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Deutsch und Moslem sein – geht das?

 

Liebe Leser,

meine letzten Artikel zu Geert Wilders haben ungewöhnliche viele Kommentare ausgelöst. Allein 148 Reaktionen folgten dem Text „Ich, Retter des Abendlands„.

Selten habe ich es erlebt, dass die Meinung der Leser so einhellig war. Der Islam, hieß es in fast allen Kommentaren, sei unvereinbar mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, er sei eine aggressiv-expansionistische Ideologie, die Intoleranz statt Verständigung predige. Der Westen sei naiv, wenn er dieser Bewegung mit den Maßstäben der Religionsfreiheit begegne.

Natürlich gibt es eine radikale Auslegung des Koran, und natürlich lässt sich der Islam als Anleitung zur Tötung „Ungläubiger“ lesen. Wer das bestreiten wollte, muss in den vergangenen zehn Jahren blind gewesen sein.

Aber das ist eben nicht die ganze Wahrheit.

Unter den vielen Mails, die auf die Artikel folgten, war eine von einer jungen Muslima, die mich beeindruckt hat. Ich möchte sie deshalb hier wiedergeben; in der Hoffnung, dass sie eine vielleicht etwas genauere Diskussion anstößt. Der Name der Autorin wird auf ihrer eigenen Wunsch hin nicht komplett genannt.   

Wo bleibt das Wir?

Mein Name ist Zohra M., ich bin 19 Jahre jung, Tochter eines Algeriers und einer Deutschen – und gläubige Muslimin. Vor wenigen Monaten habe ich das Abitur mit einem Durchschnitt von 1,7 abgeschlossen, im Oktober werde ich, so Gott will, anfangen zu studieren.

In den Augen Thilo Sarrazins und Freunde gelte ich sicherlich als „Ausnahme unter den Jugendlichen mit türkischem oder arabischem Migrationshintergrund“. Dem muss ich widersprechen. Oder kann sich ein Islamischer STUDENTENverein, wie wir ihn hier in Darmstadt haben, allein durch Ausnahmen bilden und entwickeln?

Seit einigen Wochen verfolge ich nun die neu aufgeflammte Debatte um „die Muslime“, „die arabischen und türkischen Einwanderer“in Deutschland. Ich will gar nicht bestreiten, dass es tatsächlich Migranten gibt, die kein Interesse an der deutschen Sprache und Kultur haben. Aber ich wehre mich dagegen, mit ihnen in einen Topf geworfen zu werden. Ich wehre mich dagegen, dass aufgrund einer Minderheit eine ganze Religionsgemeinschaft den Kopf hinhalten muss.

„Die Muslime“, dass sind nicht nur die Türken und die Araber. Der Islam ist keine Nationalität, er ist eine Religion, die auf der ganzen Welt verbreitet ist. Es ist also hirnrissig, einen Unterschied zwischen „dem Deutschen“ und „dem Moslem“ zu machen, denn beide Aspekte schließen sich nicht zwangsläufig aus. 

Ich bin selbst Halb-Deutsche, in Deutschland geboren und aufgewachsen, ich spreche fließend deutsch und habe in der Schule den Deutsch-Leistungskurs belegt. Gleichzeitig praktiziere ich meine Religion, indem ich bete, faste, den Koran lese. Wo, bitte, befindet sich hier ein Widerspruch?

Obwohl ich mich selbst als liberale Muslima einschätze und offen auf andere Menschen zugehe, unabhängig von ihrer Herkunft oder Religion, musste auch ich in Zeiten der Islam-Debatte leider feststellen, wie ich mich gezwungenermaßen in ein gewisses Schema gedrängt fühle. Ich kann nicht mehr über meine Religion informieren, nein, ich muss sie rechtfertigen und beschützen.

Die Fragen lauten heutzutage nicht mehr „Warum muss eine muslimische Frau ein Kopftuch tragen?“ oder „Was ist der genaue Sinn, im Ramadan zu fasten?“. Genau genommen sind es auch keine Fragen mehr, sondern Vorwürfe wie „Der Islam ist eine Religion, die die Frau unterdrückt!“ und „Einen Monat lang zu fasten kann ja nur ungesund sein!“

Wie ist es dazu gekommen, dass uns Muslimen statt Interesse und Neugier plötzlich Ablehnung und Misstrauen entgegenschlagen? Ist es nicht gerade diese Ablehnung und dieses Misstrauen, dass uns zum Rückzug in die eigenen Reihen zwingt, es uns so schwer macht, die Stimme zu erheben und zu sagen „Wir haben mit Terrorismus, Gewalt und Intoleranz nichts zu tun!“, sodass wir gar keine andere Wahl haben, als unter uns zu bleiben, wo man uns akzeptiert?

Mit „uns“ meine ich die Muslime, die sich gerne mit Andersgläubigen austauschen, die die deutsche Gesellschaft nicht als Feindbild betrachten und sich gerne integrieren und sozial einbringen möchten.

Ich hoffe, dass man als Muslim bald (wieder) die Chance dazu bekommt. Dass man Muslimen wie mir Gehör verschafft und uns auch ernst nimmt. Dass man zu geistreichen Diskussionen mit uns bereit ist, ohne uns in eine Ecke mit Kriminellen und Fundamentalisten zu drängen. Dass eines Tages aus „uns“ und „euch“ wieder ein „wir“ wird.

Zohra M.