebt im emotionalen Sperrfeuer.

Genau das Gleiche passiert innerhalb von Libertas selbst. Zwar versichern ihre PR-Beauftragten, Hitzköpfe von der Partei fernzuhalten, aber auf Libertas-freundlichen Websites finden sich Stellungnahmen wie: „Unsere Kandidaten müssen einen absoluten Hass auf die EU haben, nicht, dass wir unwissentlich Maulwürfe wählen, die weitermachen wie bisher“ oder „Wir werden von deutschlandfeindlichen Politikern regiert“. Kein Wunder, dass sich gestandene EU-Kritiker, die im Wahlkampf als Zugkräfte dienen könnten, von Libertas fernhalten. Der CSU-Mann Peter Gauweiler, der vorm Bundesverfassungsgericht gegen den Lissabon-Vertrag klagt, sagt, er halte die Arbeit von Libertas zwar für „verdienstvoll“, aber deswegen aus der Bayern-Partei austreten? I wo.

Ebenso wenig wollen die prominentesten Brüsseler Abweichler-Abgeordneten Hans-Peter Martin (Österreich) und Jens-Peter Bonde (Dänemark) auf der Libertas-Liste kandidieren. Er berate Declan Ganley gern, sagt Martin, „aber die Unabhängigkeit ist ein hohes Gut.“ Genauso wie der gute Ruf. In Frankreich führt der als rechtsgerichtet geltende Philippe de Villiers Libertas an, in Polen kamen Gerüchte über Antisemiten in den Reihen der neuen Partei auf, in Prag unterstützt der von Kritikern als „Tschechischer Berlusconi“ gescholtene Medienunternehmer Vladimir Zelezny die Gruppe. Und in Großbritannien, dort wo Libertas mit großen Sympathien rechnen könnte, beugen ihr die bürgerlichen Tories vor, indem sie selbst ein Referendum über den Lissabon-Vertrag fordern.

Und im größten europäischen Land? Da gibt es einen Rechtsanwalt in Duisburg, der vor wenigen Monaten noch Feuer und Flamme für Libertas war. Mittlerweile bezeichnet er seine kurze Präsidentschaft von Libertas Deutschland als „meinen One Night Stand mit der Politik“. Hinter dem Schreibtisch von Carlos A. Gebauer hängen zwei große Fotos; eines zeigt ihn einer Sabine-Christiansen-Sendung, wo er einmal über Gesundheitspolitik mitdiskutierte. Von dem anderen lächelt die Crew der RTL-Sendung „Strafgericht“ herunter. Gebauer spielte dort nebenberuflich jahrelang den Strafverteidiger.

Den smarten Advokaten und Ex-FDP-Mitglied (nicht mehr liberal genug) trieb die Lust des intellektuellen Tabubruchs, und in der EU fand er einen Fetisch. Beim Treffen im März zitierte er noch, mit einigem Fug, Luhmanns Theorie von den selbstschöpfenden Systemen, wenn er über Brüssel redete, und als nächstes Declan Ganley, der ihm am Telefon überzeugte, Deutschland-Chef zu werden, und mit den schlichten Worten: „It has to be done.“ – „Der Satz hat etwas in mir getroffen.“

Was folgte, waren schmerzhafte Tiefschläge. Zur Libertas-Gründungs-Pressekonferenz in Berlin kamen gerade einmal zwei Journalisten, und als Gebauer seine Kandidatenliste im Brüsseler Hauptquartier einreichte, sagten ihm „die internationalen Wahlkampfexperten“ dort, 16 Namen sei viel zu wenig. „Damit blamiere man sich in der Presse, hieß es.“ Also rekrutierte Gebauer in aller Eile nach, aber um die notwendigen 4000 Unterschriften für die Parteizulassung zusammenzubekommen, blieb gerade noch eine gute Woche Zeit. „Tja, und bei 3500 sind wir dann verhungert.“ Libertas wird in Deutschland nicht zur Wahl antreten.

„Es war ein Akt der Selbstzerstörung“, sagt Gebauer.

Doch vielleicht hat der ihn vor einer längeren Selbstzerfleischung bewahrt. Denn auf die Frage, was die Libertas-Abgeordneten denn eigentlich nach der Wahl tun wollen, hat keiner von ihnen eine überzeugende Antwort. Im EuropäischenParlament sitzen und motzend ein System mittragen, dessen Teil sie nie sein wollten? Carlos Gebauer jedenfalls ist noch nicht vollends abgeschreckt. „Es gibt ja noch die Bundestagswahlen“, sagt er. „Das stelle ich mir spannend vor.“