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„Viele hadern noch mit der Idee Open Data“

 

Der Begriff Open Data hat eine steile Karriere hinter sich. Vor wenigen Jahren konnten höchstens Insider etwas mit der verheißungsvollen Begriffskombination aus „offen“ und „Daten“ anfangen. Heute sieht das anders aus. Die Bereitstellung von Daten, die beispielsweise von öffentlichen Stellen erhoben wurden, könnte zu neuen Anwendungen führen. Der vielfach geforderte „maschinenlesbare“ Staat würde transparenter und bürgerfreundlicher. So wären zum Beispiel Anwendungen denkbar, die Geldflüsse aus Haushaltsmitteln veranschaulichen.

Aus diesen Gründen interessieren sich auch mittlerweile Kommunen und Unternehmen für das Feld. Selbst in den aktuellen Wahlkämpfen taucht das Thema an der Peripherie auf. Aber wo steht die noch immer junge Open-Data-Bewegung? Welche Perspektiven bieten sich ihr? Und was sind ihre größten Herausforderungen, gerade in Deutschland? Das sind die Themen eines Interviews mit Lorenz Matzat. Seit Oktober 2010 schrieb er im Open-Data-Blog. Jetzt zieht er Bilanz. Denn Lorenz Matzat geht von Bord. Neue Projekte stehen auf seiner Agenda.

Das Interview führte Markus Heidmeier, Autor des Leaks-Blogs hier auf ZEIT ONLINE. Nach dem Abgang von Matzat werden das Leaks-Blog und das Open-Data-Blog im Data-Blog vereint. In ihm wird es künftig um das gesamte Spektrum gehen – von Open Data bis Datenjournalismus.

Markus Heidmeier: Springen wir mal ein paar Jahre zurück. Wie bist Du eigentlich mit dem Thema Open-Data und Datenjournalismus in Berührung gekommen?

Lorenz Matzat: Mit einigen Kollegen habe ich 2009 das Projekt wahlversprechen.info umgesetzt. Eine Plattform, auf der die Zuverlässigkeit von Wahlkampfaussagen beobachtet werden kann, Stichwort Crowdsourcing. In dem Zusammenhang verfolgten wir Barack Obamas Wahlkampf in den USA bei dem die Themen Open Data und Open Government eine Rolle spielten. Ende 2009 gründeten wir dann den Verein Open-Data-Network. Zu diesem Zeitpunkt stieß ich dann auch auf das Datablog des Guardian, das seit Frühjahr 2009 läuft.

Heidmeier: Welche Bedeutung hast Du dem anfangs beigemessen, beziehungsweise welche Erfolgschancen hast Du anfangs für Open-Data Konzepte gesehen? Welche Erwartungen waren mit der Bewegung am Anfang verknüpft?

Matzat: Es war naive Euphorie dabei. Es war alles noch sehr unkonkret und abstrakt. Ein Punkt war aber bereits klar zu erkennen: Hier steckt ein enormes gesellschaftliches, mediales aber auch unternehmerisches Potential. Endlich lässt sich mal etwas Sinnvolles mit dem Internet anfangen jenseits von Shopping und schnellem Informationsaustausch.

Heidmeier: Wenn Du diese Einschätzungen mit der Gegenwart vergleichst, welche Hoffnungen haben sich erfüllt?

Matzat: Nun, das Thema ist heute nicht mehr nur Insidern bekannt. Es gibt in Deutschland bereits eine Stadt, die ein offizielles Open-Data-Portal hat – München. In Berlin soll im September eins starten. Auch in Hamburg geht es voran. International gibt es eine enorme Dynamik. Wohin die Reise geht, ist aber nicht ausgemacht. Die Reaktionen auf Ausschreitungen in Großbritannien zeigen, wie ein einerseits fortschrittlicher Staat andererseits auch ganz schnell auf Repressions- und Überwachungsstaat umschalten kann.

Heidmeier: Und was sind die größten Defizite? Gerade in Deutschland?

Matzat: Open Data ist weiterhin ein technokratisches, akademisches und meist männlich geprägtes Thema. Die etablierte Politik wie auch die Medien hierzulande hadern weiterhin mit dem Internet. Es wird als Bedrohung empfunden, nicht zuletzt weil es viele Vorgänge der Politbürokratie automatisieren kann. Damit wird so mancher Posten überflüssig und es werden somit Machtbeziehungen nivelliert. Dass die Transparenz, die mit Open Data einhergeht, prinzipiell in einer Demokratie geboten ist, wird wenig gewürdigt.

Heidmeier: Von Deutschland auf die internationale Ebene: Wo steht die Open-Data-Bewegung in Deutschland im Vergleich mit anderen europäischen Ländern, vor allem aber mit dem angelsächsischen Raum?

Matzat: Deutschland liegt international gesehen vielleicht im hinteren Mittelfeld, zumindest unter den Industriestaaten. Es fehlen einflussreiche Politikerinnen und Politiker, sowohl in der Regierung als auch in der Opposition, die überzeugt für Open Government eintreten. In Großbritannien dagegen wird Open Data vom Kabinettsminister Francis Maude vorangetrieben. Während in den USA Gelder für Vorhaben von data.gov bereits wieder zusammengestrichen wurden, mausert sich das Vereinigte Königreich zum Motor und Maßstab internationaler Bemühungen für offenes Regierungshandeln.

Heidmeier: Warum sind die Entwicklungen so verschieden verlaufen?

Matzat: In einem Interview hier im Blog hat Mercedes Bunz für Großbritannien den Utilatarismus als eine wichtige Ursache benannt. Die Regierung dort müsse ständig ihre Nützlichkeit unter Beweis stellen und setze dafür eben auch jede technische Möglichkeit ein. Den Behörden und politischen Verwaltungen in Deutschland dagegen steckt immer noch eine gehörige Portion Obrigkeitsstaat in den Knochen.

Heidmeier: Und gilt das auch für die Zukunft?

Matzat: Das hängt von uns Bürgern, sprich der Zivilgesellschaft ab. Politische Fortschritte sind in der Regel nur durch soziale Auseinandersetzungen zu erreichen. Wenn wir mehr Teilhabe und Transparenz haben wollen, müssen wir das den Parteien abringen. Die haben de facto aus ihrem grundgesetzlich garantierten Mitwirkungsrecht an Politik ein Monopol gemacht. Die Parteien sind zurzeit generell recht ratlos und angeschlagen – vielleicht können wir sie ein wenig zu ihrem Glück zwingen.

Heidmeier: Kann man eigentlich von der Open-Data-Bewegung sprechen, oder ist das eine typische Pauschalisierung, wie man sie bei neuen Strömungen oft antrifft?

Matzat: Sowohl als auch. Die Szene ist nach wie vor recht klein. Vielleicht besteht sie aus einigen hundert aktiven Personen in Europa. Interessant daran ist die Mixtur aus Wissenschaftlern, Aktivisten, Beamten und Unternehmern. Das diffuse Ziel, einen irgendwie offeneren Staat zu haben, eint dabei. Aber was darunter genau verstanden wird, ist sehr unterschiedlich. Das Spektrum reicht von Verwaltungsmodernisierung bis hin zu quasi-revolutionären Ideen. Darüber hinaus unterscheiden sich die Motivationslagen. Die ersten tun es aus rein philanthropischem Antrieb, die zweiten aus Unternehmensgeist, die dritten mit dem Ziel, Regierungs- und Verwaltungshandeln effizienter zu gestalten. Die vierten werden fürs Forschen in diesem Bereich bezahlt. Und im Zweifel gibt es auch ein Gemisch all dieser Motivationen in einer Person.

Heidmeier: Wer sind die Motoren dieser neuen Entwicklungen? Aktivisten? Entwickler, als technische Innovatoren? Oder doch große Player wie staatliche Institutionen und Medienhäuser?

Matzat: Derzeit zeichnet sich eine klassische Entwicklung ab. Die Phase der Innovation im „Underground“ geht zu Ende. Investoren springen auf, es entsteht ein Markt für Daten und entsprechende Anwendungen. Beispielsweise hat das isländische Startup DataMarket gerade 1,2 Million Dollar an Investorengeldern eingeworben. Die Open Knowledge Foundation, eine der Triebfedern der Open-Data-Bewegung in Europa, professionalisiert sich zusehends und schafft mehr bezahlte Stellen. Konkret in Deutschland ist zu beobachten, wie sich Schwergewichte wie die Bertelsmann-Stiftung dem Thema zuwenden. Kritiker befürchten, dass es dabei um Marktöffnung für Unternehmen des Bertelsmannkonzerns geht, etwa Avarto. Abgesehen vom britischen Guardian spielen etablierte Medien in Europa so gut wie keine Rolle. Dieses Blog hier stellt für Deutschland eine Ausnahme dar.

Heidmeier: Wo erwartest Du in den nächsten Jahren die größte Innovationen und wie könnten die aussehen?

Matzat: Immer mehr Geräte werden Daten sammeln und von sich geben, die Rede ist vom „Internet der Dinge“. Wenn diese Informationen gepaart werden mit dem semantischen Web, also netzbasierter Software, die eigenständig Zusammenhänge und Schlüsse ziehen kann, werden sehr praktische Dienste möglich. In einigen Jahren dürften wir mit unseren mobilen Geräten unmittelbaren Zugang zu Daten über so ziemlich alles um uns herum haben. Die Geräte werden auch Daten messen, nicht zuletzt von uns selbst, Gesundheitsdaten etwa. Jedenfalls können Daten immer besser ausgewertet und in den Zusammenhang mit anderen Informationen gebracht werden. Der ständige Zugriff auf Analysen und daraus automatisiert errechnete Ratschläge wird so normal, wie heute die Nutzung von Wikipedia oder Google Maps.

Heidmeier: Wenn Deutschland Dich als Berater anheuern würde, mit der Bitte die drei, vier oder fünf wichtigsten Open-Data-Projekte anzustoßen, welche wären das?

Matzat: Ich würde zu einem fundamentalen Wandel raten, der allerdings seine Zeit dauern dürfte: Dabei ginge es vor allem darum, alle Informationen des Staates und öffentlich finanzierter Vorhaben in maschinenlesbarer Form und als linked-data zu veröffentlichen. Möglichst in Echtzeit. Damit meine ich auch Protokolle sowie behördlichen Schrift- und E-Mail-Verkehr. Aber auch Finanzdaten oder die Taktung von Ampelphasen. Alles was nicht unmittelbar personenbezogen oder sicherheitsrelevant ist, muss ans Licht. Die Verwaltungen aller Ebenen – Kommune, Land, Bund –  stehen im Dienste des Souveräns. Sie werden von ihm finanziert und sind den Bürgern rechenschaftspflichtig. Staatliche Stellen, Stiftungen, Medien, NGO und private Unternehmen können mit diesen Daten dann Dienste entwickeln, die den Bedürfnissen der Bürger entsprechen. Gleichzeit könnten politische Auseinandersetzung und Mitwirkung gänzlich anders funktionieren.

Heidmeier: Wie wichtig war der Austausch mit den Lesern des Blogs? Und was hast Du da lernen können?

Matzat: Es gab gute Hinweise sowie interessante Stellungnahmen und Perspektiven auf Projekte und Sachverhalte. Vor allem war zu beobachten, dass zumindest unter den Kommentatoren das Thema Open Data offene Türen einrennt.

Heidmeier: Das Open-Data-Blog ist erfolgreich, jetzt steigst Du aus. Was sind die neuen Projekte?

Matzat: Zum einen werde ich mich mehr mit Datenjournalismus beschäftigen. Auch arbeite ich an einer datengetriebenen hyperlokalen Informationsplattform. Zum anderen werde ich die NGO Digitale Gesellschaft im Bereich Open Data unterstützen. Und sicher werde ich über das Thema auch weiterhin schreiben.

UPDATE: Dank an die Kommentare. Wir haben das Intro um eine knappe Erklärung ergänzt.