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Ein fragwürdiger Polizeieinsatz und sechs Perspektiven

 

Beobachter des Polizeieinsatzes halten die Maßnahmen der Polizisten größtenteils für unverhältnismäßig © Marco Pietta
Beobachter des Polizeieinsatzes halten die Maßnahmen der Polizisten größtenteils für unverhältnismäßig © Marco Pietta

Um die Bewohner eines Flüchtlingsheims in Köln-Ehrenfeld über ihre Forderungen und eine geplante Kundgebung zu informieren, haben Flüchtlinge der Refugee Revoultion Bustour am Sonntag Flyer in diesem Heim verteilt. Der Sicherheitsdienst hat dann die Polizei gerufen, weswegen diese in wenigen Minuten vor Ort waren. Als ein Polizist die Personalien von einem der Flüchtlinge haben wollte, ist die Situation eskaliert. Ein betroffener Flüchtling, eine Unterstützerin, die stellvertretende Landesvorsitzende der Linken, ein Anwalt eines Flüchtlings, der Bezirksbürgermeister und eine Polizeisprecherin stellen ihre Perspektive auf den Polizeieinsatz dar.

Darlington ist einer der Flüchtlinge, die am Sonntag in Köln Flyer in einem Flüchtlingsheim verteilt haben. Er ist derjenige, der bewusstlos geschlagen und in diesem Zustand in ein Polizeiauto geschleift wurde. Er erzählt, wie er den gesamten Einsatz empfunden hat und wie die Polizei mit ihm umgegangen ist:

Deutsche Übersetzung:

„Oh…gestern im Lager. Wir gingen dort hin, wie wir es immer tun, versuchen zu informieren, die Flüchtlinge, wie wir welche sind. Als wir drin waren, muss der Hausmeister die Polizei gerufen haben. Wir wussten gar nicht, dass die Polizei kommt. Als wir raus kamen, wartete eine große Zahl Polizisten auf uns. Die sagten überhaupt nicht, was los war, sie sagten nur, dass wir mit ihnen kommen sollen. „Hier hin?“ – „Ja“ – „Zur Polizeistation?“ – Die sagten „Ja“. Was haben wir getan, um eine Festnahme zu verdienen? Sie können nichts darüber sagen. Sie haben einfach Gewalt angewandt, sie haben viele von uns festgenommen und uns geschlagen.

Da gibt es viel zu erzählen…so viel zu erzählen. Sie haben Gewalt angewandt, bei mir und meiner Gruppe. Wir mussten uns befreien. Aber nicht kämpfen, denn wir sind keine Kriminellen, wir kämpfen nur für unsere Rechte. Sie kamen zu mir, ihre Schuhe waren sehr groß und stark, sie schlugen mich immer wieder auf meine Beine. Mit ihren Füßen und Schuhen auf meine Beine. Ich lag auf dem Boden, sie schlugen mich, jemand anderes schlug in meinen Bauch. Ich konnte mir nicht helfen. Gleichzeitig haben sie Pfefferspray in meine Augen gesprüht. Jetzt kann ich deswegen nicht mehr laufen. Ich weiß nicht, wie ich dann in das Krankenhaus kam. Ich lag nur im Bett, ich wurde nicht behandelt. Sie brachten mich nur dort hin und ließen mich auf dem Bett. Nach ein paar Stunden, als ich aufwachte, kamen sie nur zu mir und wollten Informationen zu mir. Dann haben sie mich zurück zur Polizeistation gebracht – ich bekam nicht eine Behandlung im Krankenhaus. Auf der Polizeistation zwangen sie mich dazu, Dinge zu tun, die ich nicht tun wollte. Die wollten, dass ich Papier unterzeichne, die ich nicht verstand. Ich sagte ihnen, dass ich nichts unterzeichnen kann, ohne dass mein Anwalt dabei ist. Sie sagten, ich soll unterzeichnen. Ich sagte, ich kann nicht. Dann wollten sie meine Fingerabdrücke. Ich sagte, ich kann ihnen nichts geben, ohne mit meinem Anwalt gesprochen zu haben. Sie zwangen mich mit drei oder vier Polizisten – sie holten den Rest dazu – sie zwangen mich alle gemeinsam. Sie haben fast meine Finger gebrochen gestern. Warum soll ich kooperieren, wenn Sie mich zwingen? Ich bin kein Krimineller. Ist es kriminell, wenn ich für meine Rechte kämpfe? Sie sagten, es ist kriminell. Sie haben mich behandelt, wie sie wollten. Gott sei Dank, ich bin wieder frei. Vorher konnte ich gut laufen, aber jetzt laufe ich auf drei Beinen, mit einer Krücke. Was soll ich tun? Ich werde weiter kämpfen. Bis sie mich persönlich umbringen, werde ich nicht aufhören.“

Der Bezirksbürgermeister des Bezirks Köln-Ehrenfeld, Josef Wirges, hat am Sonntagabend von dem Polizeieinsatz in der Geisselstraße erfahren. Er war selbst nicht vor Ort, nimmt aber trotzdem Stellung:

„Die Videos, die ich von dem Polizeieinsatz gesehen habe, sehen nicht schön aus. Sie müssen auch Bestandteil der Ermittlungen werden. Die Polizei muss dazu Stellung nehmen. Aber ich war selbst nicht vor Ort und kann weder Polizisten noch Demonstranten kritisieren. Ich muss neutral bleiben. Ungewöhnlich finde ich die Ereignisse trotzdem, denn so kenne ich die Kölner Polizisten nicht. Mir wurde gesagt, dass um die achtzig Beamten aus ganz Köln zusammengetrommelt wurden, da drei Streifenwagen mit der Situation überfordert waren. Ich habe gehört, dass die Sicherheitskräfte nicht mehr Herr der Lage waren, nachdem sie den Demonstranten den Zutritt zuvor untersagt haben. Die Situation muss dann wohl eskaliert sein. Die Stadt Köln will natürlich nicht, dass in das Flüchtlingsheim irgendwelche Touristen herein kommen. Denn das war ja kein Kaffeekränzchen, sondern eine politische Aktion. Und ich glaube nicht, dass die ganzen Herrschaften da von dem Haus eingeladen waren. So einfach geht das nicht. Ich werde jetzt natürlich verfolgen, wie das Verfahren ausgeht, denn die Staatsanwaltschaft wird ja auch wegen der Anzeige gegen die Polizeibeamten ermitteln müssen. Wenn es dann Unrecht gibt, benenne ich das auch. Aber ich bin ein Verfechter des rechtstaatlichen Verfahrens und werde jetzt erst einmal die Ermittlungen abwarten, bis ich überlege, wie ich politisch damit umgehe.“

Christian Kemperdick ist Fachanwalt für Strafrecht und wohnt in der Geisselstraße gegenüber des Flüchtlingsheims, in dem die Teilnehmer der Refugee Bustour Flyer für ihre angekündigte Demonstration verteilt haben. Später hat er den Flüchtling, von dem als erstes die Personalien gefordert wurden, verteidigt. Als er den Flüchtling kennengelernt hat, konnte dieser gerade die Augen nicht öffnen, da ihm die Polizei Pfefferspray hinein gesprüht hat. Er berichtet davon, wie er den Einsatz beobachtet hat:

Derya Kilic ist stellvertretende Landesvorsitzende der Partei ‚Die Linke’ in Nordrhein-Westfalen. Sie war selbst von Anfang bis Ende des Polizeieinsatzes vor Ort und erzählt von ihren Erlebnissen:

Derya Kilic (rote Jacke) war bei dem Polizeieinsatz vor Ort  © Marco Pietta
Derya Kilic (rote Jacke) war bei dem Polizeieinsatz vor Ort © Marco Pietta

„Die Polizei hat überreagiert, und zwar unmittelbar, nachdem die etwa 25 Aktivisten der Flüchtlings-Bustour in Köln-Ehrenfeld nachmittags im Lager in der Geißelstraße angekommen waren. Mehr als achtzig Polizisten attackierten die Besucher, die nur gekommen waren, um die dort lebenden Flüchtlinge über ihre Proteste gegen die Abschiebepraxis und die bevorstehende Kundgebung am Dom zu informieren. Ich habe ein Mädchen gesehen, das weinte und über Kopfschmerzen klagte, weil es einen Knüppel über den Kopf gezogen bekommen habe. Als ich darauf bestand, sie müsse ins Krankenhaus gefahren werden, wurde ich beiseite geschubst. Der Polizist hat zu mir gesagt, ich habe das nicht zu entscheiden. Es wurden 19 Personen festgenommen und ins Präsidium Köln-Kalk transportiert. Dort wurden zunächst nicht einmal Anwaltsbesuche zugelassen. Wegen »Hausfriedensbruchs« wurden sogar Leute angezeigt, die das Haus gar nicht betreten haben, sondern nur davor standen. Den Aktivisten wurde von der Polizei mitgeteilt, dass all dies auf jeden Fall negative Konsequenzen für ihre Asylverfahren haben wird. Der Anwalt Christian Kemperdick, der sein Büro direkt gegenüber hat und den massiven Polizeieinsatz von Anfang an beobachten konnte, war schockiert. Nachbarn schauten entsetzt aus dem Fenster. Einige Jugendliche trauten sich heraus und brachten Wasser und Lappen, damit sich die Opfer nach dem Reizgaseinsatz die Augen auswischen konnten. Ich war bis sechs Uhr morgens selbst vor dem Polizeipräsidium in Köln-Kalk. Unmittelbar nach den Festnahmen habe ich zwei MdB der Linksfraktion kontaktiert, die sich in dieser Nacht mehrmals mit dem Einsatzleiter in Verbindung gesetzt haben und sich über den Vorfall und Festnahmen informiert haben. So konnte ich auch die die ganze Nacht über Infos an die Aktivisten weitergeben. Während rassistische Parteien wie ‚Pro NRW’ und ‚Die Rechte’ durch NRW touren und gegen Flüchtlinge hetzen, werden die Geflüchteten und ihre Unterstützer, die ihre Grundrechte fordern, von den Polizeibeamten geschlagen, kriminalisiert und verhindert ihre Rechte wahrzunehmen. Das ist unerträglich. Der Polizeieinsatz in Köln war völlig überflüssig, unverhältnismäßig und von Gewalt geprägt. Er wirft viele Fragen auf, die unverzüglich beantwortet werden müssen. Wir von den Linken fordern entsprechende Konsequenzen. Wir unterstützen die Forderungen der Refugees’ Revolution Bustour und werden weiterhin mit ihnen gemeinsam für Rechte und Forderungen kämpfen.“

Anastasia Janzen ist eine der Unterstützerinnen aus Köln, die die Teilnehmer der Refugee Bustour vor Ort in die Lager und zur Demonstration an den Dom begleiten wollten. Nach dem Verteilen der Flyer wurde auch sie festgenommen. Sie erzählt den Ablauf des Polizeieinsatzes aus ihrer Perspektive:

Nadine Perske ist eine Polizeisprecherin der Polizei Köln, war aber selbst bei dem Polizeieinsatz am Sonntag nicht vor Ort. Sie nimmt Stellung zu den Ereignissen:

„Der Hintergrund dafür, dass der Sicherheitsdienst die Polizei gerufen hat, war der Hausfriedensbruch der Aktivisten. Sie wurden wegen Widerstands und Gefangenenbefreiung angezeigt. Im Rahmen dieser Ermittlungen wird auch die Rechtsmäßigkeit des Eingriffs der Polizei überprüft. Zunächst ermittelt die Polizei, danach übergibt sie die Ergebnisse an die Staatsanwaltschaft, die sich dann um den Fall kümmert. Mir wurde über den Einsatz von meinen Kollegen gesagt, dass sie um 15.45 Uhr gerufen wurden und vor Ort die Personalien feststellen wollten. Danach habe es tumultartige Auseinandersetzungen gegeben. Die Betroffen haben mit Kopf- und Kniestößen Widerstand geleistet. Zur Personalienfeststellung wurden dann 19 Menschen mit auf die Polizeistation genommen. Da bei zwei der Flüchtlinge nicht bekannt war, ob sie sich illegal in Deutschland aufhalten, wurden sie erst am Montagmittag entlassen. Wegen Körperverletzung im Amt hat es eine Strafanzeige gegen die Polizisten gegeben. Momentan kann ich aber nicht auf mehr Details eingehen, da noch ermittelt wird.“

Die zuständige Staatsanwaltschaft sowie der Einsatzleiter der Polizei haben sich nach meiner Anfrage nicht zu den Ereignissen geäußert.

Das war der 8. Teil meiner Artikel-Serie über das Refugee Camp Berlin.

In einer früheren Version dieses Artikels hatte es geheißen, Derya Kilic sei jugendpolitische Sprecherin der Linken. Dies ist laut Derya Kilic nicht zutreffend. Wir haben die Stelle entsprechend angepasst.