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Verbrüderungen in der Stadt der Kriege

 

Was gibt es Neues in Danzig? Gestern ist die Stadt grün geworden, denn die Iren sind da. Den historischen Königsweg und alle Cafés und Kneipen der Rechtstadt haben sie zu Hunderten okkupiert, gröhlen singen Chants und Folks. „Stand up for the boys in green!“ Und: „Hey Trapattoni, he used to be Italian, but he’s Irish now.“

Heute Abend geht es für sie in Danzig gegen Spanien, ein hoffnungsloses Unterfangen an und für sich. Aber das betrübt einen Iren nicht. Der feiert immer und mit allen, ob mit Spaniern oder Einheimischen. Mitten in der grünen Traube, sieht man spanische Flaggen und Polska-Shirts. In Danzig, der Stadt, die von vielen Kriegen durchlöchert wurde, verbrüdern sich zurzeit die Gegner.

Ich werde im Stadion sein, das übrigens nicht so einfach zu erreichen ist, wie man sich das vorstellt. Das Stadion selbst ist fertig und sehr schön (wie man es nach der EM verwendet, ist noch eine andere Frage). Darum herum ist aber viel Baustelle. Das bedeutet: viel Laufarbeit.

Gestern schaute ich in der Nähe des ehemaligen Danziger Rathauses (Ratusz Głównego Miasta) inmitten der Iren das Deutschland-Spiel. Man muss sagen, sonderlich interessiert haben sich die Lads nicht dafür, erst als Robin van Persie traf, merkte ich überhaupt, dass sie an dem Geschehen teilnahmen, denn sie jubelten. Marc aus Dublin, den ich nicht nur wegen seines harten Akzents nur schwer verstand, sagte: „F… Gomez! I put money on the Dutch!“

Es war der Abend, an dem Mario Gomez allen zeigte, wie grau alle Fußballtheorie ist, auch meine. Was kümmern den Torjäger Diskussionen um Spiel ohne Ball, Laufarbeit und Pressing, wenn er stattdessen einfach ständig ins Tor schießt? Recht hat alleine er. Andererseits hat sich Gomez vor seinen beiden Toren auch gut bewegt, sich freigelaufen, ist im richtigen Moment dem Gegner entwischt. Liebe Grüße auch von Joris Mathijsen.

Heute morgen saß am benachbarten Fürhstückstisch ein schmatzender, rülpsender (so muss ich das sagen) Ire um die 50. Er freute sich hingegen über die Niederlage der Holländer, weil die, wie er sagt, nun früher ausgeschieden sind als die „Green Boys“, die heute dran sind. Irrtum, Holland ist trotz zwei Niederlagen noch drin.

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Vorgestern feierten die Polska-Fans ihre Mannschaft auf der Fan-Meile in der Nähe der Werft, die Stimmung dort ist friedlich und familiär, ich schätze (vorsichtig), zwölf- bis fünzehntausend Menschen waren da. Nach dem Spiel zogen sie auf den Straßen in die nahegelegene Innenstadt. Das zweite 1:1 im zweiten Spiel war ihnen Grund genug, gegen die Russen waren sie als Außenseiter ins Spiel gegangen. Aber eigentlich war doch mehr drin, oder? Vielleicht verlassen sie sich oder hoffen wenigstens darauf, sich im letzten Spiel gegen die konditionsschwachen Tschechen den Viertelfinaleinzug zu sichern. Im Viertelfinale könnte es in Danzig das Duell mit den Deutschen geben.

Ihre Helden waren an diesem Abend der Ersatzkeeper Przemyslaw Tyton, der sich durch seinen gehaltenen Elfmeter im Griechenland-Spiel einen großen Bonus erspielt hat – bevor er im nächsten Spiel wohl wieder Wojciech Szczesny weichen wird. Jede Aktion Tytons wurde mit Beifall bedacht. Der zweite war natürlich Jakub Błaszczykowski, der schüchterne Kapitän, der ein paar Häuserblöcke weiter überlebensgroß für eine deutsche Modemarke wirbt. Eine hervorragende Figur gab er auch beim Ausgleich ab, das spektakulärste Tor dieser EM bislang.

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Am Sonntag war ich beim Spiel Spanien gegen Italien. Es war ein früher Turnierhöhepunkt, großartiger, wunderschöner Fußball, in der zweiten Halbzeit wurde er zudem dramatisch. Danzig erlebte einen Gipfel südeuropäischer Fußballkunst.

Dabei spielen beide Mannschaften so verschieden. Über Spanien ist ja viel gesagt, aber auch die Italiener haben es mir angetan – nicht erst seit dieser Woche. Es sind die Meister des klugen Verteidigens, und doch haben sie auch immer einen Plan zu gewinnen. Sie spielen keineswegs so destruktiv wie es immer heißt. Das lehrt auch ein Blick in die jüngere EM-Geschichte. 1996 schieden sie unglücklich mit dem Maestro und Offensivguru Arrgio Sacchi aus. 2000 wurden sie des Catenaccios bezichtigt, doch unter Dino Zoff erfanden Francesco Totti und Filipo Inzaghi das schnelle Vertikalspiel nach Balleroberung. Na gut, ob sie es erfunden haben, weiß ich nicht, aber sie haben es erstmals auf eine Spitze getrieben, wenn auch erst nur zu zweit.

Gegen Spanien spielten die Italiener mit einem Libero, Daniele de Rossi. Er spielte das natürlich sehr modern, man nennt das dann Dreierkette. Aber unabhängig davon, mit wie vielen Abwehrspielern die Kette bestückt ist – keine hat das Verteidigen im Raum so verinnerlicht wie die Italiener. Mit langen Bällen ist eine italienische Abwehr kaum zu überraschen, das ist bei allen drin. Offenbar lernen das die Bambini so wie bei uns die Grundschüler das Schwimmen. Müsste man mal checken, ob im Gegenzug die Nichtschwimmerquote in Italien höher ist.

Ich schaue Italien (mindestens) aus zwei Gründen gerne. Erstens aus Trainersicht. Aus ihrem Spiel, ihrer klugen Taktik lässt sich viel lernen. Auch von den Spaniern kann man natürlich lernen, aber so wie sie kann man eigentlich nur spielen, wenn man die entsprechenden Spieler hat. Zweitens kann ich auch dem Verteidigen etwas abgewinnen – ästhetisch, vor allem aber psychologisch. Die Mentalität „Wir lassen uns nichts wegnehmen!“ kann in einer Mannschaft und beim Zuschauen viel Energie freisetzen. Den Italienern ist dieses Jahr wie meist alles zuzutrauen, aber halt auch ein 0:1 gegen Kroatien und ein 0:0 gegen Irland.

Die Spanier sind ja schon ein paar Tage länger hier und bleiben es auch bis nächste Woche, denn ihre Elf trägt dort die gesamte Vorrunde aus. Es sind sehr viele junge Spanier gekommen, von Friedrichshain ist es ja nicht so weit. Sie singen etwas kindlicher als die Iren, aber genauso fröhlich ihr „Yo soy espanol“. Weniger kindlich hörte ich eine Kleingruppe von spanischen Männern skandieren: „Polaca, polaca, yo quiero una polaca.“ Das, hab ich mir versichern lassen, ist im Spanischen keineswegs ein Schimpfwort, aber despektierlich ist es natürlich.