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Nordhausen: das braune „Gedenken“ in Kleinstädten

 

Nordhausen-Titelbild
Protest gegen ein neonazistisches Gedenken in Nordhausen © alle: Kai Budler

Noch vor kurzer Zeit garantierten die „Gedenkmärsche“ der extrem rechten Szene hohe Teilnehmerzahlen, doch inzwischen ist die Tendenz bei den entsprechenden Großveranstaltungen rückläufig. Doch abseits von Aufmärschen wie in Dresden und Magdeburg versuchen Neonazis mit ihrer Täter Opfer Umkehr auch in ihrem jeweiligen Wirkungsbereich den Geschichtsrevisionismus zu etablieren. Ein Beispiel ist die nordthüringische Stadt Nordhausen.

Wie an zahlreichen Orten in Deutschland versucht die rechtsextreme Szene auch in Nordhausen an das Gedenken der Zerstörung der Stadt im zweiten Weltkrieg anzudocken. In den letzten Jahren nahmen immer wieder Neonazis aus NPD und den „Freien Kameradschaften“ an den öffentlichen Gedenkveranstaltungen der Stadtverwaltung teil. Doch mit den Jahren ist auch der Widerstand gegen die Anwesenheit der Ewiggestrigen gewachsen. So war erst letztes Jahr die Veranstaltung eskaliert, als die damalige Oberbürgermeisterin am Ende der Kranzniederlegung den Neonazis ihren Kranz zurückgeben wollte. Bereits zuvor hatten zahlreiche Menschen gegen die Anwesenheit und die Kranzniederlegung der Rechtsextremen protestiert. Auch dieses Jahr waren die Neonazis bei der öffentlichen Gedenkveranstaltung nicht erwünscht. Bereits im Vorfeld hatte der Stadtrat eine gemeinsame Erklärung verabschiedet, in der man sich von der Vereinnahmung des Gedenkens durch Rechtsextreme deutlich distanzierte. „Die geistigen Erben des Nationalsozialismus nutzen den Gedenktag, um die Geschichte zu verfälschen, verhöhnen so die Opfer sowie das ehrliche Gedenken an sie.“, heißt es in der Erklärung. Auch der Oberbürgermeister Dr. Klaus Zeh fand in seiner Rede vor dem Rathaus deutliche Worte, um auf den Kontext der Bombardierung Nordhausen hinzuweisen. „Der Zweite Weltkrieg, den Deutschland entfacht hatte, kam mit den Bombardierungen deutscher Städte nach Deutschland und am 3. und 4. April auch nach Nordhausen zurück.“, sagte Zeh in seiner Ansprache. Rund 150 Menschen waren am Morgen des 3. Aprils gekommen, um der Gedenkveranstaltung beizuwohnen. Bereits dort zeigte die Neonaziszene Präsenz. Rund 15 Rechtsextreme nahmen am Rande an der Gedenkveranstaltung teil und fertigten wie in den letzten Jahren Bilder von den Anwesenden an. All dies geschieht in aller Öffentlichkeit.

Antifa-Eichhörnchen und braunes Gedenken

Als Reaktion auf die deutliche Erklärung des Stadtrates hatte die lokale rechtextreme Szene eine eigene „Gedenkveranstaltung“ angemeldet und am Wochenende begonnen zu mobilisieren. Bereits eine Woche zuvor kam es zu Einschüchterungsversuchen der Neonazis gegen Teilnehmer eines Vernetzungstreffens gegen rechts, als die Rechtsextremen mehrere Anreisende auf dem Weg zum Treffen in der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora abfotografierten. Bereits hier zeigte sich, wie die lokale Szene weiter versucht, ein Klima der Angst zu etablieren. Bereits in den letzten Jahren kam es immer wieder zu zahlreichen gewalttätigen Übergriffen durch Angehörige der lokalen Szene.Für den späten Nachmittag hatte die NPD gemeinsam mit den neonazistischen „Freien Kräften“ zu ihrem braunen Gedenken aufgerufen. Doch bereits Stunden zuvor wurde der Platz der rechtsextremen Kundgebung vor dem Rathaus von Antifaschisten geschmückt. Die Aktivisten befestigten ein Transparent zwischen zwei Bäumen und hielten es mehrere Stunden in den Baumkronen aus. Die Kundgebung verspätete sich dadurch, konnte aber nicht verhindert werden. Die Nachricht war dennoch deutlich: „Geschichtsrevisionismus entschlossen bekämpfen! Nordhausen Nazi-Frei!“ Rund 40 Neonazis warteten, bis sich die Aktivisten von den Bäumen abseilten und begannen dann mit ihrer Kundgebung. Neben dem örtlichen NPD-Vorsitzenden redete ein Vertreter der neonazistischen „Freien Kräfte“. In der Vergangenheit waren diese immer wieder durch zahlreiche militante Übergriffe, Drogendelikte und zahlreiche andere Straftaten aufgefallen. Zum Abschluss der Kundgebung drohte der NPD-Vertreter, man werde von nun an jedes Jahr eigene Kundgebungen anmelden, wenn man weiterhin von der öffentlichen Veranstaltung ausgeschlossen werde.

Die Verhöhnung der Opfer des deutschen Faschismus

Für Außenstehende ist das „Gedenken“ der Neonazis in Nordhausen eher zur Lachnummer geworden: unter einem Anti-Nazi-Transparent hielten es die rund 40 Teilnehmer bei Minusgraden gerade einmal 45 Minuten vor dem Rathaus der Rolandstadt aus, angemeldet war die Veranstaltung bis 22.00 Uhr. Der engere Teilnehmerkreis zeigt vor allem die beschränkte Mobilisierungsfähigkeit für derartige Kleinveranstaltungen. Auch der Versuch, das bürgerliche Gedenken für die geschichtsrevisionistische Propaganda zu nutzen, ist fehlgeschlagen. Dazu haben nicht zuletzt viele Teilnehmer der offiziellen Veranstaltung im vergangenen Jahr beigetragen, die den Neonazis bei diesem Anlass in Nordhausen erstmals laut und deutlich gegenüber getreten waren. Doch ein solcher Blick darf nicht darüber hinweg täuschen, dass nicht nur organisierte Neonazis ihren Weg auf den Platz vor dem Rathaus fanden. Unter der Beobachtung von nur wenigen Polizisten und von Gegenprotesten nahezu unbehelligt konnte die extreme Rechte ungestört ihre Propagandaveranstaltung durchführen und dabei auch vereinzelt Bürger aus Nordhausen erreichen. Am Ende des Tages lag das Blumengesteck der Neonazis vor der Gedenkstele, ausgerechnet neben dem dort niedergelegten Kranz der jüdischen Gemeinde. Deutlicher kann ein Bild der Verhöhnung der Opfer des deutschen Faschismus nicht gezeichnet werden.