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Energie Cottbus – kein Stadionverbot gegen Neonazis

 

Die Sicherheitsbehörden haben die rechtsextremistische Fangruppe Inferno Cottbus 99 schon lange im Visier. Jetzt reagiert auch der FC Energie Cottbus – allerdings nicht wie von vielen Seiten berichtet, mit einem Stadionverbot. Das Lob für den Verein ist groß – aber nicht angebracht. Eine Analyse

Die neue Saison bei Energie Cottbus beginnt direkt mit einem Paukenschlag. Mehrere Medien, darunter Die Welt, der Kicker und der RBB berichten, Energie Cottbus habe die neonazistische Fangruppe Inferno Cottbus 99 aus dem Stadion verbannt. Auch die brandenburgische Bildungsministerin Martina Münch (SPD) aus Cottbus ließ eine Pressemitteilung voll des Lobes für ihren Heimatverein, Brandenburgs bestklassigsten Fußballklub, verschicken: Demnach begrüßt sie das konsequente Vorgehen des Vereins FC Energie Cottbus gegen die rechtsextreme Fangruppierung Inferno Cottbus 1999. „Rechtsextreme Einstellungen haben im Fußballstadion keinen Platz – das macht der FC Energie Cottbus mit dem Stadionverbot für Rechtsextremisten konsequent deutlich.“

Leider ist das so nicht richtig. Energie Cottbus schreibt in seiner Erklärung lediglich, dass gegenüber Inferno Cottbus ein „Erscheinungs- und Auftrittsverbot sowohl für die Heimspiele im Stadion der Freundschaft als bei den Auswärtsspielen unserer Mannschaft ausgesprochen“ wurde. Wenn man den Satz alleine stehenlässt, heißt das natürlich, dass auch die Mitglieder von diesem Ausschluss betroffen sind und sie mit Glück mal montags auf Sport1 ihren FC Energie sehen können.

Doch mit dem nächsten Satz entkräftet Energie schon selber wieder diese Stadionverbotsidee: „Das betrifft Fahnen und Banner jeglicher Art sowie Erkennungssymbole der Gruppierung.“ Konkret bekommt IC99 ein Material- und Betätigungsverbot, mehr nicht.

Den Ausschlag für das Vorgehen gab ein „von der Öffentlichkeit nicht registriertes Vorkommnis bei einem der jüngsten Auswärtsspiele“, heißt es. Polizisten und der Sicherheitsbeauftragte von Energie hätten zwei Personen festgenommen, die „antisemitische Zeichen propagierten und der Gruppierung Inferno zuzuordnen sind“.

Dass es überhaupt zu diesem Schritt kommt, ist bemerkenswert. Die Sicherheitsbehörden, Verfassungsschutz und Polizei, versuchten die Vereinsführung erst lange Zeit hinter den Kulissen für das Problem zu sensibilisieren. Der Verein wiegelte ab. Schließlich ging die gerade pensionierte Verfassungsschutzchefin Winfriede Schreiber an die Öffentlichkeit, um den Druck zu erhöhen. Es gab zu Jahresbeginn ein paar Stadionverbote, ansonsten zeigte die Vereinsspitze eher Widerwillen.

Ob Energie Cottbus nun mit seinem neuen Vorgehen Erfolg haben wird, darf bezweifelt werden. Ein „Erscheinungs- und Auftrittsverbot“ hatte der Verein bereits 2002 schon einmal verhängt im „Kampf gegen Rechts“. Doch das IC war weiterhin präsent. Drei Jahre später wurde es bundesweit bekannt für ihr antisemitisches „Juden-Banner“ beim Gastspiel bei Dynamo Dresden. Zwar zeigten sie ihr Gruppenbanner (Zwischen IC und 99 ein Keltenkreuz und eine Person mit einer Pistole) nicht mehr, doch sie hatten ein eigenes Solibanner „Widerstand läSSt sich nicht verbieten“, wobei das doppelte S als „Sieg-Runen“ dargestellt wurde.

Nach dem Verbot gab es ein neues modifiziertes IC99-Banner, diesmal mit der Aufschrift „die halben hole der Teufel“. Es wurde immer wieder gezeigt, so auch am 4. März 2012 beim Fußballspiel zwischen Eintracht Frankfurt und Energie Cottbus. Dabei handelt es sich um ein Zitat aus dem Roman Die Abenteuer des Werner Holt von Dieter Noll und ist eine Chiffre innerhalb der rechten Szene. Das Zitat markiert den Beginn einer Ansprache der Roman-Figur Gilbert Wolzow. Er ist ein fanatischer Hitlerjunge. Die eigentliche Botschaft ist das Ende des Zitats, dass beim Zeigen des Spruchbandes mitgedacht werden soll: „Wir stehen zum Führer.“ Komplett heißt es: „Wer … Deutschland in seiner schwersten Stunde im Stich lässt, der ist ein Schweinehund. Alles oder nichts. Die Halben hol‘ der Teufel. Wir stehen zum Führer.“

Laut Verfassungsschutz übernahm auch die bereits 2005 vom Bundesgerichtshof als kriminelle Vereinigung eingestufte rechtsextremistische Szeneband Landser ein Wolzow-Zitat und nutzte es im dem strafbaren Lied Wacht an der Spree. Ihre Propaganda versteckten die Neonazis im Stadion schließlich hinter Parolen wie „Nur ein Sieg heilt unsere Wunden“. Zunächst war die komplette Parole zu sehen, dann fielen plötzlich das „T“ und viele anderen Buchstaben herunter, so dass nur ein „Sieg heil“ blieb. Dies geschah am 25. März 2012 beim Spiel zwischen St. Pauli und Cottbus.

Als es im Sommer 2012 eine große Razzia samt Verbotswelle gegen das Neonazinetzwerk Widerstand Südbrandenburg, bekannt auch als Spreelichter, in der Lausitz gab, wurde auch der Capo des IC99 durchsucht. Capos werden die Vorsänger und Köpfe der Fangruppen im Fanjargon genannt. Auch der IC-Capo erhielt eine Verbotsverfügung. Die Antwort von Energie war: „Er kam drei Tage später und hat uns das selbst erzählt, […] Willi habe jedoch versichert, er habe mit diesen Neonazis nichts zu tun.“

Doch selbst wenn es zu einem Verbot der Gruppe Inferno Cottbus 99 kommen sollte, gibt es einen Plan B. So gibt es eine Diskussion auf der Facebook-Seite von IC99 bezüglich eines „KU“-Banners, welches neben dem Auswärtsbanner der Infernos zu sehen ist. Das KU soll womöglich für Kamarilla Ultras stehen. Ein User schreibt drunter zur Gruppe: „Ne kleinere Gruppe halt, is damals, wenn ich mich richtig erinnere nach dem IC Verbot entstanden…“ Eine Gruppe, die nach einem Verbot des IC entstand und nun einträchtig ihren Banner neben dem Gruppenbanner hängt?

Bei Neonaziorganisationen spricht man hier von Auffangbecken und Ersatz-Organisationen. Selbst ein Verbot von IC99 und eventuell einem präventiven Verbot von KU würde an den Verhältnissen in Cottbus nur wenig rütteln. Zwar ist IC99 die größte rechte Fangruppe in Cottbus, aber beileibe nicht die einzige.

Da wäre zum Beispiel noch WK13 Boys. Diese sollen eher dem Hooligan-Milieu entspringen und zeigen ebenfalls auf ihrer Facebook-Präsenz ihre ideologische Basis. So findet sich eine Karte von Deutschland mit den Grenzen von 1918 als Anheizer für Auswärtsfahrten. Auch die Freundschaft zu den neonazistischen NS-Boys vom Chemnitzer FC wird hier gefrönt. So war man während der EM 2012 zusammen in der Ukraine unterwegs. Auf einem Bild, auf dem Mitglieder der beiden Gruppen mit einem gemeinsamen Banner auf einem Panzer sitzen, ist unterschrieben mit „Cottbus&Chemnitz in der Ukraine für Deutschland“.

Eine weitere Gruppe, die eng mit den NS-Boys befreundet ist, ist die Gruppe Collectivo Bianco Rosso (CBR´02). Auf ihrer Website beschreiben sie ihr enges Verhältnis zu den Neonazis von IC mit den pathetischen Worten, man würde „stets an der Seite bzw. im Schatten des IC“ stehen. Aus diesem Schatten ging man heraus, als man sich vor einigen Jahren entschied, mit einzelnen Personen, die nicht vom Stadionverbot gegenüber IC betroffen waren, zu kooperieren. CBR stellten den Capo im Block H – bis „Willi“ von IC und der Rest wiederkamen.

Anfang 2013 bekam ein Dutzend von 50 Mitgliedern des Inferno mal wieder Hausverbot. Und auch gegen den Capo „Willi“ wurde eines ausgesprochen. Somit fehlte ein Capo. Und viele erwarteten, dass CBR als zweitgrößte Gruppe wieder diesen Platz einnehmen würde. Doch aus Solidarität mit IC99 hing CBR nur sein Banner an den Zaun und blieb stumm.

Einzelne Personen sind besonders in der medialen Berichterstattung schon länger mit Namen präsent. Auch Energie Cottbus kennt zum Beispiel Markus W. Er wird mit einem Kleidungslabel in Verbindung gebracht, welches bei Neonazis und Hooligans sehr beliebt ist. Er war Deutscher Meister im Kickboxen, bis ihm seine rechten Aktivitäten zum Verhängnis wurden. Nach seinem Rauswurf beim Kickbox-Team Cottbus 09 wurde bekannt, dass eine Party, die er auch besuchte, im Bericht des Verfassungsschutzes auftauchte – und er tiefer in rechten Strukturen aktiv war als angenommen. Auch seine Zugehörigkeit zur Hooliganszene von Energie Cottbus wurde nun offengelegt – eine Reaktion seitens Energie konnte nicht verzeichnet werden. Inzwischen taucht er nur noch beim Konflikt mit den Hells Angels auf. Dennoch ist die Verbindung der Hooliganszene von Energie Cottbus und der örtlichen Neonaziszene immer wieder Thema, vor allem ein Fall von Korruption sorgte da gerade für eine kleine Eruption.

Die Fangemeinde von Energie Cottbus diskutiert inzwischen das Verbotsthema. Zwischen Solidarität mit der Gruppe bis hin zu positiven Feedback ist alles dabei. Extremismusforscher fordern, dass man neben CBR, IC99 und der Gruppe Ultima Raka (UR) eine unpolitische Gruppe gründet, welche tonangebend ist. Bei der Gruppe UR sieht man es kritisch, dass einzelne Mitglieder der linken Szene angehören würden. Auch geben einige bereits jetzt den Hinweis, dass ein Erscheinungsverbot nicht mit einem Stadionverbot gleichzusetzen ist.

Noch mal zurück zur Erklärung des FC Energie Cottbus. Das Vorgehen von Energie Cottbus hat nicht etwa mit der Verteidigung von demokratischen Werten zu tun, sondern der Verein legt „erneut großen Wert auf das Vereinsleben, auf seine Außendarstellung, auf seine Fans“. Bescheiden gibt sich der Verein, denn sein Versagen gegen die Gruppen CBR, IC99 oder WK13 Boys beschreibt er als „seit Jahren vielfach dokumentiertes Selbstverständnis“ im Kampf darum, dass „das Stadion der Freundschaft als Heimstätte, der Verein als Hort der Begegnung […] keinerlei Plattform für Diskriminierung, Rassismus, Gewalt, Antisemitismus und Homophobie“ bietet.

Weiter heißt es: „Seit jeher betrachten wir uns als Partner bei der Vorbeugung und Bekämpfung, sitzen mit den rechtsstaatlichen Organen in einem ‚Boot‘ und ziehen an einem Strang.“ Dies dürften der Verfassungsschutz oder das Mobile Beratungsteam gegen rechts anders sehen. Sie weisen seit Jahren auf die Aktivitäten von einzelnen Personen außerhalb des Stadions hin. Auch die Lausitzer Rundschau hat seit Jahren über IC99 und die lokale Neonazistruktur berichtet. Der bittere Kommentar: Für den Energie Cottbus endet die Verantwortung am Stadiontor. Der Verein spielte das Problem mit IC99 lange Zeit herunter.

Zwar hat der Verein eine Menge Aktivitäten gegen rechts in der Kommune unterstützt und sich auch beteiligt – doch im Stadion handelte er immer wieder inkonsequent. Seit 14 Jahren ist IC99 im Umfeld von Energie Cottbus aktiv und auch andere Fans loben deren Engagement, zum Beispiel, wenn das Spielfeld von Schnee befreit werden muss.

Es gibt also nur ein Erscheinungs- und Auftrittsverbot für Inferno-Anhänger, es gibt keine weiteren Stadionverbote. Wie der Verein damit das „Stadion der Freundschaft“ zu einem Stadion ohne Neonazis umgestalten will? In der Erklärung fordert der Verein „eine ebenso deutliche Positionierung [von] Mitgliedern und Fans“. Tonangebend aber waren und sind Fans aus dem rechten Spektrum. Andere hatten keine Chance. Und wie weit Neonazis in Cottbus gehen und wie brutal sie mit Gegnern umspringen, kann man an den Konflikten zwischen Hooligans von Energie und der Rockergruppe Hells Angels sehen.