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Landkreis verbietet Neonazi-Aufmarsch in Bad Nenndorf

 

Mit einem Verbot des rechtsextremen sog. Trauermarsches in Bad Nenndorf will der Landkreis Schaumburg verhindern, dass am Samstag rund 1.000 Neonazis in dem niedersächsischen Kurort aufmarschieren. Gleichzeitig wurde auch die vom Bündnis „Bad Nenndorf ist bunt“ angemeldete Gegendemonstration verboten. In ihrer am Mittwoch morgen zugestellten Verbotsverfügung beruft sich die Versammlungsbehörde auf einen zu befürchtenden „polizeilichen Notstand“.

Sebastian Wertmüller, DGB Niedersachsen-Mitte

Für das Bündnis übte der Regionsvorsitzende des DGB Niedersachsen-Mitte, Sebastian Wertmüller, scharfe Kritik an dem Vorgehen. „Wir sehen uns nicht als Veranlasser eines polizeilichen Notstandes“, sagte Wertmüller, der mit rund 5.000 Teilnehmern rechnet. Mit Blick auf den geplanten Neonazi-Aufmarsch sprach er von einer „missverstandenen Gleichbehandlung“, durch die das Bündnis in einen Topf geschmissen werde, in den es nicht gehöre. Man werde auch weiterhin den nötigen Protest organisieren: „Wo Nazis öffentlich auftreten,zeigen wir uns“, so Wertmüller. Das Bündnis fordert ein Verbot des rechtsextremen Aufmarsches, weil er an nationalsozialistische Traditionen anknüpfe. Zur Begründung verweist Wertmüller auf die Empfehlung der Organisatoren, bei dem Aufmarsch „unbedingt helle Kleidung -vorzugsweise ein weißes Hemd oder Oberteil- Kleidung zu tragen“. Neonazis in weißen Hemden beriefen sich auf das Auftreten von SA- und SS-Mitgliedern zu der Zeit des Verbotes der Organisationen als Privatarmee Anfang der 1930er Jahre.

Neonazi-Werbung mit Tradition

Neonazi mit "Solidaritäts T-Hemd" am 5. Juni in Hildesheim

Auch das im Internet beworbene weiße „Solidaritäts T-Hemd“ knüpfe an entsprechende Traditionen an: bei dem aufgedruckten Vierzeiler handelt es sich um einen Text von Heinrich Anacker, einem erfolgreichen Propaganda-Schriftsteller im Nationalsozialismus. Der in den 1930er Jahren mehrfach von den Nazis ausgezeichnete Anacker saß u.a. als Reichskultursenator im „Kulturrat der Reichsschriftumskammer“. „Das hätte der Staatsschutz auch herausfinden können“, sagt der DGB Chef und spricht von einer offensichtlichen SA-Tradition des Aufmarsches. Statt sich auf den polizeilichen Notstand zu berufen, gebe es gute Gründen für ein inhaltlich begründetes Verbot. Der DGB will nun rechtlich gegen die Verbotsverfügung vorgehen, notfalls bis vor das Oberverwaltungsgericht Lüneburg. „Wir wollen nicht riskieren, dass am Ende der rechte Aufmarsch erlaubt wird und unsere

v.l.n.r.:Sebastian Wertmüller, Udo Husmann, Steffen Holz, Jürgen Übel vom Bündnis "Bad Nenndorf ist bunt"

Gegendemonstration nicht“, erklärte Wertmüller in Hannover. Der Bürgerprotest werde unter einen polizeilichen Generalverdacht gestellt, ergänzt der Bad Nenndorfer Apotheker Jürgen Übel. Seit dem ersten Neonazi-Aufmarsch 2006 organisiert er den Protest vor Ort mit und spricht von einem kompletten Ausnahmezustand in Bad Nenndorf. Bereits jetzt kreisten Polizeihubschrauber über Bad Nenndorf, in einigen Straßen herrsche Parkverbot für Anwohner. An dem Tag des Aufmarsches komme das öffentliche Leben zum Erliegen: bei privaten Geburtstagsfeiern hätten die Veranstalter in der Vergangenheit Gästelisten bei der Polizei einreichen müssen, um den Geburtstagsbesuch zu ermöglichen. Eine Hochzeitsfeier sei ausgefallen, weil die Polizei die Musiker nicht durchgelassen habe. Nach Übels Angaben waren im vergangenen Jahr rund 1500 Polizisten im Einsatz.

Weiterhin Aufruf zu Blockaden

Anja Piel (li.) mit Blockadeplakat

Auch das Bündnis „NS Verherrlichung stoppen!“ hält an seinem Aufruf für Massenblockaden in Bad Nenndorf fest und ruft zu einem Frühstück auf der Demonstratiosroute der Neonazis auf. Der Sprecher Tim Kröger sagte auf Anfrage, die Erfahrung zeige, wie schnell sich die rechtliche Situation ändern könne. Er kritisierte das Verhalten der Behörde als „hilflos“: statt den Neonaziaufmarsch zu untersagen, rücke das Verbot der Gegendemonstration den berechtigten Protest in die Nähe einer Straftat. Unterstützung erhält das überregionale Bündnis von dem Landesverband der Grünen, der mit einem Parteibeschluss schon im April zu Blockaden in Bad Nenndorf aufgerufen hatte. Nach den guten Erfahrungen in Dresden sei die Aktionsform ein legitimes Mittel, damit die „Nazis keinen Meter Boden gewinnen“, sagte die Landesvorsitzende der niedersächsischen Grünen, Anja Piel, auf einer Pressekonferenz. Es könne kaum verboten werden unter freiem Himmel zu frühstücken.

Derweil hat auch das selbsternannte rechtsextreme „Gedenkbündnis“ eine Klage gegen das Verbot angekündigt. Bei einem Erörterungstermin vor dem Verwaltungsgericht Hannover war der Anmelder des „Trauermarschs“, Matthias Schulz aus Verden, nicht erschienen, jetzt heißt es seitens der Neonazis: „Unsere Anwälte sind sich sicher, dass wegen der mehr als dürftigen Argumentation des Landkreises ein Verbot vor Gericht keinen Bestand haben wird“. Mit einer gerichtlichen Entscheidung wird in den kommenden zwei Tagen oder erst am Samstag, den 14.8. gerechnet. Der mittlerweile fünfte „Trauermarsch“ der rechtsextremen Szene ist der größte Neonazi-Aufmarsch in Norddeutschland. Mittlerweile liegen Anmeldungen bis zum Jahr 2030 vor . Seit 2006 führt der jährliche Aufmarsch die Neonazis durch die Stadt zum Wincklerbad, wo der britische Geheimdienst nach dem zweiten Weltkrieg knapp zwei Jahre lang ein Verhör- und Internierungslager betrieben hatte. In der Einrichtung wurden auch Häftlinge misshandelt.