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Brauner Erlebnisfrühling in Thüringen

 

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Freie Bahn für rassistische Hetze

In Thüringen intensiviert die extreme Rechte ihre rassistische Mobilmachung. Zu diesem Zweck arbeiten Neonazis spektrenübergreifend und überwinden auch interne Grabenkämpfe.

Die Stadt Ohrdruf im Landkreis Gotha ist eine recht typische Kleinstadt im ländlich geprägten Thüringen, die vor allem als Wohnort Johann Sebastian Bachs bekannt ist. Traurige Bekanntheit errang die Kleinstadt aber auch durch eine rege extrem rechte Szene vor Ort. Immer wieder kam es in der Vergangenheit zu Gewaltattacken gegen Migranten und vermeintlich Andersdenkende, die für die Opfer oft mit teils schweren Verletzungen im Krankenhaus endeten. Die ehemals jugendlichen Neonazis sind älter geworden, doch auch wenn das Skinhead Outfit einer bürgerlichen Fassade gewichen ist: die Spuren sind in Ohrdruf nicht zu übersehen, wenn an einer Mauer meterlang der Spruch „Volkstod stoppen. Nationale Revolution!“ gesprüht wird. „Volkstod“ ist die beliebte völkische Chiffre der Neonazis für den „demographischen Wandel“, der angeblich das „deutsche Volk“ aussterben lässt.

02_volkstod stoppen_nationale revolution jetztKein Wunder also, dass die Neonazis die Diskussion über die Unterbringung von Flüchtlingen auch in Ohrdruf für ihre rassistische Mobilmachung nutzen. Organisiert in sozialen Netzwerken fanden bereits drei Kundgebungen gegen ein mögliches Asylbewerberheim auf dem Marktplatz der Bachstadt statt, obwohl der Stadtrat in der Frage der Unterbringung noch keinen Beschluss gefasst hat. Offenbar reicht die Aussage der Ratsmitglieder, in Ohrdruf solle eine „Willkommenskultur“ geschaffen werden, damit Ressentiments hochkochen und rassistische Stereotype gepflegt werden. Ein Verlauf wie aus dem Bilderbuch: die Gegner behaupten, die Meinung der Anwohner zu vertreten und kommunale politische Entscheidungen demokratisch verändern zu wollen, obwohl in Ohrdruf im letzten Jahr nur 52% der Wähler ihre Stimmen abgaben. Doch es reicht offenbar der Hinweis auf vermeintlich fehlende Mitbestimmungsmöglichkeiten wie die Tatsache, dass eine Stadtratssitzung nichtöffentlich stattfindet. Dabei hatte es sich lediglich um eine Informationsveranstaltung für die Ratsmitglieder gehandelt, auf der der Landrat des Kreises Gotha die aktuelle Situation erläuterte. Eine Entscheidung über die Unterbringung soll erst Mitte April fallen, der Stadtrat kündigte außerdem zeitnah eine öffentliche Bürgerinformation an. Vor dem Rathaus haben sich zu diesem Zeitpunkt etwa 25 Personen eingefunden, ein Teil von ihnen gehört zur organisierten Neonazi-Szene um das „Bündnis Zukunft Landkreis Gotha“ (BZLG) mit entsprechendem Outfit und Fahnen. Eine Woche später protestieren bereits 100 Personen vor dem Rathaus und mit einem Aufmarsch gegen eine mögliche Unterbringung in der Kleinstadt, als Redner tritt unter anderem der Neonazi und NPD-Landesorganisator David Köckert aus Greiz auf.

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David Köckert in Aktion

Anschließend schildert ein Ratsmitglied, „Wenn ich dem Herrn Köckert zuhöre, habe ich Bedenken, dass nicht gleich 1000 Paar Militärstiefel über Ohrdrufs Markt marschieren und das Rathaus im Fackelschein glänzt“. Rund 14 Tage später folgt in Ohrdruf an einem Samstagnachmittag die dritte Kundgebung mit anschließendem Aufmarsch. Die Straßen der Bachstadt sind leer, in der Innenstadt hat gegenüber vom Rathaus noch ein Supermarkt geöffnet, in dem sich überwiegend junge Männer mit Bier versorgen. Auf dem Marktplatz versammeln sich unterdessen die Unterstützer der Proteste gegen eine mögliche Flüchtlingsunterkunft. Am Schluss werden es etwa 50 Teilnehmer sein, unter ihnen erneut Neonazis vom BZLG mit ihren Fahnen in den Farben des deutschen Reichs oder in schwarz mit Aufschriften in Frakturschrift. Der erste Redner schwadroniert über einen bevorstehenden „Untergang unserer Identität und Tradition“, kritisiert publikumswirksam und populistisch „unfähige Politiker“, die den „Bezug zum Volk“ verloren hätten und kündigt einen Aufstand der „Patrioten des Landes“ an. Über den Platz, auf dem auch Flyer zum 1.Mai-Aufmarsch der Neonazis in Saalfeld verteilt werden, schallt das Vokabular der extremen Rechten, die sich als „besorgte Bürger“ tarnen. Dem schließt sich auch „Michaela aus Arnstadt“ an, die danach das Mikrofon ergreift, Unsicherheiten schürt und über Mutmaßungen sinniert. Bei Flüchtlingen stellt sie die zynische Frage „Was wollen die hier, haben die kein Zuhause“ und schließt mit dem Satz „aus wenigen werden viele, aus vielen eine Bewegung, aus einer Bewegung eine Revolution“. Damit greift sie eine Parole auf, die der NPD‘ler David Köckert bei den neun „Sügida“-Aufmärschen in Suhl neben dem „Wir sind das Volk“ mantrahaft herunter gebetet hatte. Die von Neonazis organisierten Kundgebungen und Aufmärsche von „Südthüringen Gegen Die Islamisierung Des Abendlandes“ waren die die größten Neonazi-Aufmärsche in Thüringen seit langer Zeit. Nun sind sie als wöchentliche Aufmärsche in wechselnden Städten in „Thügida“ aufgegangen, der auch die Organisatoren aus Ohrdruf offiziell beigetreten sind. Die extrem rechten Organisatoren hoffen, dass sie die Zahlen zwischen 300 und 1.000 Teilnehmer aus Suhl halten können und setzen beim ersten Probelauf auf die Landeshauptstadt Erfurt, wo nach Köckerts Aussagen „dieser ganze Schund und Unfug herkommt“. Auch hier hatte die NPD im vergangenen Jahr Station gemacht, als sie Asylbewerber zu ihrem Wahlkampfthema und landesweit Stimmung gegen Flüchtlingsunterkünfte gemacht hatte. Die Hetze wirkt offenbar, wie die Zahlen der „Mobilen Beratung für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen“ (ezra) zeigen. Demnach gab es 2014 landesweit in jeder Woche einen rechten Angriff, im Vergleich zum Vorjahr ein Anstieg um fast ein Drittel.

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Doch in Erfurt nahm mit 250 Teilnehmern nur knapp die Hälfte der angemeldeten Personen an Kundgebung und Aufmarsch in einem Plattenbaugebiet im Norden der Landeshauptstadt teil. Sie wollten an einem Gebäude vorbeimarschieren, in dem neben Flüchtlingen auch andere sozial Schwache untergebracht werden können. Sollte es noch Beweise für den extrem rechten Hintergrund von „Thügigida“ bedürfen, lieferten sie spätestens die Redner bei ihrer rund einstündigen Auftaktkundgebung. Der Gebietsleiter der „Europäischen Aktion“ (EA) in Thüringen, Axel Schlimper, erläuterte die Ziele des europäischen Dachverbands von Holocaust-Leugnern und erhielt dabei Unterstützung von dem Antisemiten und Holocaustleugner Rigolf Hennig, der 79-jährige aus Verden leitet die EA in Deutschland. Mit den Worten „Ich scheiß auf diese Willkommenskultur, die ist unnatürlich“ machte auch Martin Etzrodt aus Gera keinen Hehl aus seinem Rassismus. Als sich der Aufmarsch endlich in Bewegung setzt, wird er von lautstarken Protesten am Rand begleitet, während Köckert von seinem Sitz auf dem Lautsprecherwagen wettert. Immer wieder erschallen Sprechchöre wie „Lügenpresse“, „Volksverräter“ und „Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen“. Doch die von ihnen anvisierte Flüchtlingsunterkunft erreichen die Neonazis an diesem Tag nicht: nachdem schon kleinere Blockaden dazu geführt haben, dass der Aufmarsch anfangs eine andere Richtung einschlagen musste, blockieren etwa 300 Meter vor dem Gebäude knapp 300 Personen die Fahrbahn, so dass die Polizei den Neonazi-Aufmarsch zum Auftaktort zurück führt. Als Reaktion darauf kündigte Köckert aufgebracht und wütend „Thügida“-Aufmärsche für die kommenden acht Montagabende in der Landeshauptstadt an.

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Mit den gestiegenen Flüchtlingszahlen kehrt auch die rassistische Stimmungsmache zurück, deren Betreiber auf ein nicht geringes Potenzial in Thüringen bauen können. Nach den Ergebnissen des „Thüringen-Monitor“ für das vergangene Jahr glaubt knapp jeder zweite Befragte die Bundesrepublik sei „durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet“, mehr als jeder Dritte sagt „Die Ausländer kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen“ und knapp ein Drittel erklärt, „dass die Einwanderung aus Nicht-EU Ländern eine Gefahr für den Zusammenhalt in der EU darstellt“. Dabei nahm Thüringen 2014 lediglich knapp 2,8 Prozent der Asylsuchenden bundesweit auf. Weniger Flüchtlinge erreichten nur noch die Stadtstaaten Bremen und Hamburg sowie das Saarland und Mecklenburg-Vorpommern. Beim Anteil von Migranten an der Gesamtbevölkerung belegt Thüringen mit 2,2% bundesweit sogar den letzten Platz, der Bundesdurchschnitt liegt bei 8,95%. Doch diese Zahlen führen auch in Ohrdruf nicht zu einem Umdenken, wo die Veranstaltung nach einem ca. 40-minütigen Aufmarsch erneut auf dem Marktplatz endet, dieses Mal mit der Eröffnung eines „Bürgermikrofons“. Doch der bürgerliche Andrang ist übersichtlich: neben einem „Patrioten“ aus Arnstadt wirbt ein Mitglied des BZLG für einen Aufmarsch mit dem Titel „Überfremdung stoppen“ am 18. April im nahe gelegenen Gotha.

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Dies dürfte nicht die letzte Aktion in der rassistischen Mobilmachung in Thüringen sein. Kleinere Kundgebungen sind bereits in dieser Woche angekündigt. Zwar wechseln die Orte, doch der rassistische Grundtenor bleibt gleich: mit Worten wie „Asylantenflut“ und „Flächenbrand“ wird unmissverständlich gegen Flüchtlinge gehetzt, auch wenn sich die Organisatoren wie in Weida als „BürgerBündnis“ tarnen. Dabei ist dessen Gründer Sven M., keineswegs der besorgte Bürger als der er sich präsentieren möchte, sondern ein NPD-Mitglied aus Greiz, der bereits im letzten Jahr im Parteishirt neben dem extrem rechten Liedermacher Frank Rennicke posierte. Die sonst oft gespaltene extrem rechte Szene steht zusammen, wenn es um den rassistischen Grundkonsens ihres Weltbildes geht – dies zeigt auch der Aufmarsch in Erfurt. Während die extrem rechten Parteien NPD und „Dritter Weg“ über die zwei Aufmärsche zum 1. Mai in Thüringen streiten, verteilen Neonazis im Beisein von Mitgliedern des NPD-Landesvorstandes Flyer für den Aufmarsch des „Dritten Weg“ in Saalfeld. Die Ordnerdienste werden von Hanjo Wegmann vom NPD Kreisvorstand Erfurt – Sömmerda koordiniert, während Patrick Weber vom Landesvorstand die Teilnehmer mit einem Megafon anfeuert und über alldem das Banner der „Europäischen Aktion“ weht.