Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Wie Rechtspopulisten die Islamkritik diskreditieren

 

Aus der ZEIT Nr. 37, S. 10:

(Leider – nein, zum Glück! – wird dieser Beitrag soeben überrollt von Dr. Ulfkottes Absage der Demonstration in Köln. Siehe den Schluss des Artikels.)

In Brüssel ist eine Demonstration verboten worden. Das wäre eigentlich keine Nachricht, denn so etwas kommt in den besten Hauptstädten vor. Allerdings hat es diesmal eine Demo »gegen die Islamisierung Europas« getroffen. Am symbolträchtigen 11. September wollte ein Bündnis von deutschen, belgischen, britischen und dänischen Gruppen in der EU-Hauptstadt auf die Straße gehen, um »die größte Bedrohung unserer Lebensweise in Europa« anzuprangern.
Doch der Brüsseler Bürgermeister Freddy Thielemans, der seit sechs Jahren die Stadt regiert, hat den Aufmarsch untersagt. Seither wird der lebenslustige, korpulente Sozialist im Internet als »Fat Freddy« mit Spott und Hass übergossen. Dabei hatte er mit dem Demoverbot doch verhindern wollen, dass »Brüssel zur Hauptstadt des Hasses« (Thielemans) werden sollte.
Wo immer in Europa ein Streit um Minarette, Karikaturen oder die Scharia aufflammt, liegt alsbald ein Hauch von Hysterie in der Luft. Vor zwei Wochen forderte der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders, den Koran zu verbieten »wie Adolf Hitlers Mein Kampf«. Kurz darauf brachte sich sein österreichischer Kollege Jörg Haider, um den es recht still geworden war, mit der Forderung eines »Bauverbots für Moscheen und Minarette« in die Schlagzeilen. Die Schweizer Rechtsaußenpartei SVP will ein Minarettverbot gar in die eidgenössische Bundesverfassung aufnehmen lassen. In Schweden versuchte sich dieser Tage eine Provinzzeitung namens Nerikes Allehanda an einer Wiederauflage des Karikaturenstreits, indem sie Zeichnungen veröffentlichte, die einen Hund namens Mohammed zeigen. Iran, Pakistan und Ägypten haben erwartungsgemäß protestiert, die ersten Flaggen wurden verbrannt. Die schwedische Regierung versucht, die Wogen zu glätten.
Unter Europas Rechtspopulisten tobt indes ein regelrechter Überbietungswettbewerb um die krea­tivs­te Idee, ein verbreitetes Unbehagen am Islam anzuzapfen. Schwer ist dieses Geschäft nicht: Täglich liefern Islamisten neues Futter für berechtigte Ängste. In Deutschland wurden soeben Anschläge vereitelt, die verheerende Ausmasse gehabt hätten. Und in Dänemark wurden acht Verdächtige mit Al-Qaida-Kontakten festgenommen, die offenbar einen Anschlag planten. Neben dem islamistischen Terrorismus verstört die Einheimischen auch das neue Selbstbewusstsein der eingewanderten Muslime. Mit sichtbaren Bauten markieren sie ihren Anspruch auf Anerkennung – wie etwa mit der Moschee in Köln-Ehrenfeld, über die ganz Deutschland debattiert.
Und nun soll man in Brüssel nicht mehr gegen die »Islamisierung« Europas demonstrieren dürfen? Dem Bürgermeister scheint bewusst geworden zu sein, dass sein Verbot sich ausnimmt wie die unfreiwillige Bestätigung der Weltsicht der verhinderten Demonstranten: Wenn man gegen »Islamisierung« nicht mehr demonstrieren darf, sagen sie, weil das die Gefühle der Muslime verletzen könnte, dann ist Europa offenbar schon islamisiert.
So schob Thielemans in der Brüsseler Zeitung de standaard eine Erklärung nach, warum er die Demo nicht dulden wollte. Das Demonstrationsrecht finde seine Grenze dort, wo Ruhe und Ordnung gestört werden. Die Anmelder hätten den 11. September gewählt, um »die terroristischen Aktivitäten von Islamisten zu vermengen mit dem Islam als Ganzem und mit allen Muslimen«. Thielemans gefällt nicht, wenn die Verantwortlichen behaupten, dass »Islam und Demokratie nicht zusammengehen« und dass sie »nicht an einen gemäßigten Islam glauben«.
Dass Islam und Demokratie ein problematisches Paar sind, ist aber keine abenteuerliche Behauptung von Islamhassern, sondern eine Tatsache in vielen Ländern der islamischen Welt. Und nur wer an einen gemäßigten Islam »glaubt«, soll in Brüssel demonstrieren dürfen? Das hieße, die Ausübung eines Grundrechts an eine fromme Meinung zu koppeln. Es sind am Ende andere Gründe, die Thielemans zu seinem Verbot bewegt haben. Er erwähnt Polizeiberichte, nach denen mit gewalttätigen Störaktionen zu rechnen wäre: »Mitglieder und Sympathisanten dieser Organisationen sind im Allgemeinen für ihr wenig friedliebendes Verhalten während solcher Veranstaltungen bekannt.«
»Diese Organisationen« – das sind die britische Initiative No Sharia here, die dänische Anti-Islam-Gruppe SIAD und aus Deutschland die Gruppe Pax Europa e. V. des ehemaligen FAZ-Journalisten Udo Ulfkotte. Und in Belgien macht die rechtsradikale Bewegung Vlaams Belang Werbung für die Demo. Ulfkotte, der an dem Projekt einer islamkritischen Rechtspartei für Deutschland arbeitet, beteuert, mit Rechtsextremisten nichts zu tun haben. Doch bei seinem Berufungsverfahren gegen das Demoverbot nahm er sich den Politiker Hugo Coveliers zum Anwalt, der in Antwerpen mit dem Vlaams Belang zusammengearbeitet hat. Und der Expolizist Bart ­Debie, eine schillernde Figur der rechten Szene Bel­giens und stolzes Mitglied des Vlaams Belang, brüstet sich, Ulfkottes Dolmetscher bei der Anhörung in Brüssel gewesen zu sein.
Das Brüsseler Oberverwaltungsgericht erklärte sich für nicht zuständig, die Demo bleibt also verboten. Der Möchtegern-Parteigründer Ulfkotte hat aber einen Ersatzort gefunden, der die Angelegenheit zu einer deutschen Affäre macht: Köln wird nun am 11. September die Anti-Islamisierungs-Demo bekommen, gleich neben dem Dom auf dem Roncalli-Platz. Der schon im Moscheenstreit kampf­er­probte Ralph Giordano hat sich als Hauptredner zur Verfügung gestellt.
Ob der NS-Überlebende weiß, mit wem er es zu tun hat? Die Anti-Moschee-Aktivisten von Pro Köln haben sich sofort an die Demo herangehängt. Ulfkotte beeilt sich auch hier, in empörten Presseerklärungen Distanz zu markieren. Es sei an »Niederträchtigkeit nicht zu überbieten«, wie diese Gruppe als »Trittbrettfahrer« auftrete. Pro Köln, von NPD-Mitgliedern und Republikanern gegründet, unterhält ganz offen herzliche Beziehungen zum Vlaams Belang sowie zu Bart Debie. Am 3. September teilt die Organisation mit, sie unterstütze Ulfkottes Demo – und fügt maliziös hinzu: »Der Vlaams Belang steht zu Udo Ulfkotte in einem guten herzlichen Kontakt.« Zwar distanziert dieser sich abermals »energisch«. Dennoch fragt sich, wer hier eigentlich bei wem auf dem Trittbrett fährt. Wenn sich der Rechtsradikalismus islamkritisch maskiert, schadet das am Ende auch denen, die ganz legitime Zweifel an der Kompatibilität der Scharia mit unserer Grundordnung hegen.
Es war gleichwohl ein Fehler, die Brüsseler Demonstration zu verbieten. Eine rechtspopulistische Szene, die sich wechselseitig zerlegt bei dem Versuch, antimuslimische Ängste auszubeuten, muss und darf nicht durch die Einengung des Demonstrationsrechts bekämpft werden.

p.s.: Diese Erklärung wird heute auf Ulkottes Seite verbreitet:

Für den Abend des 11. September hatte Pax Europa e.V. von 19 bis 21 Uhr eine weitere Großveranstaltung vor dem Kölner Dom angemeldet, deren Ziel es war, ebenfalls für den Erhalt europäischer Werte und gegen die Islamisierung Europas einzutreten. Zu den prominenten Rednern, die Pax Europa e.V. gewinnen konnte, zählt auch der Holocaust-Überlebende Schriftsteller und Publizist Ralph Giordano. In den vergangenen Tagen gab es aus der Sicht deutscher Sicherheitsbehörden deutliche Anzeichen dafür, dass eine größere Zahl militanter Rechtsextremisten aus ganz Europa als Trittbrettfahrer dieser demokratischen Veranstaltung aufzumarschieren gedachte. Da das deutsche Versammlungsrecht es im öffentlichen Raum nicht gestattet, Extremisten mit nicht willkommenen politischen Plakaten oder Abzeichen aus einer Kundgebung zu entfernen, stand der Veranstalter nach Rücksprache mit dem Polizeipräsidium Köln vor der Wahl, die Großkundgebung in Gegenwart vieler Neo-Nazis stattfinden zu lassen und diesen ein Podium zu bieten, sie abzusagen oder aber in einen geschlossenen Raum zu verlegen, bei dem der Veranstalter das Hausrecht hätte und Personen hätte abweisen können.

Und also wurde noch geprüft, ob man auf ein Rheinschiff steigt und dort kundgibt. Oder die Sache abbläst. Und man blies ab. Ein klägliches Ende. Eine lehrreiche Geschichte.