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Distanzierer und Provokateure

 

Kundgebung der "Freiheit" © ash-bayern

Am Samstag hielt die Kleinstpartei „Die Freiheit“ einer ihrer regelmäßigen Kundgebung in der Münchner Innenstadt ab und provozierte dabei zielgerichtet muslimische Passanten und Gegendemonstranten. Die Partei bekennt sich zum Rechtsstaat und zu einer vielfältigen Gesellschaft, sieht sich aber ständig genötigt sich von Nazis zu distanzieren und geht gar juristisch gegen die Bezeichnungen „rassistisch“ und „rechtsextremistisch“ vor. Sind diese dennoch berechtigt und welche wahrnehmbaren Berührungspunkte gibt es zwischen Neonazis und denen, die sich stets als „Freiheitliche“ von diesen distanzieren? Ein Erlebnisbericht.

Gegendemonstranten rechtsextremer Kundgebungen erinnern sich häufig mit einem Unwohlsein daran, wie Neonazis ihre vermeintlichen „politischen Gegner“ permanent fotografieren. Dies läuft unter „Anti-Antifa Arbeit“: Nazigegner werden erfasst, dokumentiert, ausgespäht und nicht selten folgen tatsächlich Taten, die von Sachbeschädigungen und Verleumdungen bis hin zu schweren Körperverletzungen reichen. Auf der Münchner Kundgebung der „Freiheit“ wollte man auf Nachfrage nicht sagen, wofür diese Fotos eingesetzt werden. „Lasst das mal unsere Sorge sein“, war so ziemlich die einzige Antwort. Bei offenkundigen Neonazis würde man eher „das wirst du schon noch sehen“ als Antwort bekommen. Die Botschaft versteht sich für die meisten Menschen wohl identisch: Stell dich gegen uns – wir beobachten dich.

Auf neonazistischen Kundgebungen und Demonstrationen ebenfalls oft anzutreffen: hochaggressive Ordner, die nur darauf warten, einem „Störenfried“ und „Volksfeind“, der zu nah an den rechten Demonstranten ist – um denen seine Abneigung gegen ihre menschenverachtende Einstellung mitzuteilen – mit körperlichem Einsatz einen Denkzettel zu verpassen. Im Anschluss werden diese Personen der Polizei übergeben und es wird Anzeige erstattet. Meist geschieht dies nicht etwa, weil man nach den Regeln unseres Rechtsstaates spielt, sondern einzig aufgrund dessen, dass bei einer Strafanzeige die persönlichen Daten des „Störers“ bekannt werden und diese schnell in der „Anti-Antifa Akte“ landen.

Doch zurück zu den „Distanzierern“. Bei der Kundgebung kam es zu einem Zwischenfall, bei dem ein Jugendlicher mit einem Stift ein Flugblatt o.ä. beschmiert haben soll. Wie ein Foto belegt, sprang daraufhin ein stämmiger Aktivist der Freiheit hinter dem Infostand hervor und drückte dem sich nicht wehrenden Jugendlichen in aller Öffentlichkeit die Luft ab. Daraufhin wurde er der Polizei übergeben und es wurde wie von anderen Demonstrationen gewohnt, Strafanzeige erstattet.

Angriff oder Selbstverteidigung? © ash-bayern

Der Landesparteivorsitzende Michael Stürzenberger forderte während der Kundgebung die Polizei wiederholt zum „Durchgreifen“ auf. Nun mag jeder so eine eigene Auffassung haben, wo Protest anfängt und aufhört, jedoch waren zu diesem Zeitpunkt geschätzte 50 Polizisten vor Ort, um die Rechtspopulisten vor ihren „politischen Gegnern“ zu schützen.

Gegen Rechtsextremismus = Volksfeinde & Linksextremisten

Auf neonazistischen Kundgebungen werden häufig alle Gegendemonstranten pauschal als „Linksextremisten“ bezeichnet. Bei den „Freiheitlichen“ verhielt sich dies wie folgt: Dauerredner Stürzenberger, der immer wieder schallplattenartig denselben Text runter leierte, beschimpfte die sich spontan versammelten Protestierenden als „Moslems und Linksextremisten, die sich gegen unsere Verfassung und Demokratie stellen“ würden. Dies obwohl inzwischen die Fahne der Grünen bei den Gegendemonstranten gezeigt wird.

Zivilcourage oder Linksextremismus? © ash-bayern

Auf die antimuslimischen und rassistischen Provokationen reagierten die Gegendemonstranten mit Rufen wie: „Es gibt kein Recht auf rechte Propaganda“. Dieser „Eingriff in die Kundgebungsfreiheit“, sei laut Stürzenberger „von der Polizei“ auf sein Kommando hin: „sofort zu unterbinden“. Auch wenn dies sichtbar anmaßend und realitätsfern klang, wussten die sonst teilweise äußerst aggressiven auftretenden Aktivisten der Kleinstpartei zumindest nicht über polizeiliche Befugnisse zu verfügen.

„Volkstod“ vs. „Geburtenjihad“

Auf neonazistischen Versammlungen wird in der jüngeren Zeit immer wieder verkündet: „Die Demokraten bringen uns den Volkstod“. Damit ist das angebliche „Aussterben des deutschen Volkes“ gemeint, welches ihrer Meinung nach schon unmittelbar bevorsteht. Einzig durch „konsequente Rückführung aller hier lebenden Nicht-Deutschen“ ist dem noch entgegenzutreten. Selbstverständlich geht diese rassistische Forderung mit der Abschaffung der Demokratie einher, die diesen Volkstod, der jeden Menschen in seiner Existenz bedrohe, mit voller Absicht vorantreibt. Von „Ausrottung des deutschen Volkes“ wird ebenfalls gesprochen.

Auf der Kundgebung der „Die Freiheit“, die sich ja wie bereits erwähnt auf nichts anderes als unsere Demokratie und die Freiheit von allem und jedem berufen, spricht Stürzenberger einen „sogenannten Geburtenjihad“ an. Hinter diesem Begriff vermag man eine offensichtliche Kampfankündigung der Muslime gegen hier lebende Nicht-Muslime bzw. Andersgläubige zu verstehen. Was es nach Ansicht der antimuslimischen Rassisten für unsere Bevölkerung bedeutet, wenn mehr und mehr Muslime in unserem Land leben wird auf Plakaten verdeutlicht, auf denen martialisch auftretende Islamisten gezeigt werden. Einer dieser abgebildeten Vermummten hält den Koran, nach Meinung Stürzenbergers das „gefährlichste Buch der Welt“ in der Hand.

Panikmache und undifferenzierte Islamkritik

Als Grund ihrer „Kundgebung“ gaben die „Distanzierer“ an, Unterschriften für einen Bürgerentscheid gegen ein geplantes „Zentrum Islam in Europa – München“ (ZIE-M) sammeln zu wollen. Kenner der Kleinstpartei vermuten dahinter eher einen Schachzug, ein möglichst breites Feld an potenziellen Wählern zu erreichen, die mit einfachstem Populismus gefangen werden sollen. So wird im Zusammenhang mit dem ZIE-M vom „Geist von Al-Qaida“ gesprochen, der so „in unserer schönen Stadt“ Einzug halten soll. Dass alleine ein Blick in die Satzung des „Verein Zentrum Islam in Europa – München e.V.“ genügt, um diese reine Panikmache zu widerlegen, lässt Stürzenberger unerwähnt. So heißt es unter §2 der Satzung unter anderem:

 „Das Zentrum für Islam in Europa – München e. V. möchte in Verantwortung für die Gesellschaft in Deutschland die Identität hier lebender Musliminnen und Muslime in einem Sinne fördern, der dem Islam als friedlicher und an den Werten eines freiheitlichen, modernen Rechtsstaates orientierten Religion verpflichtet ist, und der ihrer Integration als engagierte und verantwortungsbewusste Bürgerinnen und Bürger dient. Dazu wird eine konstruktive Zusammenarbeit mit allen interessierten Einrichtungen der Stadt und des Staates, der Gesellschaft, der Religionsgemeinschaften und vergleichbarer Einrichtungen angestrebt.“

Stürzenberger betont während seiner Rede zudem immer wieder, dass dieses „potenzielle Sammelbecken für Terroristen“ direkt im Herzen Münchens, „mitten am Stachus“ stehen soll. Ein Blick auf den Stadtplan oder in die lokale Presse hätte gereicht, um auch diese These zu widerlegen: Der aktuell geplante Bauort ist ca. 8 km vom „Stachus“ entfernt. Dies mag nun kleinkariert erscheinen, jedoch ist es ein weiteres Indiz dafür, wie intensiv sich die „Bürgerrechtspartei“ tatsächlich mit der Debatte auseinandergesetzt hat.

Islamkritik an sich muss nicht per se schlecht oder rassistisch sein, bei der „Freiheit“ ist sie aber undifferenziert: Es werden alle hier lebenden Muslime unter Generalverdacht gestellt, radikale Islamisten und potenzielle Terroristen zu sein. Menschen die gegen diesen antimuslimischen Rassismus protestieren, werden von den Rechtspopulisten pauschal als Linksextremisten und potenzielle Terroristen verunglimpft. Mit Demokratie hat diese „Freiheit“ wenig zu tun.

Der vollständige Erlebnisbericht des Neonaziaussteigers und Gründer der Aussteigerhilfe Bayern, Felix Benneckenstein ist hier zu lesen: Die Distanzierer – Rechtspopulisten hautnah erlebt.