In Rostock haben am Montag etwa 200 Menschen an den 2004 erschossenen Mehmet Turgut erinnert. Für den Mord im Stadtteil Toitenwinkel wird der rechtsextremistische „Nationalsozialistische Untergrund“ verantwortlich gemacht. Seit Monaten kritisieren mehrere Initiativen, wie der Migrantenrat Rostock, dass weder ein Gedenkstein noch eine Straße den Namen des Opfers trägt. Das soll sich in diesem Jahr ändern.
Am neunten Jahrestag des Verbrechens zeigten sich die Veranstalter, das Bündnis „Erinnern! Verantworten!Aufklären!?“, unzufrieden mit der aktuellen Erkenntnislage. Sie forderten das Innenministerium Mecklenburg-Vorpommern auf, den Mord an Turgut und die Verbindungen der Zwickauer Terrorzelle zu Neonazis im Nord-Osten aufzuklären.
Mehmet Turgut arbeitete als Aushilfe in einer Imbissbude, als er am 25. Februar 2004 am Neudierkower Weg mit drei Kugeln erschossen wurde. An dem damaligen Tatort wurden Blumen niedergelegt und Kerzen angezündet, mit einer Schweigeminute ist an den damals 25-Jährigen gedacht worden.
Viele Reden befassten sich mit einem Bericht des Innenministers von Mecklenburg-Vorpommern, Lorenz Caffier (CDU), der auf Aktivitäten des NSU in dem Bundesland Bezug nimmt. Vor einer Woche, am 19. Februar, war die 41-seitige Ausarbeitung den Fraktionsvorsitzenden des Landtages vorgelegt worden. Neben dem Mord an Turgut sollen zwei Sparkassenüberfälle in Stralsund (2006 und 2007) auf das Konto der Rechtsextremisten gehen.
Für die Zeit zwischen dem Mord an Turgut 2004 und der Aufdeckung des Terrortrios 2011 habe es keine Hinweise auf den rechtsextremen Hintergrund der Tat gegeben, so Caffiers Text. Auch habe es an Anhaltspunkten gefehlt, die auf einen Kontakt des NSU zur rechten Szene in Mecklenburg-Vorpommern schließen ließen. Es könne nicht bestätigt werden, dass die Rechtsterroristen an der Ostsee ihren Campingurlaub verbracht hätten.
Mehrere Journalisten haben seitdem den geringen Erkenntniswert des Berichtes kritisiert. Das Internetportal blick nach rechts (bnr.de) stellte dem Schriftstück einen fünfseitigen Artikel gegenüber, der viele Spuren der NSU in Mecklenburg-Vorpommern findet. Urlaube in Krakow am See (1994), auf einem Campingplatz bei der Insel Usedom (2000), Poel (2005) oder möglicherweise auch auf Rügen (2011) werden angesprochen, Verbindungen nach Rostock, Anklam oder Stralsund hinterfragt. Der NSU-watchblock nsu-watch.info berichtete bereits im März 2012 über das neonazistische Fanzine „Der Weisse Wolf“ aus Neustrelitz. Dort sei im Jahr 2002 dem NSU gedankt worden. David Petereit, der heute für die NPD im Schweriner Landtag sitzt, sei nach Angaben des Internetportals blick nach rechts, zeitweilig für das Blatt verantwortlich gewesen. Des Weiteren seien Meldungen über die „Flüchtigen aus Jena“ 1998 vom Verfassungsschutz aus Thüringen nach Mecklenburg-Vorpommern weitergeleitet worden, wie die Schweriner Volkszeitung (SVZ) berichtet. Laut SVZ will Schwerin diese Nachricht niemals erhalten haben. 85 Menschen arbeiten in Mecklenburg-Vorpommern für den Verfassungsschutz.
„Wir wollen endlich die Wahrheit wissen! Wie konnte das alles passieren?“, sagte Rubén Cárdenas Carbajal vom Migrantenrat Mecklenburg-Vorpommern bei der Gedenkveranstaltung. Viele Fragen seien noch offen. Auch die Forderung nach einem NSU-Untersuchungsausschuss für das Land Mecklenburg-Vorpommern wurde laut.
Am Montagnachmittag erklärten Vertreter einer Arbeitsgruppe, dass in diesem Jahr ein Gedenkstein in Erinnerung an Mehmet Turgut gesetz werden soll. Die Gruppe erarbeitet Empfehlungen zum Gedenken an das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen (1992) und den Mord an Mehmet Turgut. Im Vorfeld hatte es eine Diskussion gegeben, ob ein Denkmal an den aus der Türkei stammenden Mann erinnern könne. Schließlich sei er kein Bürger der Stadt gewesen, wie die Bürgerschaftspräsidentin Karina Jens (CDU) dem ZDF mitteilte. „Dass er kein gebürtiger Rostocker war, sollte für das Gedenken keine Rolle spielen“, sagte Torsten Sohn vom Verein „Bunt statt braun“. Er sei ein Mensch gewesen, das sollte als Begründung reichen.
Der Beschluss der Arbeitsgruppe sei als ein positiver Schritt zu werten, sagte Landtagsmitglied Hikmat Al-Sabty (Die Linke). „Wenn es nach mir ginge, würde die Straße in Mehmet-Turgut-Straße umbenannt werden“, sagte der Politiker. Die Umbenennung ist aber nicht in Aussicht gestellt worden. Den Bericht des Innenministers nannte Al-Sabty „verharmlosend“.
Im vergangenen Jahr ist die Kundgebung von bis zu dreißig Neonazis gestört worden. Unter ihnen war auch der ehemalige NPD-Politiker Michael Fischer, dessen Freundin Nadja Drygalla vorzeitig die Olympischen Spiele im Sommer 2012 verließ.