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„Dass ich nicht denke wie die“ – Rechter Terror in der Provinz

 

Jeden Tag werden in der Bundesrepublik Menschen Opfer rechtsextremer Gewalt. Die Dominanz rechter Cliquen wird jedoch nicht nur bei medienwirksamen Übergriffen und Gewalttaten deutlich – nein, tausende Menschen leiden im Alltag unter dem Terror von Neonazis. Doch wie lebt es sich, wenn der Alltag zur Qual wird und Angst ein ständiger Begleiter ist? Darüber sprach ich mit Jennifer*, 15 Jahre alt. Sie kommt aus einer thüringischen Kleinstadt und ist seit Jahren körperlicher und seelischer Gewalt ausgesetzt weil sie „nicht rechts“ ist.

Gibt es in Deiner Stadt ein Problem mit Neonazis ?

Oh ja, es gibt verschiedene Gruppierungen wie z.B. die Kameradschaft oder „Autonomen Nationalisten“. Es gibt Übergriffe, doofe Sprüche und passive Aktionen wie Aufkleber oder Graffitis. Die Bürger schauen weg, weil sie entweder derselben Meinung sind oder einfach keinen Bock haben sich mit Neonazis auseinanderzusetzen. Es gibt nur einige wenige engagierte Bürger hier. In der Stadt, an den Schulen und in den Jugendclubs tragen Leute Thor Steinar, Consdaple, Landser u.a. Klamotten und machen alternativ aussehende Jugendliche und Migranten doof von der Seite an. Vollgepöbelt, bespuckt, geschlagen oder verfolgt zu werden, ist hier fast Normalität.

Betrifft Dich dieses Bedrohungspotential ?

Na klar. Betroffen bin ich, seitdem die Neonazis mitbekommen haben, dass ich nicht denke wie die und auch nicht bereit bin wegzuschauen – seit sie darauf gekommen sind, dass ich mich auch aktiv z.B. im „BürgerInnenbündnis gegen Rechts“ engagiere und nicht in ihre Welt passe. Es ist das Übliche: dumme Anmachen, Abfotografieren, Angst machen durch Verfolgungen oder Drohungen. Das gehört zum Alltag.

Wurdest Du schon einmal körperlich angegriffen ?

Ja, zum Beispiel beim jährlichen Stadtfest, gerade als ich es verlassen wollte.

Was passierte genau ?

Es war ein Fehler, sich dort hin zu trauen. Ich betrete solche Veranstaltungen normalerweise genauso wenig wie die Innenstadt, da die Präsenz von Neonazis und deren Anhängern einfach zu groß ist. Man überlegt sich einfach zweimal, was man hier macht und wo man hingeht. Jedenfalls kam an diesem Abend einer der stadtbekannten Schläger auf mich zu und schaute mich mit dunkler Miene an. Er presste mir seine flache Hand über mein ganzes Gesicht und drückte zu. Kurz bevor ich zu Boden ging, krallte ich mich an einer Frau fest und zog mich hoch, als er seine Hand lockerte. Die Frau, an welcher ich mich hochgezogen hatte, breitete ihre Arme schützend vor mir aus und schrie den Neonazi an mich in Ruhe zu lassen. Ich drehte mich kurz um, um zu telefonieren. Ich wollte nicht alleine sein und brauchte Hilfe. Es wurden immer mehr Rechte um uns. Die Frau war weg. Der Nazischläger stand vor mir und machte einen Schritt auf mich zu. Er hielt mich an meiner Hüfte und an meiner Schulter fest, lies mich nicht los. Er sagte, er würde mich „zusammenschlagen“. Und wenn er es nicht tun würde, würden das Andere übernehmen. In der Zwischenzeit kamen mehr und mehr Nazis und umkreisten mich. Er redete weiter auf mich ein, ununterbrochen, aggressiv. Dann sah ich plötzlich einen Freund meines Vaters. Diesen sah ich als meine Rettung an. Ich dachte, er würde die ganze Situation beruhigen und mich dort wegbringen. Jedoch war seine Reaktion, als er mich erkannte, alles andere als eine Rettung. Er ging – schweigend. Er lies mich allein. Nach über 30 Minuten stießen sie mich endlich weg und sagten, ich „solle verschwinden“. Ich rannte nach Hause, ohne eine Pause. Zu Hause war ich allein, meine Eltern waren aus. Ich schloss alle Türen ab und lies die Rollläden herunter. Ich konnte nicht schlafen, nur weinen.

Wie lange bist du dieser Gewalt schon ausgesetzt ?

Das geht schon fast 2 Jahre so. Mal mehr, mal weniger, aber die Angst ist ein ständiger Begleiter.

Was sagt denn deine Familie dazu und wie wirkt sich das auf dein Befinden aus ?

Meine Familie macht Druck, dass ich mich doch fügen und mich nicht mehr engagieren solle, dann würde das schon aufhören. Schon lange bin nicht mehr nur ich betroffen – es betrifft meine ganze Familie. Ich kann schlecht schlafen und habe Albträume. Nach solchen Träumen bin ich den kommenden Tag über stark niedergeschlagen und denke nur nach. Ich lasse den Traum in Gedanken immer und immer wieder Revue passieren, in der Hoffnung, besser damit umgehen zu können. Im Alltag ist das alles auch nicht so einfach. Ich brauche immer jemanden, der mich irgendwo hinfährt oder abholt. Ich wurde sogar schon mal auf meinem Schulweg verfolgt. Noch ein Grund, warum ich mich kaum noch alleine auf die Straße traue.

Wie verarbeitetest du das ?

Ich habe tolle Freunde, die mich unterstützen und mit mir sprechen und mir helfen. Trotzdem überlege ich eine psychische Behandlung anzufangen. Um zu lernen mit der Angst zu leben. Das ist zwar keine Lösung, aber die Nazis werden hier nicht verschwinden. Und ich möchte nicht an denen zerbrechen. Ich erstatte bei jedem Vorfall Anzeige und versuche positiv zu denken und schaue nach vorne. Auch wenn die Übergriffe noch nicht aufhören, bleibe ich stark, aber, um es mit Olga Benario Prestes zu sagen „der Wagen rollt in die Zukunft“.

Woher nimmst du die Stärke und Motivation, dich täglich dem Ganzen zu stellen ?

Was mich antreibt, ist der Gedanke an eine freie Gesellschaft ohne Unterdrückung und Ausgrenzung. Ich werde trotz der Angriffe nicht aufhören für meine Überzeugungen einzustehen. Ich habe als Individuum das Recht, meine Interessen wahrzunehmen und mein Handeln selbst zu bestimmen. Dafür kämpfe ich. Denn genau diese Entfaltung der Persönlichkeit ist hier keinesfalls selbstverständlich.

Ich Danke Dir für dieses Gespräch und wünsche Dir alles Gute.

* Name geändert.