Im kleinen Kurort Bad Nenndorf könnte es am 4. August sehr eng werden, wenn die extrem rechte Szene im siebten Jahr in Folge ihren „Trauermarsch“ veranstalten will, der jetzt „Marsch der Ehre“ heißt. Neben den Neonazis werden zu Protesten mehrere tausend Personen erwartet, insgesamt sind bislang 10 Gegenveranstaltungen angemeldet
Waren anfangs noch etwa 100 Neonazis durch die 10.000 Einwohner zählende Kleinstadt marschiert, gelang es dem selbsternannten „Gedenkbündnis“ die Teilnehmerzahl jährlich fast zu verdoppeln: im Jahr 2010 beteiligten sich knapp 1.000 Neonazis an dem geschichtsrevisionistischen Event. Ihr Ziel ist das 1930 eröffnete Wincklerbad in der Mitte des Kurort. Das Gebäude war zwischen 1945 und 1947 vom britischen Geheimdienst als Internierungslager für meist ranghohe NS-Funktionäre genutzt worden, in dem es auch zu Misshandlungen und Folter gekommen war. Nach dem Bekanntwerden der Vorwürfe veranlasste die britische Regierung die Schließung, die Verantwortlichen mussten sich vor Gericht verantworten. Mit der Verdrehung der deutschen Täter zu Opfern avancierte der „Trauermarsch“ zu einem der bundesweit größten und wichtigsten Aufmärsche, er ist bis zum Jahr 2030 in Bad Nenndorf angemeldet. Dass der Geschichtsrevisionismus auch beim diesjährigen „Marsch der Ehre“ im Vordergrund steht, zeigt die Liste der angekündigten Redner. Unter ihnen befindet sich der 77-jährige Holocaustleugner Rigolf Hennig aus Verden, bei dem die Publikation „Stimme des Reichs“ bestellt werden kann. Zu deren Stammschreibern gehört die rechtskräftig verurteilte Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck-Wetzel, ehemalige Vorsitzende des 2008 verbotenen Vereins „Collegium Humanum“. Unter anderem hatte sie der ehemaligen Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, gedroht: „Machen Sie so weiter wie bisher, dann könnte sich ein neues Pogrom ereignen, das entsetzlich würde.“ Auch die 1928 geborene Haverbeck-Wetzel steht auf der Rednerliste für den „Marsch der Ehre“. Hennig und sie waren bereits 2010 in Bad Nenndorf angekündigt worden, doch die Polizei ließ die Holocaustleugner nicht als Redner zu.
Bleiben Neonazis aus dem Rheinland dem „Trauermarsch“ fern?
Ein anderer extrem rechter Stammgast wird in diesem Jahr in Bad Nenndorf fehlen, denn der Düsseldorfer Sven Skoda sitzt in Haft und muss sich demnächst mit weiteren Neonazis vor Gericht verantworten.
Die Staatsanwaltschaft Koblenz wirft ihnen die Mitgliedschaft bzw. Unterstützung einer kriminellen Vereinigung vor, gemeint ist das „Aktionsbüro Mittelrhein“ mit Hauptquartier im rheinland-pfälzischen Bad Neuenahr. Damit könnte die Teilnehmerzahl in Bad Nenndorf einen empfindlichen Rückschlag erleiden, denn im vergangenen Jahr stellten die Neonazis mit dem Aufdruck „Rheinland“ auf den weißen T-Shirts die mit Abstand größte Gruppe. Auch Thomas Wulff vom selbsternannten „Ehrenkomitee 8. Mai“ fürchtet offenbar rückläufige Zahlen und lässt vorab verlauten, es komme „nicht in erster Linie auf die Zahl der Teilnehmer an“. Für die Durchführung vor Ort sind seinen Angaben zufolge der Neonazi Marcus Winter und dessen Umfeld zuständig, Anmelder des Aufmarschs ist wie schon in den vergangenen zwei Jahren Matthias Schultz von der NPD aus Verden. Auch Dieter Riefling, einer der führenden Neonazis aus Niedersachsen, reist nach Bad Nenndorf und meldete einen anschließenden Aufmarsch im nahe gelegenen Hannover an. Schon im vergangenen Jahr wollten etwa 200 Neonazis im Anschluss an den „Trauermarsch“ in Bielefeld aufmarschieren. Als die Polizei den Weg der aggressiven Neonazis beendete, kurz nachdem sie den Zug verlassen hatten, griffen sie die Beamten an.
Vielfältiger Protest
Für die Initiative „Kein Naziaufmarsch in Bad Nenndorf“ ist Rieflings Anmeldung ein Zeichen für die Verunsicherung der extrem rechten Szene. „Offensichtlich ist man sich bei ihnen unsicher, ob sie ihren geplanten Aufmarsch in Bad Nenndorf angesichts von so viel Widerstand und den von uns angekündigten Massenblockaden wirklich durchführen können“, heißt es in einer Mitteilung der Initiative, die auf ihrer „Aktivierungskonferenz“ vor vier Monaten mit der Mobilisierung gegen den Neonaziaufmarsch begonnen hatte. Den Aufruf zu den Massenblockaden haben bislang knapp 100 Gruppen und Initiativen unterzeichnet. Das Bündnis „NS Verherrlichung stoppen“ ruft für 10.00 Uhr zu einer Demonstration auf, das örtliche Bündnis „Bad Nenndorf ist bunt“ erwartet am Vormittag zu seiner Demonstration etwa 2.000 Personen. Mit dem Fraktionsvorsitzenden der Bundesgrünen, Jürgen Trittin, und dem Vorsitzenden des NSU-Untersuchungsausschusses, Sebastian Edathy (SPD), sind erstmals auch Bundespolitiker als Redner angekündigt. Während des Aufmarschs setzt das Bündnis auf das im vergangenen Jahr erprobte Konzept am Rand der Bahnhofstraße. Mit lauter Musik, Tanz und Verkleidungen hatten die Anwohner den vermeintlichen Trauercharakter der Neonazis ad absurdum geführt. Das Bündnis kündigte bereits an, die Feiern auf der „Partymeile“ weiter auszubauen.