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Der Anfang vom Ende der MONUC

Nicht so gute Nachrichten aus dem Kongo: Eine bewaffnete Miliz hat am vergangenen Sonntag den Flughafen von Mbandaka angegriffen, dabei zwei UN-Angehörige und mehrere kongolesische Zivilisten getötet. Inzwischen haben laut BBC Einheiten der kongolesischen Armee zusammen mit Blauhelmen der UN den Flughafen zurückerobert.

Schon wieder Unruhen im Ostkongo? Falsch. Mbandaka ist die Hauptstadt der Provinz Equateur im Westen des Landes. Vor einigen Monaten brach hier ein bewaffneter Konflikt zwischen den ethnischen Gruppen der Lobala und Boba – angeblich ausgelöst durch einen Streit um Fischereirechte.

Die Folge: über hundert Tote und 200.000 Vertriebene, von denen viele über die Grenze in die benachbarte Republik Kongo geflohen sind.  Also ein Konfliktherd und eine humanitäre Krise mehr.

Nicht, dass es eines zusätzlichen Beweises bedurft hätte: der kongolesische Staat ist meilenweit davon entfernt, ein Gewaltmonopol beanspruchen zu können. Für Einsätze wie in Mbandaka, aber auch im Osten sind die Forces Armées de la République Démocratique du Congo (FARDC) auf die Hilfe der UN angewiesen.

Das wirft zum einen die inzwischen heftig diskutierte Frage auf, ob sich die UN dabei mitschuldig an den Menschenrechtsverletzungen von FARDC-Einheiten macht. Zum anderen gerät die kongolesische Regierung zunehmend in die Bredouille. Die möchte die UN-Mission im Kongo (MONUC) samt Blauhelmen gern aus dem Land haben – am liebsten pünktlich zum 30. Juni 2010, wenn das Land den 50. Jahrestag seiner Unabhängigkeit feiert, und Präsident Joseph Kabila sich als starker Mann präsentieren möchte, der keine internationale Hilfe braucht. Weil Kabila die Blauhelme so schnell nun auch wieder nicht los werden kann, verlangt er von den UN bis Ende Juni zumindest einen Abzugsplan.

Die Anti-UN-Rhetorik in Kinshasa speist sich zum einen aus dem Ärger der Regierung über UN-Kritik am desolaten Zustand der Streitkräfte und an den massiven Menschenrechtsverletzungen kongolesischer Militärs. Zum anderen aus der pompösen Selbstüberschätzung, die Sicherheitsprobleme im Land selbst in den Griff bekommen zu können.

Wie weit diese Einschätzung von der Realität entfernt ist, hat auf tragische Weise zuletzt das Massaker von Trupps der LRA im Nordosten des Kongo gezeigt. Und nun die Besetzung eines ganzen Flughafens durch eine Miliz in Mbandaka.

Wie gesagt: ganz so schnell wird sich MONUC nicht aus dem Kongo verabschieden. UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon hat am Montag dem Sicherheitsrat empfohlen, das am 31. Mai auslaufende Mandat für MONUC um ein weiteres Jahr zu verlängern, aber die ersten 2000 Blauhelme bis Juni abzuziehen.

Das könnte den Mitgliedsländern im Sicherheitsrat entgegen kommen, welche über die vergangenen elf Jahre der UN-Mission gern zusätzliche Aufgaben aufluden, aber nie ausreichend Personal und Mittel genehmigten. MONUC stellt mit 18.500 Soldaten und einem Jahresbudget von einer Milliarde Dollar derzeit die größte und teuerste Blauhelm-Mission. Aber in Anbetracht der Dimensionen kongolesischer Probleme war sie immer zu klein. Und ist es immer noch.

Bans Vorschlag stellt die Weltorganisation vor ein weiteres Dilemma. Verschiedene UN-Diplomaten haben in den vergangenen Monaten durchblicken lassen, dass Joseph Kabilas zunehmend autoritäres Gebaren eine längere Präsenz der MONUC inakzeptabel macht. Für 2011 sind im Kongo Wahlen angesetzt. Schon jetzt ist klar, dass diese dazu dienen sollen, Kabila endgültig im Präsidentenpalast zu inthronisieren.

Die UN aber würden nach dem Debakel um Hamid Karzais Wahlsieg in Afghanistan erneut zum Mitorganisator einer Farce. Und damit im Kongo auch zum Totengräber ihres Experiments des Demokratieaufbaus unter hellblauer Flagge.

 

Wie die UN im Kongo ihren Ruf ruiniert

Es gibt Neues von Jean-Claude Kibala, dem Vizegouverneur der kongolesischen Provinz Süd-Kivu, über den die ZEIT seit 2006 regelmäßig berichtet. „Herr Kibala kriegt die Krise“, gerade in der ZEIT erschienen, beschreibt nicht nur die alltäglichen Kämpfe und Krämpfe beim Staatsaufbau, sondern auch die Folgen der Weltwirtschaftskrise, die mit voller Wucht im Kongo zu spüren sind.

Ein Desaster kommt in diesem Land bekanntlich selten allein, weshalb Kibala schon das nächste Drama bevorsteht. Die Region steht am Rande eines Krieges. Nicht schon wieder, stöhnen da die Krisenmanager bei den Vereinten Nationen in New York, der EU in Brüssel, in Washington und Pretoria.

Dabei schien doch im Januar die große Zeitenwende eingeläutet. Da beendeten die Präsidenten des Kongo und Ruandas, Joseph Kabila und Paul Kagame, ihre Erzfeindschaft und handelten einen sensationallen Deal aus: Ruanda zog den kongolesischen Tutsi-Rebellenführer Laurent Nkunda aus dem Verkehr, der Ende vergangenen Jahres die halbe Provinz Nord-Kivu überrannt und etwas zu großspurig einen Vormarsch auf Kinshasa angekündigt hatte. Dessen Miliz, die CNDP, sollte nun in die kongolesische Armee integriert werden.

Im Gegenzug erlaubte Kabila der ruandischen Armee, auf kongolesischem Boden gegen die Hutu-Milizen der FDLR vorzugehen. In deren Reihen befinden sich bekanntlich zahlreiche Täter des Völkermordes in Ruanda 1994. Seit fünfzehn Jahren haben sich diese Milizen in den Kivu-Provinzen festgesetzt, kontrollieren rohstoffreiche Gebiete samt der dort lebenden Bevölkerung.

Fazit dieser Operation: Nkunda ist (noch) unter Hausarrest. Die ruandische Armee nahm kurzzeitig ein paar Stellungen der FDLR in Nord-Kivu ein, die diese inzwischen wieder zurückerobert hat. Außerdem rächen sich Hutu-Milizen für diese Militäraktion mit Überfällen auf Zivilisten in Nord-Kivu. Die ersten CNDP-Kämpfer sind bereits wieder aus der Armee desertiert, weil es dort keinen Sold und nichts zu essen gibt. Folglich ist es besonders schwierig, Rebellen in eine Armee einzugliedern, die sie vor kurzem noch aus allen Rohren beschossen haben.

Was von diesen „integrierten Brigaden“ noch übrig ist, soll nun mit Unterstützung der Blauhelme der UN in Süd-Kivu versuchen, was in Nord-Kivu schon nicht gelungen ist: die Entwaffnung der FDLR. Diese hat – gewissermaßen präventiv – mit ersten Massakern und Plünderungen in mehreren Dörfern deutlich gemacht, wer den Preis auch für diese Aktion bezahlen wird: die Zivilbevölkerung. Die muss nicht nur die Hutu-Rebellen fürchten, sondern auch ihre eigenen notorisch plündernden Soldaten. Deren Sold wird noch seltener als bisher ausgezahlt – nicht zuletzt eine Folge der Weltwirtschaftskrise, welche die kongolesische Regierung an den Rand der Zahlungsunfähigkeit getrieben hat. Die Hilfsorganisation Oxfam warnte schon vor Wochen vor mehreren Hundertausend neuen Binnenflüchtlingen.

Und nun? Man kann ja durchaus der Meinung sein, dass gegen die FDLR, unbestritten das größte Hindernis für eine Befriedung des Ostkongo, auch Militär eingesetzt werden muss. Aber in diesen Fällen muss gelten: Der Militäreinsatz darf die Lage nicht schlimmer machen, als sie ohnehin schon ist. Und der Schutz der Zivilbevölkerung hat absolute Priorität. Wessen Verantwortung ist das? Nun, laut Völkerrecht die der Kombattanten. Vor denen aber kann man, wie gesagt, nur weglaufen. Bleibt die Blauhelm-Mission. Die ist notorisch unterbesetzt und für diese Aufgabe erbärmlich schlecht ausgerüstet. Die Moral der Truppe sinkt und die Wut der Bevölkerung auf ihre vermeintlichen Beschützer wächst. Jean-Claude Kibala, der Vizegouverneur in Süd-Kivu, fürchtet, dass „es zu Ausschreitungen gegen die UN kommen kann.“

Zur Erinnerung: Im Herbst vergangenen Jahres, als Nkundas CNDP die kongolesische Armee aufrieb und zehntausende von Flüchtlingen vor sich her trieb, diskutierten die Mitgliedsländer der Europäischen Union, eine ihrer battle groups zum Schutz der Bevölkerung zu entsenden. Daraus wurde nichts – unter anderem, weil die deutsche Regierung sich mit Händen und Füßen sträubte. Stattdessen beschloss der UN-Sicherheitsrat or vier Monaten, die Blauhelm-Mission um weitere 3000 Soldaten aufzustocken. Wie viele sind bislang im Ost-Kongo eingetroffen? Kein einziger. So kommt das Prinzip des Peacekeeping langsam, aber sicher auf den Hund.

 

Das Kreuz mit den Friedenshütern – in Afrika häufen sich die Skandale um Blauhelme der UN

Der Mann ist um seinen Job nicht zu beneiden. Jean-Marie Guehenno ist im New Yorker Hauptquartier der UN verantwortlich für die Abteilung Peacekeeping. Im Moment hat es den Anschein, als sei der Franzose mehr mit den Skandalen seiner Truppen als mit ihren friedenserhaltenden Maßnahmen beschäftigt.

Beginnen wir mit ein paar Details zu den Schwierigkeiten dieses Jobs: Wann immer der Sicherheitsrat eine Blauhelm-Mission beschließt (was er seit Ende des Kalten Krieges vergleichsweise häufig tut), muss Guehenno die Mitgliedsländer der Vereinten Nationen um Soldaten anbetteln. Natürlich ist jeder irgendwie für den Frieden, wenn es aber darum geht, Soldaten für Friedensmissionen abzustellen, hört Guehenno vor allem aus den reichen Ländern oft ein „Sorry, wir sind beschäftigt.“
Deutlich kooperativer sind Regierungen der Armenhäusern dieser Welt. Schließlich werden ihre un(ter)bezahlten Soldaten und Polizisten auf Missionen von der UN durchgefüttert und bezuschusst. Kurzum: Nicht das Personal, das man sich für komplizierte Einsätze wie im Kongo, Haiti oder Kashmir wünscht.
Umso dankbarer muss Guehenno also für Blauhelm-Soldaten aus Ländern sein, in denen die Armee gut versorgt, gut ausgerüstet und dank Übung in (Bürger)kriegen einigermaßen diszipliniert ist. Da sind vor allem drei Nationen zu nennen, die derzeit auch das Gros der rund 100.000 UN-Soldaten stellen: Pakistan, Indien und Bangla Desh.

Dies also muss man wissen, um den jüngsten Untersuchungsbericht der UN über einen Blauhelm-Skandal im Kongo zu interpretieren: Im Mai ging es in diesem Blog um pakistanische Blauhelme, die im Osten des Kongo einen lebhaften Gold-und Waffenschmuggel mit eben jenen Rebellen organisiert haben sollen, für deren Kontrolle und Entwaffnung sie zuständig waren. Die Organisation Human Rights Watch (HRW) hatte 2005 recherchiert, dass ein Netzwerk aus kongolesischen Offizieren, kenianischen Geschäftsleuten und pakistanischen Blauhelmen Gold im Wert mehrerer Millionen Dollar aus dem rohstoffreichen Bezirk Ituri geschmuggelt hatten. Beteiligt am Geschäft waren auch Kämpfer der „Front des nationalistes intégrationistes“, einer Miliz, die während des Krieges in Ituri Massaker an der Zivilbevölkerung verübt hat. Ausgerechnet der FNI sollen pakistanische Blauhelme Waffen und Munition geliefert haben. FNI-Führer haben das selbst in der Öffentlichkeit zugegeben. Außerdem hat ein Reporterteam der BBC nach eigener Recherche die Berichte von HRW bestätigt.

Umso verblüffender die Essenz des Abschlußberichts der UN-Untersuchung dieser Vorfälle (der gesamte Wortlauft des Berichts ist bislang vertraulich), der nun, über zwei Jahre nach den Berichten durch Human Rights Watch, fertig gestellt worden ist: Waffenlieferungen? Haben nicht stattgefunden. Goldschmuggel? Ein bißchen, aber nur ein pakistanischer Offizier soll sich schuldig gemacht haben. Konsequenzen? Offenbar keine. „Der Fall ist abgeschlossen“. erklärte Guehenno der Presse. ‚Das kann ja wohl nicht wahr sein‘, antwortete sinngemäß Human Rights Watch in einem etwas diplomatischer formulierten Brief
Ist wirklich zynisch, wer nun vermutet, dass hier ein Skandal klein gekocht wird, um einen wichtigen Truppengeber nicht zu verprellen?

Zugegeben: Guehenno und die UN haben wenig Handhabe gegen Blauhelme, die in ihren Einsatzgebieten Straftaten begehen. Die UN kann ermitteln, sie kann kriminelle Soldaten nach Hause schicken. Doch die Strafverfolgung obliegt allein der Justiz der Entsendeländer, und die scheren sich in der Regel nicht darum, wie ihre Soldaten sich bei Friedenseinsätzen aufführen.

Bloß spielen UN-Truppen zur Zeit in keinem Land eine so wichtige Rolle wie im Kongo, in dessen Ostteil immer wieder Kämpfe ausbrechen und der fragile Frieden seit den Parlaments-und Präsidentschaftswahlen im vergangenen Jahr wirklich auf der Kippe steht. Gerade hier macht aber ein UN-Skandal nach dem anderen Schlagzeilen: In der Provinz Nord-Kivu sollen indische Blauhelme in Goldschmuggel verwickelt sein. In Ituri wiederum wächst zusätzliche Wut auf die Blauhelme, weil Soldaten aus Bangla Desh, zuständig für das UN-Gefängnis, zwei kongolesische Insassen getötet und mehrere andere verletzt haben sollen. Hinzu kommt noch die Nachricht aus der Elfenbeinküste, wo das gesamte UN-Kontingent von rund 9000 Soldaten unter Kasernenarrest gestellt worden ist, weil eine Einheit marokkanischer Blauhelme des sexuellen Mißbrauchs einheimischer Mädchen verdächtigt wird.

Angesichts der Häufung solcher Meldungen in den letzten Jahren bekommen Blauhelme langsam den Ruf eines hoffnungslosen Haufens aus Freiern, Zuhältern und Schwarzmarktdealern. Das ist mitnichten der Fall. Erstens gilt das Offensichtliche: die UN haben derzeit 100.000 Blauhelme im Einsatz. Die Mehrheit befolgt herrschende Gesetze und Vorschriften, und das schlimmste, was man ihr vorwerfen kann, ist Hilflosigkeit in Krisensituationen. Aber das ist ein anderes Thema.

Nein, das Problem liegt in einer Diskrepanz zwischen lokalem öffentlichem Bewusstsein und fehlender internationaler Bereitschaft zur Aufklärung. Soll heißen: Menschenrechtsgruppen und Journalisten in den Krisenländern achten inzwischen sehr aufmerksam auf das Verhalten jener Soldaten, die im Auftrag der Weltgemeinschaft Frieden und Menschenrechte sichern sollen. Verbrechen seitens der Blauhelme werden schneller und öfter aufgedeckt als früher. Aber innerhalb der Vereinten Nationen herrscht nach wie vor einer Kultur des Vertuschens. Die hält sich umso hartnäckiger, je mehr Blauhelm-Missionen es gibt und je schwieriger es deshalb wird, genügend Soldaten zu finden.

Selbst wenn intern endlich einmal Klartext geredet wird, hat das wenig praktische Konsequenzen.
Im Jahr 2005 leitete der damalige jordanische UN-Botschafter Prinz Zeid al Hussein eine Untersuchung über die Beteiligung von Blauhelmen an Zwangsprostitution und sexuellem Missbrauch in ihren Einsatzländern. In seinen Schlußfolgerungen bezeichnete der Jordanier die militärische Hierarchie bei UN-Missionen als „zutiefst kompromittiert“ und empfahl, ranghohen Verantwortlichen den Sold zu sperren und bei ihren Entsendeländern mit Nachdruck auf Strafverfolgung zu drängen. Als der Prinz seinen Bericht den Delegierten der Mitgliedsländern präsentierte, stieß er auf demonstratives Gähnen und Schweigen.