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Schluss mit dem islamischen Opferdiskurs

 

Ein exzellenter Artikel in der heutigen taz, dem ich nichts hinzuzufügen habe. Klemes Ludwig (Tibetexperte) fragt:

„Wem nützt es, den Islam als ewiges Opfer zu zeichnen? Einem aufgeklärten, emanzipierten Islam, der gleichberechtigter Teil der europäischen Gesellschaften ist, sicher nicht. Wer sich als Opfer fühlt und von anderen in dieser Rolle bestätigt wird, hat wenig Anlass, sich über die eigene Verantwortung für sein Schicksal Gedanken zu machen. Opfer zu sein ist bequem und erhöht den Betreffenden moralisch – jedenfalls solange sich das Leiden in Grenzen hält.

Nicht dass es in Teilen der Bevölkerung keine Ressentiments gegen Muslime gäbe. Sie gehören jedoch – zumindest in Deutschland – nicht zum gesellschaftlichen Konsens. Deshalb muss die Frage erlaubt sein, wie berechtigt der muslimische Opferdiskurs ist. Die Politik – in Gestalt des Innenminister Thomas de Maizière – heißt den Islam in Deutschland willkommen. Rechte Splitterparteien, die mit islamfeindlichen Parolen Stimmung machen wollen, sind bislang meist kläglich an der Fünfprozenthürde gescheitert. Und zahlreiche Gerichtsurteile, ob es nun ums Schächten oder Gebetsräume an Schulen geht, machen deutlich, dass der Rechtsstaat auch Muslimen die Ausübung ihres Glaubens garantiert.

Auch in historischer Perspektive betrachtet, ist der Islam nicht immer bloß Opfer des christlichen Westens gewesen. Natürlich gab es die Kreuzzüge und auch den Kolonialismus. Aber was wechselseitige Gewalt angeht, die es zu überwinden gilt, standen und stehen sich die beiden Seiten in nichts nach. Das gilt nicht erst für die Eroberung des Balkans durch das Osmanische Reich, die von der dortigen Bevölkerung überwiegend als Unterjochung empfunden wurde. (…)

Um nicht missverstanden zu werden: Diese Beispiele sind nicht dazu gedacht, aufzurechnen. Sondern dazu, aufzuklären. Denn es führt nicht weit, im Dialog der Kulturen nur auf die Schattenseiten der einen Seite zu verweisen. Statt zwischen Opferklischees und Diskriminierungsvorwürfen zu schwanken, sollte man sich auf Augenhöhe begegnen. Dazu gehört, dass sich Muslime den dunklen Facetten ihrer eigenen Geschichte stellen – und die Ursachen für manche Entwicklungsdefizite auch bei sich selbst suchen. Impulse dazu gibt zum Beispiel der Arab Human Development Report der UNDP, der als wesentliche Gründe für die Unterentwicklung vieler arabischer Länder die Defizite im Bereich der Bildung, der persönlichen Freiheiten und der Stellung der Frau nennt.

Der frühere Präsident von Malaysia, Mahathir Mohamad, ein selbstbewusster Muslim, hat dies einmal so formuliert: „Die Krisen und Probleme entstanden auch, als muslimische Geistliche anfingen, Fachgebiete zu vernachlässigen, die als weltlich wahrgenommen wurden, wie zum Beispiel Naturwissenschaften, Mathematik, Medizin und Technik, und sich nur auf religiöse Studien konzentrierten. Das war ein großer Fehler.“ Diese Erkenntnis lässt wenig Raum für einen simplen Opferdiskurs, aber viel für Entwicklung.“