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Der Rätselmacher

 

© Dennis Williamson
Eckstein will Unerkannt bleiben. Deshalb trägt er Plastiknase und Schnurrbart/ Foto:Dennis Williamson

Verdrehte Wörter und knifflige Fragen: Seine Aufgabe ist es, Knobelfans ins Grübeln zu bringen. Zu Gast bei einem Meister des Denksports
Von Susanne Gaschke

Tief in der Nacht von Donnerstag auf Freitag kommt jede Woche ein geheimnisvoller Mann in einem schwarzen Umhang und mit einer dunklen Maske in die Redaktion der KinderZEIT in Hamburg. Niemand kennt ihn. Nur die Nachtwächter bemerken ihn manchmal. Wie ein Schatten huscht er durch die Gänge, legt, hastdunichtgesehen, einen Umschlag auf unseren Schreibtisch und ist, schwuppdiwupp, auch schon wieder verschwunden. Was in dem Umschlag ist? Das Ums Eckchen gedacht-Rätsel, an dem Ihr Euch jede Woche den Kopf zerbrecht.
Einen Rätselmacher stellt man sich ein wenig geheimnisvoll vor – auf jeden Fall ist sein Beruf viel ungewöhnlicher als Bäcker, Ärztin oder Rechtsanwalt. Und auch wenn die Sache mit dem Fremden im dunklen Mantel, der nachts über unsere Flure huscht, eine glatte Erfindung ist: Ein bisschen muss man sich schon anstrengen, um einen echten Rätselmacher kennenzulernen. Sie sind nicht eben dicht gesät. Das liegt auch daran, dass viele Rätsel heute von Computern hergestellt werden.

Also machte ich mich auf den Weg zu Eckstein. (Das ist nicht sein richtiger Name. Sein richtiger Name ist GEHEIM!) Eckstein denkt sich Woche für Woche das KinderZEIT-Rätsel und das große Um die Ecke gedacht für Erwachsene aus (Ihr findet es immer im ZEITmagazin). Diese Rätsel schickt er der Redaktion ziemlich ungeheimnisvoll per E-Mail. Und per E-Mail hatte er mir auch die Wegbeschreibung zu seiner Wohnung zukommen lassen. Eckstein lebt in einer kleinen Stadt in Schleswig-Holstein, über die der Dichter Günter Kunert, der auch dort wohnt, einmal gesagt hat, sie liege »zwischen Nässe und Nichts«. Und genau so – nach Nässe und Nichts – sah es aus, als ich durch Nebel, Gewitter und Schnee mit dem Auto dorthin fuhr. »Vom Marktplatz aus entdecken Sie schnell ein kleines Gässchen«, hatte Eckstein mir geschrieben, »diesem folgen Sie, und dann ist es das dritte Haus auf der rechten Seite.« Ein anderer hätte sicher einfach die Adresse »XY-Straße Nr. Z« mitgeteilt. Aber ein anderer wäre auch kein Rätselmacher.
Eckstein hatte schon als Kind Spaß daran, sich für seine beiden jüngeren Geschwister Schatzsuchen auszudenken. Aufgabenzettel führten vom Schuhschrank ins Badezimmer, weiter zur Keksdose und von dort unter ein Bett im Kinderzimmer. Sein Bruder und seine Schwester fanden das toll. »Aber es hat nicht immer funktioniert«, sagt Eckstein, der inzwischen selbst drei – schon erwachsene – Kinder hat: »Meine Eltern haben noch nach Jahren manche dieser Zettel entdeckt, die offenbar niemand gefunden hatte.« Doch nicht nur Schatzsuchen gefielen ihm, vor allem wollte Eckstein immer ganz genau wissen, wie Rätsel eigentlich funktionieren. »Ich war geradezu rätselsüchtig«, sagt er. Und noch spannender, als die Rätsel anderer Leute zu lösen, fand er es, selbst welche erfinden.
In seinem Arbeitszimmer (zweiter Stock im dritten Haus auf der rechten Seite) sitzt der Rätselmeister, umgeben von ganz vielen Büchern: Nachschlagewerken, Zitatensammlungen und großen alten Bänden voller Sprichwörter. Wörter sind für die Sorte Rätsel, die Eckstein macht, das Wichtigste: verdrehte Wörter, komplizierte Wörter und auch ganz einfache Wörter, auf die man aber nicht so leicht kommt. Denn er macht eine besondere Art Kreuzworträtsel. Bei normalen Kreuzworträtseln wird direkt nach der Bedeutung eines Wortes gefragt. »Ägyptischer Fluss« steht da zum Beispiel, und es ist Platz für drei Buchstaben. Die Antwort lautet »Nil«. Um solche Rätsel zu lösen, muss man Begriffe auswendig können – ums Raten geht es gar nicht so sehr. Bei Ecksteins Rätseln ist das anders. Zwar haben auch sie die Kreuzworträtselform (senkrechte und waagerechte Worte teilen sich manche Buchstaben), aber wie ihr Name schon sagt: Man muss, um sie zu knacken, um die Ecke denken. Oder ums Eckchen. So fragt Eckstein zum Beispiel: »Leserattenfutterplatz – Darin fing nicht nur Bastian Balthasar Bux’ Geschichte an«. Als Rater hat man zwei Möglichkeiten: Entweder, man kommt selbst darauf, dass Leseratten ihr Futter (Bücher) wohl in einem Buchladen kaufen. Oder man kennt Die Unendliche Geschichte von Michael Ende und weiß, dass sie für den Helden Bastian in einem Buchladen beginnt. Für seine Rätsel benutzt Eckstein auch gern – schwieriges Wort! – Anagramme. Ein Anagramm ist ein Wort, das sich aus den Buchstaben eines anderen Wortes zusammensetzen lässt: Aus ERWÜNSCHT wird zum Beispiel WÜRSTCHEN, aus KREDIT wird DIREKT.

Seit 1988 erdenkt Eckstein Erwachsenenrätsel für die ZEIT (bald erscheint das 2000.), vor zwei Jahren ist das Kinderrätsel dazugekommen. Den Lesern scheinen die Knobeleien zu gefallen, das schreiben sie jedenfalls in vielen freundlichen Leserbriefen. »Allerdings sind die Rater auch sehr stolz, wenn sie mir einen Fehler im Rätsel nachweisen«, sagt Eckstein. Aber das geschieht selten!
Doch wie wurde nun der Rätselfan zum Rätselmacher, der seinen Lebensunterhalt damit verdient, andere Leute ins Grübeln zu bringen? Das kam so: Vor vielen Jahren studierte Eckstein Betriebswirtschaftslehre in Hamburg (da nannte ihn noch niemand Eckstein, für die Studienkollegen war er Dieter). Um sich etwas Geld zu verdienen, arbeitete er als Nachtwächter bei der ZEIT. Dabei begegnete ihm immer wieder mal der damalige Rätselmacher, der zu später nächtlicher Stunde in die Redaktion kam, um sein fertiges Rätsel abzuliefern. Eines Nachts traute sich der junge Nachtwächter, dem alten Rätselmeister ein selbst erdachtes Rätsel zu überreichen. Der war begeistert und bat nun immer häufiger den Nachtwächter um ein neues Rätsel für die Zeitung. Und als er sich schließlich zur Ruhe setzte, da ließ Dieter seinen damaligen Beruf Beruf sein und wurde als Eckstein neuer Rätselmacher der ZEIT. Er ist es bis heute, und dieser Teil der Geschichte ist wirklich wahr!