Ich hatte hier auf die umfangreiche Fatwa des pakistanischen Sufi-Gelehrten Taher ul Qadri hingewiesen, in der Selbstmordattentate verurteilt werden. Bringt das eigentlich was? Religiöse Gutachten gegen den Extremismus? Albrecht Metzger hat da seine berechtigten Zweifel (auf Qantara.de):
Die Fatwa habe das Potential, junge Muslime, die auf dem Wege seien, in den Extremismus abzugleiten, zur Umkehr zu bewegen, so der Tenor. Selbst der Bild-Zeitung war die Geschichte eine Meldung wert: „So deutliche Worte hat ein islamischer Gelehrter für Terroristen noch nie gefunden!“
Ob das so stimmt ist fraglich. Nach den Anschlägen von London am 7. Juli 2005 veröffentlichten zum Beispiel einige Dutzend islamische Gelehrte aus Großbritannien eine gemeinsame Erklärung, in der sie die Tat ohne Wenn und Aber verurteilten: „Wir sind der festen Überzeugung, dass dieses Töten nicht vom Islam gutgeheißen werden kann, es gibt auch keine Rechtfertigung in unserer edlen Religion für solche bösartigen Taten.“
Die Täter seien keinesfalls als Märtyrer zu betrachten. Auch andere Religionsgelehrte in der islamischen Welt haben ähnlich lautende Fatwas zu dem Thema Selbstmordattentate verfasst.
Die Frage ist also, ob das Gutachten Taher ul-Qadris jenseits der Medienaufmerksamkeit, die es erhalten hat, geeignet ist, muslimischem Extremisten zur Umkehr zu bewegen. Zweifel sind angebracht. Erreicht er die Richtigen?
Eine Fatwa ist die persönliche Meinung eines islamischen Gelehrten, ob ein Gläubiger sie befolgt oder nicht hängt davon ab, wie er diese Person beurteilt. Taher ul-Qadri ist Führer einer Sufi-Organisation. Auf Youtube kursiert ein Video, in dem sich seine Anhänger mit Musik in Ekstase tanzen. Am Ende taucht der Gelehrte selber auf, steigt über einen am Boden liegenden Mann und wirft dem Sänger Geldscheine zu.
Viel Medienlärm um nichts? Bei Großbritanniens Muslimen sorgte die Fatwa Taher ul-Qadris bislang für keinerlei nennenswerte Resonanz. In salafistischen Kreisen, aus deren Mitte sich die meisten Jihadis rekrutieren, macht er sich mit solchen Praktiken extrem angreifbar. Sie lehnen Tanz und Gesang als unislamisch ab. So ist nach Ansicht von Sicherheitsexperten Kritik an Selbstmordattentaten vor allem dann effektiv, wenn sie aus den eigenen Reihen kommt. Ein Sufi findet unter Salafisten jedoch kaum Gehör.
In Deutschland jedenfalls hat Taher ul-Qadri in den einschlägigen Webforen keinerlei Reaktion hervorgerufen. „Nicht mal ein abwertender Kommentar ließ sich finden“, so ein deutscher Verfassungsschützer. „Die Ausstrahlungskraft auf die deutsche Jihadi-Szene lässt sich also mit ’nicht vorhanden‘ bezeichnen.“
Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob religiöse Gutachten die richtige Methode sind, um einen fortschrittlichen Islam zu entwickeln. Es sei zwecklos, eine „Fatwa-Schlacht“ mit den Extremisten zu beginnen, so Brian Whitaker, langjähriger Nahostkorrespondent des britischen Guardian. Denn für jedes Gutachten gebe es ein Gegengutachten.