Vor drei Monaten fand die Polizei zufällig einen Militärrucksack mit Waffen neben einer Leiche – am Samstag folgten Hausdurchsuchen in Berlin, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen. Laut der Staatsanwältin Lolita Lodenkämper wurden dabei 16 Computer, jede Menge Speichermedien, ein Luftdruckgewehr sowie eine Schreckschusspistole, aber keine scharfen Waffen sichergestellt. Ermittelt wird gegen vier Männer und eine Frau wegen Bildung einer bewaffneten Gruppe sowie Verstöße gegen das Waffengesetz.
Am 22. März rief Jan G. beim Notruf an, nachdem er Jörg Lange bewegungslos in Zimmer 15 der Frühstückspension Weißes Haus in Herzberg fand. Dieser erschien nicht zu einem verabredeten Treffen weshalb Jan G. dessen Zimmer aus Sorge öffnete. Der Notarzt könnte nur noch den Tod von Lange feststellen. In der Todesermittlungssache wurde schnell der natürliche Tod in Folge eines Herzinfarkts festgestellt. Hinweise auf ein Fremdverschulden gibt es nach Angaben der Staatsanwaltschaft Neuruppin nicht.
So weit, so unspektakulär, wäre der Verstorbene kein langjähriger Neonaziaktivist, der freiwillig auf Seiten kroatische Milizen in den Jugoslawienkrieg zog. Wäre da nicht der Militärrucksack im Zimmer gewesen, in dem die Polizei drei Waffen, darunter eine schussbereite 7,65-mm Pistole und ein umgebauter US-Karabiner mit Zielfernrohr sowie rund 300 Patronen unterschiedlichen Kalibers fand.
Schnell wurde klar, das auch der Anrufer Jan G. aus Berliner der Polizei bereits wegen neonazistischen Aktivitäten bekannt war, dass die Pension in der märkischen Ortschaft von der Lebenspartnerin des mehrfach vorbestraften Neonazi Meinolf Schönborn gepachtet wurde, der dort mit Lange ein Schulungszentrum einrichten wollte. Der Verstorbene soll neben seinen Kampferfahrungen auch als hervorragenden Computerfachmann und überzeugter Nationalsozialist in der Szene anerkannt gewesen sein.
Heute erschien diese Geschichte in der Druckausgabe des Spiegels. Dieser Veröffentlichung wollten die Staatsanwaltschaft Neuruppin und das Brandenburger Landeskriminalamt zuvorkommen, als am Samstag 56 Beamte über acht Stunden insgesamt acht Wohnungen und Büros in drei Bundesländern durchsuchten. Zwei der Verdächtigen stammen aus Brandenburg, zwei aus Nordrhein-Westfalen. Der fünfte Verdächtige ist Jan G. aus Berlin. Von einem Zusammenhang mit der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU), die für zehn Morde verantwortlich gemacht wird, war nicht die Rede.
Der 57-Jährige gelernte Schlosser Schönborn sprach mit der taz über die Durchsuchung bei ihm und seinem Versandhandel. Dabei bestätigte er, dass er und seine Lebenspartnerin die zwei Verdächtigen aus NRW seien. Er trat 1972 in die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) ein. Seit 1985 beteiligte er sich an der Gründung der Nationalistischen Front (NF) als bundesweite Partei, die 1992 verboten wurde. Schönborn gründete 1987 den „Klartext-Versand“ für den Vertrieb seiner Gleichnamigen Zeitschrift und entwickelte daraus einer der ersten (neo)nazistischen Musikverlage zur Finanzierung seines Lebensunterhaltes und für Spenden an die Szene.
Seinen Geschäftsideen gab auch eine über zweijährige Haftstrafe keinen Abbruch. Bis heute betreibt Schönborn in Herzebrock-Clarholz nahe Gütersloh den neonazistischen „Z-Versand“, auf dessen Server auch die Website der vom ihm herausgegeben Zweimonatsmagazins „Recht und Wahrheit“ (RuW) liegt. In seinem Onlineshop bietet Schönborn szenengerechte Kleidung und Deko-Waffen, aber auch Flyer und Aufkleber der Neonazigruppe „Neue Ordnung“ an.
Auf mehreren Veröffentlichungen dieser, ist der verstorbene Jörg Lange als „Verantwortlicher im Sinne des Presserechts“ angegeben. Laut Spiegel habe er drei Wochen vor seinem Ableben in dem ruhig gelegenen Etablissement eingecheckt, da er aus seiner Berliner Wohnung wegen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft verschwinden hätte müssen. Diese ging dem Verdacht der Volksverhetzung nach. Weiter berichtet der Spiegel, dass Ermittler in einem von Lange genutzten Büro der Herzberger Pension Flugblätter der „Neuen Ordnung“ sicherten.
Als bei der diesjährigen Geburtstagsnacht von Hitler versucht wurde die Fensterscheiben des Hochschulcafés „Frei_Raum“ der Berliner Alice-Salomon-Hochschule einzuschlagen, hinterließen die mutmaßlichen Täter auch Aufkleber der „Neuen Ordnung“ mit rassistischen Parolen auf den angebrochenen Scheiben. Zwar ist diese Neonazigruppe bisher in Berlin nicht als Gruppe aufgefallen, aber seit einigen Monaten werden deren Aufkleber dort vereinzelt verklebt.
Brisant ist die auf dem Aufklebern hinterlassene Internetadresse: Sowohl die Website der „Neuen Ordnung“ als auch die der rassistische „Reichsbewegung“ ist mit der IP-Adresse 216.59.5.99 zu finden. Die „Neue Ordnung“ verlinkt aber nicht nur zum Onlineshop Schönborns, sondern im Blogroll auch zu der Neonazigruppe „Kehrusker“. Diese nach eigenen Angaben in „Weserbergland – Schaumburg Lippe – Ostwestfalen“ ansässigen Gruppe verwendet das Symbol der „Reichsbewegung“ und verlinken zu dieser angeblichen „Neuen Gemeinschaft von Philosophen“ sowie zum Blog „DerKristall“. Das alle genannten Gruppen und Blogs eine reichsphilosophische Ideologie vertreten und Werbung für die verschwörungsideologische „Germanische Heilkunde“ machen, scheint da mehr als nur Zufall zu sein.
Bereits 2009 gab das thüringische LKA im Rahmen einer von Meinolf Schönborn organisierten esoterikerischen und keltisch-mystischen Sonnenwendfeier in der Nähe von Essen bekannt, dass dieser gute Kontakte zu selbsternannten Reichsbürgern habe. Das Brandenburger Innenministerium hält Meinolf Schönborn für einen militanten Neonationalsozialisten aus Nordrhein-Westfalen. Er sei bekennender „Reichsbürger“ und Anführer der „Nationalen Ordnung“ sowie ehemaliger Gefolgsmann des 1991 verstorbenen Neonationalsozialisten Michael Kühnen. Er hat Anhänger im nördlichen Brandenburg, so das Ministerium des Innern Brandenburg in einer Pressemitteilung zu den Reichsbürgern.