Bei der zentralen Veranstaltung zum Gedenken an die Bombardierung der Nordthüringischen Stadt Nordhausen eskalierte die Situation und es kam zu einem tätlichen Angriff des NPD-Kreisvorsitzenden gegen die Oberbürgermeisterin der Stadt. Wegen Bedrohung und Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte wurde der Rechtsextreme vorläufig festgenommen.
Benjamin Mayer und Kai Budler
Der Streit um Gedenken ist auch immer ein Streit um Symbole und Gesten. Wie auch in anderen deutschen Städten findet in Nordhausen jährlich eine Gedenkveranstaltung zum Jahrestag der Bombardierung statt. Am 3. und 4. April 1945 hatte die Royal Airforce die Stadt zu großen Teilen zerstört. Nur wenige Tage nach dem Luftangriff wurde das vor den Toren der Stadt liegende Konzentrationslager Mittelbau durch amerikanische Truppen befreit. Seit vielen Jahren wird über die Zukunft der Erinnerung im Spannungsverhältnis der beiden Erinnerungsorte diskutiert. Wie auch in Dresden versuchen Neonazis in Nordhausen die Gedenkveranstaltung für sich als Plattform zu nutzen. So nahmen im vergangenen Jahr neben ca. 100 Bürgern auch bis zu 30 Neonazis aus NPD und Freien Kameradschaften an den Veranstaltungen teil.
Angemessene Gedenkkultur
Dieses Jahr war der Gedenkveranstaltung eine Podiumsdiskussion voraus gegangen, an der neben der Oberbürgermeisterin Barbara Rinke, dem Gedenkstättenleiter Dr. Jens-Christian Wagner auch ein Historiker, ein Vertreter der katholischen Kirche und eine Vertreterin der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus (Mobit) teilnahmen. Im Zentrum stand die Frage nach einem angemessenen Gedenken in der Stadt, welches die historische Kontextualisierung berücksichtigt und somit auch den Anschluss an rechtsextremen Geschichtsrevisionismus ausschließt. Dass in Nordhausen ein Diskussionsbedarf zu diesem Thema besteht, zeigt die für die Stadt außergewöhnlich hohe Zahl von etwa 250 Besuchern. Trotzdem während der Veranstaltung deutlich wurde, dass es kein Patentrezept für ein angemessenes Gedenken gibt, versuchte die Stadt dieses Jahr erstmals durch eine andere Art der symbolischen Ausgestaltung den Neonazis den Anschluss zu erschweren. Ähnlich wie in Dresden wurden zum Gedenken an die Opfer der Bombardierung weiße Rosen niedergelegt, die durch ihre Erinnerung an die Widerstandsgruppe der Geschwister Scholl einen Brückenschlag zwischen Bombardierung und NS-Verbrechen darstellen sollen. Wie auch die Podiumsdiskussion war die Verwendung des Symbols der weißen Rose ein erster Schritt in eine offene Diskussion über die Gedenkkultur, die verschiedene Akteure und deren Positionen integrieren soll.
NPD Kommunalvertreter zeigt sein wahres Gesicht
Bereits Tage vor der Gedenkveranstaltung versuchten Neonazis durch die Mobilisierung auf sozialen Netzwerken eine Drohkulisse zu erzeugen. Dennoch unternahmen weniger Neonazis als im Vorjahr den Versuch, die Gedenkveranstaltung für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Nur knapp 20 Rechtsextreme sammelten sich am Rand der Veranstaltung, um rote Rosen und einen Kranz niederzulegen. Sie stießen auf teils lautstarken Protest, der in Nordhausen – mit wenigen Ausnahmen – bislang unüblich war. Damit zeigte ein großer Teil der Anwesenden, dass er das geschichtsrevisionistische Bild der Neonazis auf der Gedenkveranstaltung nicht duldet. Noch im vergangenen Jahr hatte die lokale Presse ein ähnlich couragiertes Eingreifen als Störung der Veranstaltung diskreditiert. Bei dem engagierten Versuch der Oberbürgermeisterin Barbara Rinke, „der NPD ihren Kranz zurückzugeben“, eskalierte die Situation. Der Kreisvorsitzende und NPD-Ratsherr Roy Elbert griff Rinke tätlich an und bedrohte sie. Nach dem folgenden Handgemenge wurde der 39-Jährige von der Polizei vorläufig festgenommen. Ihn erwartet ein Ermittlungsverfahren wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte.Außerdem
prüfen die Beamten die Einleitung eines weiteren Verfahrens wegen versuchter Körperverletzung. Ferner soll vor Ort der Satz gefallen sein, die Oberbürgermeisterin solle aufpassen, dass ihr Auto nicht in Brand gerate. Für Rinke ist dies nicht die erste Drohung aus der Neonaziszene. Kritiker hatten der Stadt Nordhausen und der Polizei schon lange vorgeworfen, auf Probleme mit der örtlichen Neonaziszene nicht ausreichend zu reagieren und sie zu verharmlosen. Dies betrifft vor allem den Umgang mit der militanten Neonazi-Gruppe „NDH City“, deren Mitglieder zuletzt sogar Polizeibeamte angegriffen hatten. Mit ihrem mutigen Auftreten gegenüber den Neonazis hat Oberbürgermeisterin Rinke nicht nur gezeigt, wie sich verantwortliche Lokalpolitiker gegen die rechtsextreme Szene wehren können. Ihr Handeln hat auch die Anwesenden dazu ermutigt, ihre Stimme gegen Neonazis und deren Geschichtsrevisionismus zu erheben.