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Berlin feuert seinen besten Integrationspraktiker

 

Ein Beitrag von mir aus der aktuellen ZEIT, Nr. 7/2007
ZU GUT FÜR DEN JOB
BERLIN
Neukölln ist in den letzten Jahren im öffentlichen Bewusstsein zu dem Ort des gesellschaftspolitischen Scheiterns avanciert. Hier sagt der SPD-Bürgermeister Heinz Buschkoswky: „Multikulti ist gescheitert.“ Als im letzten Jahr das Kollegium der Rütli-Schule das Handtuch warf, wirkte das wie der Beleg zu dieser These. In Neukölln spielen Filme über türkisch-arabische Jugendgangs mit Titeln wie »Wut« und »Knallhart«. Die Botschaft ist klar: Wer mit seinem Leben noch etwas vorhat, verlässt dieses Viertel.
Gilles Duhem, ein französischer Politologe und Volkswirt, hat es anders gehalten. Der heute 39jährige hat vor fünf Jahren den Posten des „Quartiersmanagers“ in einen der schwierigsten Berliner Kieze übernommen – im Neuköllner Rollbergviertel. Ein Quartiersmanager soll Sanierungsmassnahmen und Hilfsangebote koordinieren. Doch Gilles Duhem hat in seinem Mikrokosmos über diese Aufgaben hinaus Unwahrscheinliches vollbracht. Dank seiner Arbeit ist ein dörfliches „Wir-Gefühl“ im Viertel entstanden. Die Bürger begannen, sich gegen den Verfall ihres Kiezes zu organisieren. Die Kriminalitätsrate sank im letzten Jahr um ein Drittel.
Duhem hat Konflikte nicht gescheut, vor denen seine Vorgänger sich gedrückt haben. Eine Horde arabischer Jungs, die lange die Strassen dominierte, hatte es anfangs auf ihn abgesehen, erzählt er: „’Alda, bissu schwul’, machten die mich an. ‚Ich bin schwul’, habe ich gesagt, und wenn ihr euch nicht benehmt, zeige ich euch an.’“ Die Jugendlichen mussten sich daran gewöhnen, dass man ihnen selbstbewusst und konsequent begegnet. „Wir sind einerseits das Sprachrohr der Leute«, sagt Duhem, »die keine Stimme haben. Doch wir geben auch dem Rechststaat ein Gesicht und setzen Regeln durch.“ Duhem hat die Neuköllner gewonnen, indem er sie von Anfang an nicht als hilflose Objekte staatlicher Betreuung behandelte, sondern als zu aktvierende Bürger. Er hat sie an Entscheidungen beteiligt, ihnen Verantwortung aufgenötigt und damit Selbstrespekt und Würde zurückgegeben. So ist er für die Bewohner des Rollbergviertels ein Held geworden.
Doch zu Jahresbeginn hat der Berliner Senat ihn nun – zum Entsetzen der Anwohner – kurzerhand rausgeworfen. Wie es dazu kam, ist ein Lehrstück über mutwillig verpasste Chancen in der Integrationspolitik.
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Man hatte Gilles Duhem gewarnt, sich nicht in die „Schlangengrube“ des Rollberviertels zu begeben. Die Türken konnten hier die Araber nicht ausstehen, und die Deutschen beschwerten sich über die kriminellen Ausländer und die Jugendgangs….
Die Migranten wiederum klagten zusammen über den Rassismus der Deutschen.
Wie stellt man in so einem Viertel das nötige Grundvertrauen zur Umgebung und den Nachbarn wieder her? Zunächst haben Duhem und seien Kollegin Renate Muhlak die allgemeine Lebensqualität im Viertel verbessert: herumliegender Müll wurde beseitigt, gegen jede Form der Ruhestörung wurde konsequent vorgegangen – bis zum polizeilichen Platzverweis. Den Schulschwierigkeiten vieler Migrantenkinder (und auch vieler deutscher Unterschichtkinder) rückten sie mit kostenloser Hausaufgabenhilfe zu Leibe. Freiwillige aus ganz Berlin pauken mit den Neuköllner Schülern Rechnen und Schreiben. Sie sind nebenbei, sagt Duhem, auch Botschafter aus jener für die meisten hier entrückten Welt, in der Erwachsene morgens zur Arbeit gehen.
Die Kiezbewohner selbst haben sich auf seine Initiative in einem Verein organisiert, der das Quartiersmanagement trägt und ein „Gemeinschaftshaus“ betreibt. Hier finden große Gemeinschaftsessen statt, bei denen die Bewohner selbst kochen. Einkaufen und organisieren müssen sie selbst – und dabei mit einem festen Budget umgehen lernen. Die Feste, sagt Duhem, seien wichtig, weil sie dem Kiez einen Rhythmus geben: In vielen Familien stehen nur die schulpflichtigen Kinder morgens auf, und die Unterscheidung von »Werktag« und »Sonntag« ist ein exotisches Konzept.
Deutsche und türkische Frauen hat Duhem zusammen zum Ausflug an die Ostsee geschickt – finanziert mit dem Preisgeld, das man als »Botschafter für Demokratie und Toleranz“ bekommen hat. Dass die Türkinnen mitdurften, spricht für das grosse Vertrauen, das dem Quartiersmanager entgegenbegracht wird. Türken und Araber haben im letzten Jahr erstmals zusammen Opferfest gefeiert – ein diplomatischer Durchbruch. Mädchen finden im Treffpunkt MaDonna einen Rückzugsraum und Unterstützung bei familiären Konflikten. 25.000 Stunden ehremamtlicher Arbeit wurden im letzten Jahr von den Anwohnern selber geleistet.
Der Erfolg Duhems begann sich irgendwann bei Integrationspolitikern über Berlin hinaus herumzusprechen. Und damit fingen die Schwierigkeiten an. Denn im Februar 2006 wollte die Staatsministerin Maria Böhmer (CDU) zusammen mit dem französischen Integrationsminister Azouz Begag den Rollbergkiez besuchen. Die SPD-kontrollierte Berliner Senatsverwaltung versuchte, den Besuch zu torpedieren – in Berlin herrschte Wahlkampf. Der Besuch fand aber statt, und Duhem war Gastgeber. Danach wurde er von dem zuständigen Abteilungsleiter zurechtgewiesen, er möge sich an die alte Wahrheit erinnern: „Wes’ Brot ich ess, des Lied ich sing.“ Die mehrfache Aufforderung, in die SPD einzutreten, schlug Duhem in dem Wind. Heute glaubt er, dass damit schon feststand, dass man ihn loswerden wollte.
Den noch fehlenden Anlass lieferte er selbst nach, indem er in einer Email über eine bürokratisch übereifrige Sachbearbeiterin schrieb, zu „diesem Weib“ falle ihm nichts mehr ein – und die Mail dann in einer klassischen Fehlleistung an die Betroffene selber schickte. Das Quartiersmanagement muss jährlich neu ausgeschrieben werden. Duhem wurde ausgebootet. Ein anderer Bewerber erhielt den Zuschlag, dem Protest des gesamten Viertels zum Trotz.
Gilles Duhem hat aus der oft belächelten Figur des Sozialarbeiters einen Held auf verlorenem Posten gemacht, der in einer zunehmend gespaltenen Gesellschaft ein ganzes Viertel mitzuziehen vermochte. Statt das kleine Wunder vom Rollberg – das Aufblühen von Bürgergeist in vollkommen unbürgerlichen Verhältnissen – zu einem Modell zu erklären, hat die Berliner Verwaltung es vorgezogen, das Experiment wegen der Unbotmässigkeit des frechen Duhem mutwillig abzubrechen. „Es gibt viele Formen von Vandalismus“, sagt eine Anwohnerin, die nicht genannt werden will.