Mitte des kommenden Jahres werden voraussichtlich die Ergebnisse des NSU-Untersuchungsausschusses auf Bundesebene erwartet. Auf einer Veranstaltung im niedersächsischen Stadthagen zog der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy jetzt eine Zwischenbilanz. Neben personellen Konsequenzen aus den Ermittlungspannen forderte er eine Änderung der Behördenstrukturen. Auch die neuesten Enthüllungen über die Berliner Sicherheitsbehörden kamen zur Sprache. Für den Berliner Innensenators Frank Henkel (CDU) fand Edathy deutliche Worte: er sei nicht sicher, ob dieser in zwei Monaten noch sein Amt ausüben werde. „Sollte es nicht so sein, hat er es sich selbst zuzuschreiben“.
Von Kai Budler und Felix M. Steiner
Wie ein roter Faden ziehe sich durch die Aufklärungsarbeit der Eindruck, die einzelnen Behörden würden ihre Informationen als Privatwissen verstehen. Als Beispiel führte er die Arbeitsweise des Thüringer Landesamtes und des Bundesamtes für Verfassungsschutz sowie des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) bei der sogenannten Operation Rennsteig an. Dem Ausschuss lägen aktenweise Berichte vor, nach denen V-Leute der verschiedenen Ämter sich gegenseitig bespitzelten. Dieser „Unfug“ hätte schon längst abgestellt werden müssen, so Edathy. Daneben konstatierte der Ausschussvorsitzende eine zu geringe Aufmerksamkeit und Sensibilität der Behörden im Bereich des Rechtsextremismus. Trotz der langjährigen Geschichte des Rechtsterrorismus in Deutschland, „konnte oder wollte man sich nicht vorstellen, dass es militanten oder mörderischen Rechtsextremismus geben könnte“, so der SPD-Politiker. Er führte dies unter anderem auf fragwürdige Personalentscheidungen zurück wie beispielsweise die Beschäftigung eines ehemaligen Postbeamten mit vermutlich rechtsextremer Gesinnung als V-Mann-Führer in Kassel. In diesem Fall seien dem Ausschuss ganz offenkundig Informationen vorenthalten wurden.
Jeder, der gegenwärtig Informationen zurückhält, sollte sich die Mühe machen, sich in die Situation der Angehörigen der Opfer hineinzuversetzen“, sagte Edathy und erwähnte teils erschreckende Details aus dem Umgang der Ermittlungsbehörden mit den Familien der Opfer der Mordserie. So sei unter anderem ein Aktenvermerk aufgetaucht, in dem es heißt, „es entspreche nicht der türkischen Mentalität gegenüber der deutschen Polizei die volle Wahrheit zu sagen“. Dass eine zwingend erforderliche interkulturelle Öffnung durchweg bei den Ermittlungen fehlte, zeige der Einsatz von Drogenexperten als Ermittlungsleiter bei mindestens drei Mordfällen.
Für Edathy ist die Arbeit des Untersuchungsausschusses neben der Gerechtigkeit für die Angehörigen der Opfer eine Frage der „demokratischen Selbstachtung“. Trotzdem stellt sich auch heute noch die Anfangsfrage, wieso es nicht möglich gewesen war, den Taten des „Nationalsozialistischen Untergrund“ durch Ermittlungen früher auf die Spur zu kommen. Um dies zu klären, seien allein bisher rund 1.500 Akten dem Ausschuss zur Verfügung gestellt wurden. Das ist das Resultat von 180 Beweisbeschlüssen, die das Gremium seit Beginn seiner Arbeit einstimmig verabschiedet hat. Damit liegen viele Teile auf dem Tisch, das Puzzle ist aber nach wie vor nicht vollständig. „Ein Teil der Beschlüsse wurde offenbar bewusst nicht ausgeführt“, sagte der Vorsitzende.