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Eine Jeans reist um die Welt

 

Illustration: Judith Drews
Illustration: Judith Drews

Viele Produkte haben einen langen Weg hinter sich, bevor wir sie im Laden kaufen. Das hat Folgen für die Umwelt. Welche? Leonie und Anna, zwei ganz besondere Stadtführerinnen, erklären es

Von Katrin Brinkmann

Mühsam schieben sich Menschen mit prall gefüllten Einkaufstüten durch die Innenstadt Hannovers. Noch drei Wochen Zeit, um Geschenke für Weihnachten zu besorgen – da wirken viele Menschen gehetzt. Nur eine Gruppe Jugendlicher steht mitten im Weihnachtsmarkttrubel mit leeren Händen vor einem Modegeschäft. »Wisst ihr eigentlich, welche Weltreise eine Jeans macht, bevor sie in euren Einkaufstüten landet?«, fragt eine junge Frau, die von 15 Jungen und Mädchen umringt ist.
Die Frau heißt Leonie Reckewerth und ist Stadtführerin. Ihre Tour, an der heute Siebtklässler der Peter-Petersen-Realschule teilnehmen, ist keine normale Stadtführung. Leonie nimmt die Schüler in den nächsten eineinhalb Stunden mit auf eine Reise um die Welt – und das mitten in Hannover. Gemeinsam mit zwei Kolleginnen vom Jugendumweltnetzwerk Niedersachsen will Leonie zeigen, was der Modeladen an der Ecke mit Indien zu tun hat und warum der Fleischklops auf dem Burger schlecht fürs Klima ist.
Kurz gesagt: Es geht es um Globalisierung. Das Wort hat fast jeder schon einmal gehört. »Aber was heißt das eigentlich?«, fragt Leonie die Schüler. »Dass alle auf der Welt mit der Playstation spielen, obwohl sie aus Japan stammt«, antwortet Schüler Lorenzo. In Globalisierung steckt das Wort global, und das bedeutet, dass etwas die ganze Erde umfasst. Auch in der Wirtschaft taucht der Begriff auf. »Global Player« nennt man zum Beispiel große internationale Unternehmen. Ihre Produkte – Turnschuhe, Limonade oder Hamburger – sind auf der ganzen Welt bekannt. Und die Bestandteile kommen oft aus verschiedenen Ländern.

Illustration: Judith Drews
Illustration: Judith Drews

Leonie erklärt das den Schülern am Beispiel einer Jeans. Die hat eine weite Reise hinter sich, wenn wir sie im Laden kaufen. Ihr Weg beginnt zum Beispiel in Indien. »Denn die Baumwolle wächst nur, wo es warm ist und die Luft feucht«, sagt Leonie. Von Indien wird die Baumwolle nach China geschickt und dort mit Maschinen zu Garn versponnen. Die Reise geht weiter nach Taiwan. Hier wird das Garn gefärbt und bekommt das typische Jeansblau. In Polen verweben Arbeiter das blaue Garn zu Stoff. Nun überlegen sich zum Beispiel Designer einer schwedischen Modekette, wie die Jeans aus diesem Stoff aussehen soll, und schicken ein Schnittmuster auf die Philippinen. Denn dort nähen Arbeiterinnen die Jeans. Aus Frankreich kommt noch der Zettel mit der Anleitung, wie die Hose gewaschen werden soll. Auch den nähen die Arbeiterinnen ein. Eigentlich wäre die Jeans jetzt fertig. Doch weil es modern ist, dass die Hosen gebraucht aussehen, werden sie noch nach Griechenland geschickt und dort mit rauen Bimssteinen gewaschen.
»Aber warum wird das nicht alles in Deutschland gemacht?«, fragt die Schülerin Büsra. »Weil die Jeans-Produktion im Ausland oft billiger ist«, erklärt Leonie. Zum Beispiel verdienen die Arbeiterinnen auf den Philippinen nur wenige Cent. So machen die Modeketten auch dann Gewinn, wenn sie die Jeans für nur 30 Euro verkaufen. Und so günstige Hosen wollen viele gern.
Dabei übersehen wir als Kunden aber oft auch die schlechte Energiebilanz der Produkte: Damit gemeint ist die Energie, die für die Herstellung einer Jeans notwendig ist. Zum Beispiel reist sie Tausende Kilometer, bis sie bei uns im Laden liegt. Die Lkw und Flugzeuge, die sie transportieren, erzeugen dabei viel Kohlendioxid. Und diese Abgase sind schlecht fürs Klima.
Die nächste Station der Schülergruppe in der Hannoveraner Innenstadt ist ein Fast-Food-Restaurant. Stadtführerin Anna drückt fünf Freiwilligen Burger-Kartons in die Hand. »Mmmm, der riecht aber lecker«, sagt die Schülerin Levon. Doch als sie die Packung öffnet, ist die leer. Nur ein Zettel liegt darin. Die Schüler sollen bei einem Rollenspiel mitmachen. Levon ist eine Umweltschützerin, auf ihrem Zettel steht: »Ich protestiere! Großbauern sollen aufhören, Regenwald abzuholzen, um darauf Sojabohnen als Tierfutter anzubauen!« – »Aber für mich ist das ein Eins-a-Geschäft«, antwortet ihr ein Mitschüler, der einen Großbauern aus Brasilien spielt. »Das Land ist billig, und ich kann die Sojabohnen super an andere Länder verkaufen.« – »Und ich kaufe die Sojabohnen gern als Futter, weil sie so günstig sind«, liest der nächste. Er spielt einen deutschen Rinderzüchter. Der letzte Schüler spielt den Fleischliebhaber Klaus Hungrig: »Gemüse schmeckt doch nach nix, ich esse lieber Bratwurst!«
»Wächst denn der Regenwald wieder?«, fragt die Schülerin Lena. »Nie so wie vorher«, sagt die Stadtführerin. Aber nicht nur die Umwelt, auch die Tiere litten unter unserer Lust auf Fleisch. Weil jeder Deutsche im Jahr rund 60 Kilogramm davon verdrückt, sollen die Tiere schnell fett werden. Darum sperrt man sie oft in enge Ställe, wo sie viel fressen und sich wenig bewegen. »Außerdem pupsen die Kühe viel«, sagt Lorenzo. Alle lachen. Doch was lustig klingt, ist schädlich fürs Klima. Bis zu 300 Liter Methangas stößt eine Kuh jeden Tag aus. Genau wie Kohlenstoffdioxid sorgt dieses Gas dafür, dass es auf der Erde wärmer wird.
»Ihr müsst ja nicht ganz auf Fleisch verzichten«, sagt Stadtführerin Anna. Wenn es aber jeder nur zweimal pro Woche wegließe, könne das schon viel bewirken. Auf dem Nachhauseweg überlegen die Schüler weiter: Was können wir eigentlich tun? »Zum Beispiel eine Falafel ohne Fleisch essen!«, sagt Moritz. »Oder wir tragen unsere Jeans so lange wie möglich«, sagt Büsra. »Aber die Menschen haben sich so sehr an alles gewöhnt, dass es ihnen schwerfällt, zu verzichten«, sagt Levon. »Erst wenn wir hier bald auch im Winter 20 Grad haben, merken alle, dass etwas nicht in Ordnung ist!«