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Saddam Husseins Exekution wird die Zerstörung des Irak besiegeln

 

p.s. am 31.12. Angesichts der vielen Verurteilungen der Exekution seitens der Leser (s.u.) sollte vielleicht ein Standpunkt in Erinnerung gerufen werden, von dem aus sie trotz allem einen moralischen Sinn haben könnte. An der allgemeinen Verurteilung der Exekution ist etwas sehr Eilfertiges, das mich stört.
Es fehlt uns nämlich die Perspektive des Geschundenen, des Opfers, der seinen Folterer leiden und sterben sehen will, um ihn damit zugleich in die gemeinsame Menschlichkeit zurückgerissen zu sehen…

Der Hass des Gefolterten und Unterdrückten auf den Unterdrücker ist nicht nur legitim, sondern sogar eine „Emotionsquelle jeder echten Moral, die immer eine Moral der Unterlegenen war“ – so jedenfalls sah es der Auschwitz-Überlebende Jean Améry:

„Meine Ressentiments aber sind da, damit das Verbrechen moralische Realität werde für den Verbrecher, damit er hineingerissen sei in die Wahrheit seiner Untat.“

Saddam Husseins Opfer (und sie sind weiss Gott zahlreich) mögen diese Ressentiments gespürt haben in dem Moment, in dem er aufs Schafott trat. Jean Améry spricht hier aber nicht der Todesstrafe Legitimation zu, sondern dem Hass und dem Rachebedürfnis der Opfer und der mit ihnen verbundenen „Utopie“, den Verbrecher durch die Strafe zurückzuholen in das gemeinsame Menschsein, aus dem er sich entfernt hat, indem er sich als Folterer und Killer zum Herrn über Leben und Tod machte.

Es ist dieses Letzte tatsächlich eine Utopie, wie wir angesichts der schäbigen Hinrichtung Saddams gesehen haben. Bis zuletzt hat er nicht bereut und nichts von dem Unrecht gesehen, das er angerichtet hatte.

Sein letzter Appell war ein Aufruf zum weiteren Morden. Seine letzte Botschaft des Hasses galt den „Besetzern“ und den „Persern“ (Schiiten). Er starb als unbelehrbarer Massenmörder.

In der liberalen arabischen Tageszeitung Al Hayat (London und Beirut) kommentiert der Chefredakteur Ghassan Charbel die Exekution des irakischen Diktators.

Man beachte den kalten, verzweifelten Ton dieser Abrechnung:

„Saddam Husseins weiteres Schicksal hat keine Bedeutung. Er hat nie erwartet, durch die Last seiner Missetaten sterben zu müssen. Er wusste immer, dass irgendwo eine Kugel auf ihn wartete, und dass es Verschwörungen gegen ihn gab….

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Saddam wusste, dass Leiden den Herrscher des Irak erwarteten, wenn er einmal schwach sein würde. Sein Körper würde durch die Strassen Bagdads geschleift werden, bis er zur Unkenntnis verstümmelt wäre. Darum griff er sofort jeden an, der eine potentielle Gefahrenquelle darstellen konnte. Er war Herrscher, Richter und Gericht. Seine Gegner wurden aus purer Wut und ohne jeden Beweis zum Galgen geschickt.

Es ist unmöglich, Saddam zu verteidigen oder Gründe zu finden, seine Strafe aufzuschieben. Seine Verbrechen zuhause, und auch jenseits der irakischen Grenzen, sind flagrant. Er war ein grausamer und brutaler Diktator. Seine Taten haben ganze Nationen von Witwen und Waisen geschaffen. Dafür verdient er bestraft zu werden. Doch die Debatte über den Aufschub seiner Exekution sollte uns nicht von einer Sache ablenken, die noch wichtiger ist: die Zerstörung des Irak, die von Irakern und Nicht-Irakern gemeinsam vollbracht wird.

Saddams persönliches Schicksal ist nicht wichtig. Wir wünschten, er wäre in einem Irak verurteilt worden, der als Demokratie und Rechtsstaat gelten könnte. Wir wünschten, sein Prozess hätte als Signal eines Sieges der Gerechtigkeit und des Endes von Ungerechtigkeit, Tyrannei und Totalitarismus gelten können.

Saddam war böse. Aber um ehrlich zu sein, müssen wir sagen, dass der Irak nun unter dem Einfluss jener steht, die schlimmer als Saddam sind.“

Und dazu rechnen nach Charbel einerseits diejenigen, die den Umsturz betrieben haben, indem sie einfach „die Tür zum Unbekannten“ aufstiessen. Aber auch diejenigen, die den Umsturz „benutzt haben, um sich zu rächen, Todesschwadrone zu bilden und Menschen zu vertreiben“:

„Schlimmer als Saddam sind jene, die das Machtvakuum benutzten, um in den Irak einzufallen und historische Stätten anzugreifen… und die den Irak in ein Jagdrevier verwandeln und eine tödliche Falle für seine Bewohner verwandeln.“

„Schlimmer als Saddam ist jener, der das Töten von US-Soldaten als Vorwand benutzt, um Iraker zu töten.“
„Saddam war ein brutaler Diktator, doch Irak hat unter seiner Herrschaft existiert. Die Entscheidung, Irak abzuschreiben, ist gefährliches als alle Abenteuer Saddams. Diese Entscheidung hat historische Gleichgewichte in der Region unterminiert und den Arabern einen Schlag versetzt, der gefährlicher ist als das Leiden der Palästinenser. Sie hat einen Zerfall ausgelöste, der zur Zerstörung anderer arabischer Länder führen kann.

Ich weiss, dass viele Menschen davon träumen, Saddam tot zu sehen. Sie zählen die Tage und bereiten eine Feier vor. Sie wollen ihre Familien gerächt sehen…. Doch Saddams Leichnam wird Öl im Feuer des Hasses sein…“

Al Hayat vom 28.12.2006