Ziemlich genau vor einem Jahr gingen in Schneeberg gleich mehrmals hintereinander hunderte Menschen auf die Straße, um mit rassistischen Parolen gegen eine Erstaufnahmeeinrichtung für Asylsuchende zu protestieren. Viele der Gegendemonstranten hofften damals noch, dass es sich bei dem „Bürgermob“ um eine singuläre Zuspitzung der latent rassistischen Verhältnisse in Deutschland handelte. Inzwischen ist jedoch längst klar, dass diese Eskalationsstufe – zumindest in den abgelegenen Regionen Sachsens – keineswegs die Ausnahme, sondern die alltägliche Realität ist.
Die aktuellen Geschehnisse in der ostsächsischen Stadt Bautzen sind selbst für das schon erreichte Niveau an Rassismus ein besonders hartes Beispiel. Während am 8. November in der Innenstadt von Bautzen die Einkaufsnacht „Romantica“ mit tausenden Menschen in vollem Gange war, versammelten sich nicht weit davon entfernt, inzwischen zum dritten Mal, hunderte Rechte zu einem Aufmarsch gegen ein Übergangsheim für Geflüchtete im örtlichen „Spreehotel“. Dieser von der NPD-Stadträtin Daniela Stramm angemeldeten Demonstration stellten sich mehrere Protestkundgebungen des Bündnisses „Bautzen bleibt bunt“ entgegen.
Als sich die Demonstration der NPD gegen 17 Uhr in der Innenstadt am Holzmarkt in Bewegung setzte, war der erste gemeinsame Blockadeversuch der Gegendemonstranten am Steinwall schon gescheitert. Die Polizei hatte nach der Ankunft der Busse aus Dresden und Leipzig Kräfte zusammengezogen, um einen solchen Versuch zu unterbinden. Unmittelbar im Anschluss wurde die Kundgebung des Bündnisses „Bautzen bleibt bunt“ am Steinwall aufgelöst. Eine Spontandemo zog zum nächsten Kundgebungsort und ein Katz und Mausspiel entlang der Naziroute mit der Polizei begann. Größere und kleinere Gruppen versuchten durch Seitenstraßen auf die Strecke zu gelangen, wurden jedoch von der Polizei unter Einsatz von Pfefferspray daran gehindert. Im Gegensatz zu den Polizeiangaben wurde dabei mindestens eine Person verletzt. Im Laufe des Abends gelang es dennoch zwei größeren Gruppen auf der Route Sitzblockaden zu errichten. Insgesamt waren es ca. 400 Gegendemonstranten.
Auf der NPD-Demo war die Situation für die Teilnehmer deutlich entspannter. Der Polizei war von Seiten der Anmelderin Daniela Stramm zugesichert worden, dass die Demo friedlich bleiben würde. Rund 600 extrem Rechte konnten allein auf Grundlage dieser Zusage ohne Spalier, zum Teil nur von wenigen Polizisten begleitet durch die Stadt ziehen. Auf Journalisten wirkte die Versammlung enorm aggressiv, laut und unkontrollierbar. Des Öfteren verließen Kleingruppen die Demo, ohne beachtet zu werden. Die Demonstration skandierte laut Parolen wie „Hier marschiert der nationale Widerstand“, „Nationaler Sozialismus jetzt, jetzt, jetzt!“ und „Die Stadt gehört der deutschen Jugend“. Auf der ersten Zwischenkundgebung blieb ein Hitlergruß und das Schwenken der Reichskriegsfahne ohne polizeiliche Konsequenzen.
Im angrenzenden Plattenbauviertel nahm die Situation gespenstische Züge an. Viele am Straßenrand stehende Anwohner bekundeten durch Klatschen oder Nicken ihre Zustimmung, während den Gegendemonstranten und Journalisten offen gedroht wurde. Sprüche wie „Weg mit linkem Gezeter – 9 Millimeter“ waren zu hören. Auch das freundliche Händeschütteln zwischen Rechte und Anwohnern zeigte, dass hier Übereinstimmung herrschte und man sich kennt. Die Demonstration hatte sich lose in verschiedene Blöcke gliedert, in den von Gitta Schüßler angeführten Ring Nationaler Frauen (RNF), die Freien Kräften Bautzen sowie die örtliche NPD. Rund zwei Drittel der Demonstranten waren organisierte Rechte, größtenteils aus der näheren Umgebung. Den Rest bildeten unorganisierte und bürgerlich gekleidete Menschen aus Bautzen und Ottendorf-Okrilla.
Im Plattenbauviertel nähe der Juri-Gagarin-Straße gab es dann die erste Sitzblockade von Gegendemonstranten. Nach längerer Diskussion mit Kommunikatoren und auf Drängen der Polizei erklärten sich diese schließlich bereit, direkt am Rand der Aufmarschroute, nur wenige Meter durch die Polizei von den Nazis getrennt, in ihrer Hör- und Sichtweite zu protestieren.
Auf der zweiten Kundgebung redeten der NPD-Landesvorsitzende Holger Szymanski und ein NPD- Kreisrat aus dem Vogtlandkreis. In den Reden wurde der angebliche Asylmissbrauch hervorgehoben, sowie behauptet dass die Aufmarschteilnehmenden die wirkliche Zivilgesellschaft darstellen würden. Abschiebungen müssten verstärkt durchgeführt werden, um Recht und Gesetz durchzusetzen. Die Verwaltungsgerichte seien aufgrund der Klagen gegen die Asylentscheidungen des BAMF (Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge) überlastet. Die beiden Redner widersprachen sich dabei innerhalb ihrer Beiträge, zum einen nannten sie die zu erwartenden Asylantragszahlen von 200.000, zum anderen sprachen sie von einem millionenfachen Asylmissbrauch. Außerdem wurde eine Sachsenweite Vernetzung verlangt, um gemeinsam gegen die Aufnahme Asylsuchender zu demonstrieren. Weiter forderten Sie die Abschaffung des Asylrechts und unterstelltem dem Sächsischen Ausländerbeauftragten Dr. Martin Gillo, dass es das „eigene“ Volk gegen ein „neues“ Volk austauschen wolle. Zu dem Punkt Überfremdung wurde der Leipziger „Süd-Osten“ angesprochen und sein vermeidlich hoher Migrantenanteil. In Ignoranz gegenüber der europäischen Abschottung wurde davon geredet, dass „jeder reingelassen“ werde. Es wurde die Bedrohung einer „Völkerwanderung aus Afrika“ oder von „Clans von Sinti und Roma aus dem Balkan“ konstruiert. Verbunden wurde dies alles mit der Ablehnung der EU und Deutschland wurde zum europäischer „Prügelknabe“ stilisiert. („Deutschland ist ein kleines Land“) NPD-Stadträtin Stamm hatte aufgrund der Verzögerung durch eine Blockade die Gelegenheit ergriffen ihre Rede des Auftaktkundgebung fortzusetzen und ihr klar nationalistisch-völkisches Weltbild zu zeigen. Neben den bereits von den Vorrednern aufgegriffenen Rassismen kritisierte sie das Verbot der Leugnung des Holocausts.
Bei der zweiten Blockade wenige hundert Meter weiter half laut Polizei „allerdings intensives Zureden und Angebote zur einvernehmlichen Lösung nicht. Hier mussten die Einsatzkräfte dann doch zupacken und trugen die Blockierer von der Fahrbahn.“[1] So friedlich wie in der Pressemitteilung der Polizei ging es jedoch nicht zu, denn es kam zu Rangeleien und es wurden auf fallende und am Boden liegende Blockierer gestoßen und geschlagen. Lediglich durch Glück kam es dabei wohl nur zu leichten Verletzungen. Außerdem wurde ein Fotograf tätig angegangen und verbal angegriffen, als er seinen Presseausweis vorzeigte. Der Pressesprecher der Polizei war anschließend nicht bereit weitere Fragen zu beantworten. Der Rest der Demonstration verlief ohne größere Vorkommnisse.
Die gestrigen Geschehnisse reihen sich ein in eine traurige Geschichte der rassistischen Mobilisierung im Landkreis Bautzen. Seit 2009 gehört die Stadt Hoyerswerda zum Landkreis, in der schon 1991 die Pogrome gegen Vertragsarbeiter und Geflüchtete anfingen, um eine „National Befreite Zone“ zu schaffen. Die Angriffe auf Asylsuchende und ihre Ausgrenzung setzen sich bis heute fort. In Hoyerswerda und Bautzen wurden Geflüchtete angepöbelt, bespuckt und angegriffen. Zeitweilig musste die Polizei die Kinder von Asylsuchenden in die Schule begleiten, um sie vor Übergriffen zu schützen.
Seit Beginn der Internetproteste gegen die Flüchtlingsunterkunft in Bautzen im Oktober/November 2013 haben dutzende Zeitungen und Nachrichtensender über die Asylsuchenden und die aktuelle Debatte in der Stadt berichtet. Darunter SZ, MDR, Focus, Tagesspiegel, FR, taz sowie die ZEIT. Gefruchtet hat dies offenbar wenig. Man sollte annehmen, dass sich die Lokalpolitik, insbesondere der Landkreis einsetzt, dem rechten Treiben Einhalt zu gebieten und für ein demokratisches und tolerantes Miteinander zu werben. Bisher wurde es jedoch von der Stadt Bautzen versäumt, ein breites Bündnis gegen rechts zu schmieden und damit den rassistischen Tendenzen zu begegnen. Es gab keine breitangelegte Informationspolitik, mit der die Bevölkerung über die Themen Flucht, Migration und Aufnahme Asylsuchender aufgeklärt wurde, um unbegründete Ängste und Vorurteile auszuräumen. Ganz im Gegenteil konnte die NPD mit Demonstrationen, Kundgebungen und Wortbeiträgen auf den wenigen Informationsveranstaltungen über Asylsuchende das Wissensvakuum in ihrem Sinne füllen. Das Ergebnis waren fünf Sitze für die NPD im Kreistag und zwischen 5,2 und 10,9 % in den Bautzener Wahlkreisen zur Landtagswahl. Hinzu kommen im Schnitt fast 10% für die AFD.
Auch am gestrigen Abend kam die Stadt nicht über eine diffuse Symbolaktion unter dem Motto „Wir lassen uns Bautzen nicht kaputt machen“ fernab der Naziroute hinaus. Auf der städtischen Website hieß es dazu: „Um ein Zeichen für Toleranz und Menschlichkeit zu setzen, wird die Stadt ab 17 Uhr die Kerzenscheinaktion ‚Helle Kerzen für offene Herzen“ an der ‚ Liebfrauenkirche organisieren. Passend zum diesjährigen Romantica-Motto ‚Lichtermeer‘ können die Kerzen an der Kirche aufgestellt werden“. Offenbar sorgt man sich mehr um das Image der Stadt, als um das Wohl der bedrohten Asylsuchenden.
Einzig das Bündnis „Bautzen bleibt bunt“ engagiert sich seit Monaten intensiv für die Geflüchteten. Für ihr Engagement erhielten sie bereits Anfang November den sächsischen Demokratiepreis in Leipzig. Sie hatten auch an diesem Tag Kundgebungen in Hör- und Sichtweite der Marschroute angemeldet.
Dank der antifaschistische Demonstrationen und der daraus resultierenden medialen Öffentlichkeit gelang es in Schneeberg, die Solidarisierung der lokalen Bevölkerung mit den Neonazis aufzubrechen. Die Zahl der Teilnehmer verringerte sich stetig, zuletzt beschränkte sie sich nur noch auf eine kleine Zahl von Neonazis und es kam zur Auflösung der regelmäßigen Protestes. Im Gegenzug gelang die Gründung eines Unterstützungsbündnisses für die Geflüchteten. In Bautzen dagegen scheint es noch schwierig zu werden. Der Moment der Empörung ist längst verflogen und die Entwicklung zeigt trotz umfangreicher medialer Berichterstattung eher eine Verschlechterung der Lage. Es bleibt die wage Hoffnung auf ein Umdenken der Kommunalpolitik und eine breite Beteiligung der ansässigen Bevölkerung an Gegenprotesten. Denn solange diese lieber den Abend beim Shoppen verbringen, als ein klares Zeichen gegen Rechts zu setzen und die Geflüchteten willkommen zu heißen, wird sich wenig ändern.
Auch der „sächsische Weg“ war am Samstag wieder klar erkennbar. Anstatt Wege zu suchen, eine Intervention der Zivilgesellschaft zu ermöglichen und gleichzeitig die Demonstrationsfreiheit der Rechten nicht zu beschneiden, wurde der Gegenprotest erneut massiv unterbunden. So konnten 600 Rechte den Tag wieder als Erfolg verbuchen und ihre rassistischen, nationalistischen und menschenverachtende Inhalte auf die Straße tragen.
[1] http://www.polizei.sachsen.de/de/MI_2014_32743.htm
Ein gemeinsamer Artikel von Caruso.Pinguin und Visual.Change