Barsinghausen. Eine kleine Stadt in der Nähe von Hannover. Eine typische Kleinstadt, wären da nicht die wiederholten Neonazi-Angriffe auf ein linkes Jugendzentrum sowie die Ankündigung der NPD, dort einen Stützpunkt errichten zu wollen. Hat Barsinghausen ein Nazi-Problem? Eine Reportage.
Mit seinen ca. 33.000 Einwohnern ist Barsinghausen eine der etwas größeren Städte in der Region Hannover. An sich fällt die am Deister gelegene ehemalige Bergbaustadt nicht weiter auf, wären da nicht die immer stärkeren Nazi-Aktivitäten, die der Stadt mittlerweile auch überregionale Bekanntheit verschafft haben. Ein Rückblick. Seit gut 15 Jahren existiert in Barsinghausen das linksalternative Jugendzentrum „Falkenkeller“. Im Falkenkeller finden Konzerte und Partys, aber auch politische Veranstaltungen statt. Im Laufe der Zeit hat sich das Jugendzentrum zum Dreh- und Angelpunkt antifaschistischer Aktivitäten in der Gegend entwickelt. Das Erstarken der rechten Szene äußerte sich zuerst durch kleinere Angriffe der Neonazis auf Personen, die sie der linken Szene zuordneten. Nach und nach rückte jedoch Falkenkeller selbst in den Fokus der Rechten. Im Jahr 2012 gab es eine ganze Serie von Übergriffen. So wollten sich Rechte mit einer Brechstange gewaltsam Zugang zum Falkenkeller verschaffen, verprügelten Besucher, versuchten, das Gebäude in Brand zu setzen und verletzten einen Jugendlichen durch Messerstiche so schwer, dass er im Krankenhaus behandelt werden musste. In der örtlichen Presse oftmals als gewöhnliche Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen abgetan, wusste die Verwaltung der Stadt sich Anfang 2013 nicht anders zu helfen und hat den „Falkenkeller“ vorerst geschlossen. Während in der Stadt über die Wiedereröffnung des Jugendzentrums verhandelt wurde, hat die NPD öffentlich verlautbart das Jugendzentrum übernehmen zu wollen. Ein erster Vorgeschmack auf das, was die NPD in Barsinghausen vorhat? Mittlerweile wurde der „Falkenkeller“ durch den Druck der rot-grünen Ratsmehrheit von der Verwaltung unter alter Leitung wieder eröffnet. Die Politik bekennt sich also klar zum „Falkenkeller“. Dennoch ist fraglich, warum in der Stadt nicht mehr unternommen wird – gerade auch vor dem Hintergrund der Anfrage durch die NPD.
Ich treffe mich mit Lea Gertich, die seit der Kommunalwahl 2011 für die SPD im Stadtrat sitzt, um sie genau das zu fragen. Sie glaubt, das Hauptproblem sei, dass Verwaltung und Polizei stets den politischen Hintergrund der Taten ausblenden. So wird aus einem Überfall auf ein linkes Jugendzentrum durch Neonazis eben Krawall am Falkenkeller. Auch greift sie Bürgermeister Marc Lahmann (CDU) an, der die Vorfälle ebenfalls als „Differenzen zwischen Jugendlichen“ abtut.
Das alles klingt für mich nach einem Verhalten, das oft in Orten zu beobachten ist, sobald Neonazis auftauchen: ignorieren, keine Bühne bieten, dann werden die schon von selbst wieder gehen. Leider ist es damit in der Regel aber nicht getan – eher das Gegenteil ist der Fall: die Nazis bleiben und werden stärker. In anderen Städten gründen sich dann Bürgerinitiativen gegen rechts und nehmen die Arbeit auf. Auch in Barsinghausen gibt es ein solches Bündnis: das Bündnis „Barsinghausen ist bunt“. Ein Blick auf dessen Homepage zeigt aber schnell, dass das Bündnis offenbar eingeschlafen ist. Zumindest ist der letzte Eintrag aus dem August 2012 und eine Anfrage von mir blieb unbeantwortet. Kürzlich hat sich ein neues Bündnis gegen Rechts aus Gewerkschaften, Parteien und Jugendorganisationen gebildet, allerdings ist hier noch nicht abzusehen, inwiefern dieses Bündnis Erfolg und Bestand haben wird.
Langsam beginne ich mich zu fragen wie es passieren kann, dass die Zivilgesellschaft in Barsinghausen diese Vorfälle scheinbar ignoriert. Für eine Aktive aus der Antifa-Szene in der Region Hannover, die selbst in Barsinghausen aufgewachsen ist, liegt die Antwort klar auf der Hand: „Der politische Hintergrund der Taten wird in der Presse und von der Verwaltung immer ausgeblendet!“. Sie berichtet von der Stadtjugendhilfe, die offensichtlich der Meinung ist, es handele sich nur um Streitigkeiten unter Jugendlichen, die sich in einem Gespräch beseitigen lassen und nicht um Straftaten mit rechtsradikalem Hintergrund. Dies sei eben auch die Meinung, die Polizei und Verwaltung immer wieder in der Presse vertreten.
Unter diesen Gesichtspunkten kann ich die Frustration derer, die gegen die Nazis arbeiten, gut verstehen. Was ich nicht verstehen kann ist, warum die Verwaltung der Stadt hier eine echte antifaschistische Politik fast schon verhindert, zumindest aber entscheidend stört. Sowohl Ratsfrau Lea Gertich als auch die junge Frau aus der Antifa-Szene haben auf meine Frage, ob Barsinghausen ein Naziproblem habe, mit einem klaren „Ja“ geantwortet. Warum diese Ansicht aber außerhalb der rot-grünen Ratsmehrheit und des Falkenkellers nicht ankommt, diese Frage muss man womöglich der Verwaltung, der örtlichen Presse oder dem Bürgermeister anlasten.
Im Laufe meiner Recherche habe ich langsam die Erkenntnis gewonnen, dass Barsinghausen sehr wohl ein Naziproblem hat. Barsinghausen hat das nur noch nicht gemerkt.