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Rumpeln wie früher, gewinnen wie früher

 
  • Deutschland gewinnt gegen Portugal 1:0
  • Gomez trifft
  • Portugal auch, aber nur zweimal die Latte

Fazit

Vor dem Turnier musste man sich Sorgen machen. Joachim Löw, der Schöngeist, so schrieben alle, auch wir, wolle vor allem schönen Fußball spielen lassen. Das Ergebnis sei nicht so wichtig. Ein Affront im Land der Fußball-Rationalisten, das Schönspieler jahrzehntelang über die Klinge springen ließ und sich dann die Hartplatzasche aus den Knien pellte.

Der EM-Auftakt gegen Portugal war daher eine wohltuende Reise in die Vergangenheit. Schön war es nicht, was die deutsche Mannschaft da auf den Lemberger Rasen brachte, aber erfolgreich. Es war wenig zu sehen vom EM-Qualifikationstempo und –Spielwitz (10 Spiele, 10 Siege). Die deutsche Mannschaft rumpelte sich durch die 90 Minuten. Auch weil, das muss man zugeben, Portugal das in der Defensive ziemlich geschickt angestellt hat. Und selbst als die DFB-Elf durch Gomez in Führung ging und man ein paar WM-2010-Konter hätte erwarten können, ging nichts mehr. Stattdessen blockten die deutschen Abwehrspieler die Schüsse des Gegners mit allem, was sie hatten. Fuß, Bauch, Rücken. Wie früher eben.

Joachim Löw wird das nicht stören. Bei allen ästhetischen Ansprüchen: Er weiß, wie wichtig ein Sieg zu Beginn eines Turniers ist. Natürlich hätte er auch ein 4:2 Costa Rica wie 2006 genommen oder ein 4:0 gegen Australien wie 2010. Aber Portugal ist eine andere Liga. Der Sieg wird seiner durch die etwas missratene EM-Vorbereitung verunsicherten Mannschaft die nötige Ruhe geben. Und dann können wir ja noch einmal das versuchen, was alle zufrieden stellt: Schön spielen und gewinnen.

Unser Mann in Lemberg, Oliver Fritsch, twittert seine Zusammenfassung des Spiels: „Eigentlich ein idealer Start: Abwehrschlacht überstanden, Tormann aufgebaut, keine vorzeitigen Titelglückwünsche, Holland verliert.“

Und noch einmal Oli Fritsch: „Ästhetik ist ja Ansichtssache: Schön fand ich, dass sich die Deutschen am Ende in jeden Schuss warfen wie beim Eishockey.“

Schluss, aus, vorbei. Deutschland startet mit einem zittrigen Sieg gegen Portugal in die EM 2012.

93. Minute Nochmal Ronaldo an der deutschen Grundlinie, legt zurück, aber Badstuber blockt den Ball. Mit dem Rücken. Nochmal Ecke. Meine Güte.

88. Minute Fast das 1:1, Neuer hält stark gegen Varela. Jetzt werden die Hände dann doch feucht.

Ein Blick auf die Lemberger Tribünen.

Sie war auch dabei. Foto: Damien Meyer/AFP/GettyImages

86. Minute Portugal schnürt die deutsche Mannschaft jetzt in der eigenen Hälfte ein. Löws Mannen wollen nicht mehr kontern, und können wahrscheinlich auch nicht mehr.

84. Minute Wieder guckt Neuer den Ball an die Latte. Diesmal eine Nani-Flanke. Hui.

News aus Kiew: „Hier sieht alles nach einem Abend ohne Emotionen aus. Raus aus der Kneipe, rein in die Fanmeile. Verzweifelt auch nur einen Deutschland-Fan gesucht, um ihn zu fotografieren und nach Deutschland zu schicken, hinter den Zelten der Timoschenko-Anhänger gesucht, im grölenden Schweden-Fan-Trupp gefragt, auf der offiziellen EM-Toilette nachgeguckt. Und am Ende wieder beim einzig wahren Fußballsachverständigen, dem Orakelschwein, gelandet. Doch auch der schläft, hat nicht mal beim Tor gezuckt.“

Futnik, das Kiewer Orakelschwein (Foto: Dobbert)

78. Minute Ein Tor wie ein Krampflöser. Der Druck ist weg. Portugal muss jetzt kommen, Deutschland kann kontern. Das lieben sie, fast das 2:0 durch Gomez.

72. Minute Tooor für Deutschland, Mario Gomez! Etwas glücklich, who cares! Gomez köpft eine abgefälschte Flanke von Khedira in die lange Ecke. Klose, der gerade eingewechselt werden sollte, hat wieder auf der Bank Platz genommen.

Boateng macht das gegen Ronaldo insgesamt sehr ordentlich. Ist ja auch ein Fuchs. Diese Gina-Lisa-Nummer hatte einen sportlichen Grund. Auch Ronaldo soll ja ab und zu mal in weiblicher Begleitung an der Hotelbar sitzen. Boateng wollte sich an diesem Abend folglich nur in seinen Gegenspieler hineindenken. In der Schauspielerei nennt man das Method Acting.

64. Minute Boateng mit einem Weltklassetackling gegen Ronaldo. Er soll das ja eigentlich nicht machen. Manchmal muss man aber. Was macht eigentlich Dieter Eilts?

Bevor es zu spannend wird: Den hier wollte ich Ihnen nicht vorenthalten. Portugals Schönling vor der Ronaldo-Ära, Luis Figo. Heute der George Clooney des Altherrenfußballs. Damals ein Fall für die Geschmackspolizei. (via jogisjungs.de)

52. Minute Quatsch, Ronaldo spielt nicht für die Galerie. Stichwort: Fallrückzieher im eigenen Strafraum.

50. Minute Es ging weiter. Oli Fritsch in Lemberg versucht Mats Hummels etwas zuzurufen: „Es könnte das Spiel für Hummels werden: Am Anfang spielte er so vorsichtig, als wollte er nicht wieder in die Ecke gestellt werden. Später stieß er ein paar Mal vor, Schüchternheit ablegend. Das war gefährlich, den hat Portugal nicht auf der Rechnung. Trau Dich!“, twittert er.

@varto Kroos zu bringen hat keinen Sinn, glaube ich. Er ist auch nicht berühmt dafür, ein Spiel schneller zu machen. Wie wäre es stattdessen mit einem Tempodribbler, Götze, Reus, Schürrle?

Zur Entspannung ein Halbzeitspaziergang im Stadion in Lemberg gefällig? Dank Google Street View geht das. Es ist, fast als ob man da wäre. Nur ohne Spieler, Zuschauer, Ball.

Steffen Dobbert in Kiew hat es auch nicht einfacher als das deutsche Mittelfeld: „In der Bierstube in Kiew sitzen drei Europäer. Die einzigen drei, die sich in diesem Pub für Fußball interessieren, Bier trinken und das Spiel gucken. Nach dem Bloemfontain-Lattenschuss der Versuch einer Konversation: ‚Are you for Germany? – No, we hate Germany! – Why? – We are English!‘ Wir suchen eine neue Kneipe.“

Halbzeit Puh, erstmal durchatmen. Deutschland tut sich schwer, weil es im Mittelfeld enger ist als in der Tram 28 in Lissabon. Deswegen ist das Spiel auch etwa genauso schnell. Kann man Jogis Mannen dafür Vorwürfe machen? Schwierig. Im Laufe der Partie ging es etwas besser, bis Pepe fast getroffen hätte. 45 Minuten, die ein wenig mehr Sorgen machen als Mut.

45. Minute Ecke, Portugal, der Ball landet bei Pepe, dann an der Lattenunterkante, dann mitten auf der Torlinie. Wembley in Lemberg. Aber kein Tor.

Der Leser G300Marker findet: „Das schwächste Spiel der EM bisher.“ Klar, beim Gegner spielt ja auch kein Roman Hubnik.

40. Minute Der portugiesische Torwart Fabricio fühlt sich wie beim Tennis. Guckt links, guckt rechts, links, rechts, so schnell und oft saust der Ball da gerade durch seinen Strafraum. War aber leider kein Netzroller dabei. Immer noch Deuce.

34. Minute: CR7 gegen JB20 – bisher unentschieden

Der Kollege aus Kiew meldet sich: „10 Minuten zu spät in der Bierstube angekommen. In der Ubahn jemanden getroffen, der noch nicht wusste, dass EM ist – Fußball wird in Kiew noch nicht überbewertet. In der Bierstube erinnert das TV-Bild an DDR-Zeiten, als man Westfernsehen heimlich mit einer Dachbodenantenne empfangen hat.“

Die Deutschen jetzt besser im Spiel. Sie suchen und finden jetzt die Schnittstellen in den portugiesischen Ketten. Nein, liebe Fußball-Anfänger, das tut nicht weh und blutet auch nicht.

24. Minute „Was heißt Vorteil auf französisch?“ twittert Oli Fritsch aus dem Stadion, nachdem Schiedsrichter Lannoy eben einen solchen wegpfiff. Kaum zu glauben.

18. Minute Ronaldo bitte das erste Mal zum Engtanz. Er mag Übersteiger, wir mögen Schweinsteiger!

12. Minute Hummels bringt Neuer mit einem Rückpass in Schwierigkeiten. Postiga kommt mit gestrecktem Bein des Weges, trifft Neuer hart, sieht Gelb und hat dabei noch Glück. Neuer humpelt, spielt aber weiter.

8. Minute Die Portugiesen machen das Zentrum sehr eng. Schweinsteiger und Khedira wissen nicht wohin. Deshalb bis jetzt noch kein konstruktiver deutscher Angriff. Aber auch kein portugiesicher.

2. Minute Gleich einmal eine Kopfball-Chance für Gomez, nach Flanke des Hotelbar-Boatengs.

20.45 Uhr Es geht dann endlich los. Gott sei Dank.

20.40 Uhr Die Hymnen. Die Portugiesen textsicher, die Deutschen etwas schmallippiger.

20.34 Uhr Portugal möchte so spielen: Patricio – Pereira, Alves, Pepe, Coentrao – Meireles, Veloso, Moutinho – Nani, Postiga, Ronaldo

20.22 Uhr Wer Beckmann und Scholl nicht zuhören will, hier ein wenig Lesestoff. Stellvertretend für die 5176 DFB-Team-Texte, hier der des Kollegen Oliver Fritsch (Löw will in Schönheit siegen). Unsere hessische Allzweckwaffe gibt es auch in Bild und Ton, Da erkärt er die taktischen Besonderheiten des deutschen TeamsHier die der deutschen Gegner, man beachte dabei wie Oli „Cristiano Ronaldo“ ausspricht.

Doch genug der Eigenwerbung. Hier der Link zum Live-Stream der ARD. Es tickern auch die 11 Freunde, Kai Pahl bei allesaussersport, der Guardian. Wer Taktik mag, mag die Zonal-Marking-Vorschauen (Deutschland, Portugal). Den gibt es auch noch, Michael Ballack. Zum Abschluss noch ein verstörendes Lesestück über Neonazis in Lemberg.

20.17 Uhr Unser Kiew-Korrespondent hat heute fast den ganzen Tag im Fan-Camp der Schweden verbracht. 2000 Fans sind schon da,  4000 sind noch auf dem Weg auf zum Riesenzeltlager, in dem man zum Spaß Panzer fahren kann oder Knäckebrot essen kann. Das Deutschlandspiel wollte er in der Korrespondentenwohnung schauen – ein gut ausgestattes Mittelklasseappartement. Doch keiner der 32 ukrainischen Sender überträgt die EM-Spiele. Was sagt das über die EM-Begeisterung in Kiew aus? Jetzt sucht er noch verzweifelt ein Restaurant, dass sich „Bierstube“ nennt, in der Hoffnung, dort nicht nur deutsches Bier zu sehen…

20.12 Uhr Oliver Fritsch twittert aus dem Stadion: „Beim Einlaufen zum Aufwärmen: Jubel für Deutschland, Pfiffe gegen Portugal, das von Ronaldo angeführt wird. Heimspiel?“

Und eine avantgardistische Beatboxnummer namens Boateng, Boateng, Boateng, Boateng…(to be repeated)

Zur Unterhaltung noch etwas hochwertiges Liedgut. Zunächst eine klassische Fanmeilen-Mitgrölnummer mit dem unschlagbar kreativem Titel „All you need is Löw“.

19.52 Uhr Da haben die Niederländer doch tatsächlich gegen Dänemark verloren, 0:1. Was bedeutet das für das DFB-Team? Erik Meijer im ARD-Studio jedenfalls schaut drein, als wäre man ihm auf den holzbeschuhten Fuß gestiegen.

19.31 Uhr Jetzt ist die deutsche Aufstellung da: Neuer – Boateng, Hummels, Badstuber, Lahm – Khedira, Schweinsteiger – Özil, Müller, Podolski – Gomez

Hummels also für Mertesacker, Gomez für Klose, Boateng (statt des gesunden Bender) auf rechts gegen Ronaldo. Alles kein Grund zur Sorge. Obwohl ich Lahm lieber auf der rechten Seite gesehen hätte.

19.06 Uhr Auch der Kollege Fritsch in Lemberg kann aufstellungstechnisch noch nicht weiterhelfen. Zumindest die Stadt aber scheint er zu mögen. „Lemberg hat tatsächlich österreichische Einflüsse, erkannbar am Stadtbild, in Cafés gibts Heurigen und Strudel“, twittert er. Österreich? Hoffentlich merkt Mario Gomez das nicht.

18.50 Uhr Schon seit einer ganzen Weile wird über die Aufstellungen gemutmaßt. Wer stoppt denn nun Ronaldo? Der Rumtreiber Boateng oder der brave Bender? Die großen Fragen aber sind andere: Hat Schweinsteiger seine Wade dabei? Boateng seinen Barhocker? Und welchen Helm trägt Hansi Flick? Auflösung gleich. Dranbleiben.

Vorbemerkungen:

Als ich heute den Supermarkt meines Vertrauens aufsuchte, stand mir auf dem Weg zur Käsetheke plötzlich Thomas Müller im Weg. Er hatte eine Rohwurst in der Hosentasche. Ich wunderte mich. Nicht wegen der Rohwurst, sondern weil ich dachte, Müller müsse doch längst in Lwiw oder in Lemberg sein, je nachdem. Ich erkannte dann, dass Müller und seine Wurst nur aus Pappe waren und war beruhigt.

Großes, dünnes Müller (Foto: Spiller)

Der Papp-Müller war das letzte in einer unendlichen Reihe von Zeichen: Deutschland bringt sich in EM-Stimmung. Mein Supermarkt feiert „EM-Wochen“, Joachim Löw und die Nationalspieler lächeln von Haselnusstafeln und den längsten Pralinen der Welt. Mein Bäcker hat Luftballons in Fußballoptik an die Theke gehangen, überall lagen Bordüren in schwarzrotgold.

Es kann also los gehen. Und die Zuversicht ist so groß wie selten zuvor. Laut einer Umfrage, dem ARD Deutschlandtrend, glauben 47 Prozent der Deutschen, dass Joachim Löws Mannschaft Europameister wird. Das ist ’ne Menge.

Zeiten wie vor zwei Jahren, als die Nationalelf noch als Rudel junger, spielender Wölfe nach Südafrika fuhr, sind vorbei. Die Erwartungen sind gestiegen, die Ansprüche auch. Berti Vogts totterte neulich in einem Interview, als deutscher Nationaltrainer habe man die Pflicht, auch mal einen Titel zu holen. Was das mit der Nationalelf macht? Ab heute Abend werden wir es wissen.