Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Soll man Sarrazin ausgrenzen?

 

Sarrazins Buch macht die erwartbaren Wellen. Und das schon vor Erscheinen.

Am nächsten Montag sollte es eigentlich im „Haus der Kulturen der Welt“ in Berlin vorgestellt werden. Das HkW – wie hätte man einen besseren Platz finden können?! Hier wird üblicherweise nichtwestliche Kunst und Kultur ausgestellt oder diskutiert. Das HkW ist eine Art umgekehrtes Goethe-Institut, das interessante Künstler und Intellektuelle aus aller Welt gleich neben das Kanzleramt mitten nach Berlin holt. Es ist ein Versuch, Berlin weltoffen darzustellen, den Kulturbegriff zu erweitern und den Gewinn aus einer Mischung vieler Kulturen zu betonen. Also ein Hassort für alle, die gegen Muslime hetzen, indem sie sie ironisch als „Kulturbereicherer“ oder ähnliches titulieren. Und das Haus steht auch noch gleich neben den berühmten „Türkengrill“-Wiesen des Tiergartens, über die sich manche so gerne aufregen.
Dort also sollte Sarrazin sein Buch „Deutschland schafft sich ab“ vorstellen – eigentlich ein genialer Ort für die bereits laufende, überfällige Debatte. Doch nun hat das Haus offenbar kalte Füße bekommen und will die Veranstaltung absagen.
Nein, selber absagen will man dann doch nicht, das wirkt irgendwie peinlich und riecht nach Feigheit und Zensur. Also wurde gestern eine Mail herumgeschickt, in der es hieß, Sarrazin habe sich geweigert, eine kritische Stimme auf dem Podium zu dulden, und wenn er dabei bleibe, ja dann…
Also das überzeugt mich nun nicht. Entweder man sagt die Sache ab und gesteht einen Fehler bei der Planung des Events, oder man zieht es durch. Für kritische Stimmen im Publikum dürfte ohnehin gesorgt sein. So aber wird sich Sarrazin nun wieder in der Pose gefallen können, er sei ein umbequemer Mahner, dessen Wahrheiten das linke Justemilieu einfach nicht zu ertragen in der Lage ist. Schwache Vorstellung des HkW.
Und der Migrationsrat Berlin-Brandenburg sattelt jetzt auch noch drauf. Als wäre der (zweifehlafte) Erfolg nicht genug, die Veranstaltung schon verhindert zu haben. Ich zitiere aus einer soeben verschickten Meldung:

„Das Haus der Kulturen der Welt hat gestern in einer Pressemitteilung angekündigt, Sarrazins Lesung abzusagen, da er einen kritischen Gesprächspartner ablehne. Der MRBB begrüßt diese Positionierung des HkW. Trotzdem bleibt der Aufruf an die OrgansiatorInnen des Internationalen Literaturfestivals, Sarrazins Hetze kein Raum zu bieten, bestehen. Weiterhin wird der MRBB AutorInnen des Internationalen Literaturfestivals kontaktieren, um sie zu informieren, mit wem sie das Forum teilen, und zu einem Boykott aufzurufen.


‚Es geht hier nicht um eine Meinung, über die diskutiert werden kann, sondern um Extremismus. Sarrazins Äußerungen sind gefährliche rassistische Propaganda, die die Gesellschaft spaltet. Wer Sarrazins Hetze Raum bietet oder mit ihm den Raum teilt, macht sich der Komplizenschaft mit Rassismus schuldig. Gerade jetzt ist eine eindeutige Positionierung gegen rechtspopulistische Propaganda wichtig. Nicht nur dann, wenn es sich um ‚Pro Deutschland‘ oder NPD handelt‘, so Nuran Yiğit Vorstandsmitglied und Sprecherin des MRBB. Der Fall Sarrazin ist ein Paradebeispiel dafür, dass Rassismus kein Randgruppenproblem ist, sondern der Mitte der Gesellschaft entspringt.


Also echt, liebe Leute: Schaltet mal einen Gang runter. Jetzt macht man sich schon schuldig, wenn man mit ihm einen Raum teilt? Das ist ja bizarr. Macht man sich dann nicht auch schon schuldig, wenn man überhaupt über ihn schreibt? Oder ihm die Zeitungsseiten für ein Interview öffnet, wie heute in der ZEIT?

Wenn man nicht mehr mit ihm in einen Raum darf, wie soll man ihn mit einer Gegenmeinung konfrontieren? Wenn man nicht mehr darüber schreiben darf, wie soll man seine Thesen widerlegen? Wie aber soll man sich dann „positionieren“? So wird das Ganze zu einem Glaubenskampf.

Und übrigens halte ich es auch nicht für sehr hilfreich (und vor allem: nicht zutreffend) zu behaupten, Sarrazin sei ein „Paradebeispiel“ dafür, „dass Rassimus der Mitte der Gesellschaft entspringt“.

Die „Mitte der Gesellschaft“ in Deutschland ist nicht rassistisch. Das einfach so zu behaupten gibt der NPD Recht, die tatsächlich glaubt, Sarrazins Buch bedeute die Ankunft ihres Denkens in der „Mitte“. Der Migrationsrat spielt mit diesen dämlichen, überzogenen Einlassungen das Spiel der Rechtsradikalen mit.

Auseinandersetzung, Widerlegung, Konfrontation – darum kommt man nicht herum. Verbot, Ausgrenzung, „Positionierung“ ist kein Ersatz für eine Debatte.

p.s. Dass die SPD sich von dem Mann trennen muss, steht auf einem anderen Blatt. Eine Partei ist ein Tendenz-Verein mit bestimmten Grundwerten, Zielen und Umgangsformen. Sarrazin gehört nicht mehr zur Sozialdemokratie.

p.p.s. Leider hatten sich in meinen Text Fehler eingeschlichen. Necla Kelek sollte an dieser Veranstaltung nicht teilnehmen. Sie wird bei der offiziellen PK mit Sarrazin im Haus der Bundespressekonferenz am kommenden Montag dabei sein. Ich bitte, die Fehler zu entschuldigen und danke für die Hinweise.