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Mehr als 200 Neonazis bei „Gedenken“ in Remagen

 

Mehr als 200 Neonazis zogen am Samstag durchs rheinland-pfälzische Remagen © Philipp Reichert

Zum neunten Mal in Folge haben Neonazis am Samstag einen „Gedenkmarsch“ in Remagen durchgeführt. Weil dort ein Gefangenlager der Alliierten existierte, ziehen sie jährlich durch die Kleinstadt im nördlichen Rheinland-Pfalz. Mehrere Bündnisse aus Parteien und Verbänden haben dagegen demonstriert.

Nach Polizeiangaben nahmen mehr als 200 Neonazis an dem Aufmarsch teil. Sie reisten überwiegend aus Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen an. Neonazis aus beiden Bundesländern hatten den „Gedenkmarsch“ organisiert.

„Diese Republik wird sterben“

Die Neonazis zogen quer durch Remagen zum Gelände des ehemaligen Gefangenenlagers. Wie in den Vorjahren führte dort der Neonazikader Ralph Tegethoff die „Totenehrung“ durch. Neben ihm hielten unter anderem Sven Skoda und Christian Häger kurze Redebeiträge. Beide mussten sich bis vor kurzem noch vor dem Landgericht Koblenz im Prozess gegen das „Aktionsbüro Mittelrhein“ verantworten – unter anderem wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung, Körperverletzung und Sachbeschädigung. Im Sommer platzte der Prozess wegen der „überlangen Verfahrensdauer“.

In seiner Rede bewegte sich Skoda selbstbewusst an der Grenze zu verbotenen Äußerungen: Immer wieder musste er sich selbst bremsen, um sich – wie er selber sagte – nicht strafbar zu machen. Dennoch fand er deutliche Worte über den „Gedenkmarsch“: Die Teilnehmer wüssten genau, dass der Aufmarsch in Remagen kein „Blick zurück, sondern ein Blick in die Zukunft“ darstelle. Es gehe darum, „die Anklage zu formulieren“, um „diese Republik zu Fall zu bringen“.

Ziel des alljährlichen „Gedenkmarsches“ in Remagen ist das Gelände des ehemaligen „Rheinwiesenlagers“. Dort zelebrieren die Neonazis die „Totenehrung“ © Philipp Reichert

„Den Opfern ein Gesicht geben“

Gegen den Aufmarsch demonstrierten nach Angaben der Polizei etwa 350 Nazigegner. Sie hatten unter anderem einen historischen Gedenkspaziergang, eine Gegendemonstration und einen Gottesdienst organisiert. Mit Plakaten protestierten sie entlang der Neonaziroute gegen das rechtsextreme Gedenken. Unter dem Motto „Den Opfern ein Gesicht geben“ erinnerte das „Bündnis Remagen“ zudem mit großen Fotos an die Opfern der Nazidiktatur. Nach Angaben der Polizei waren knapp 600 Polizisten im Einsatz, um Neonazis und Nazigegner zu trennen. Auseinandersetzungen gab es nicht.

Nazigegner haben überall entlang der Route Plakate aufgehängt © Philipp Reichert

Jährliches Gedenken an den Rheinwiesenlagern

Anlass für den rechtsextremen „Gedenkmarsch“ in Remagen sind die „Rheinwiesenlager“. Zum Ende des Zweiten Weltkriegs errichteten die Alliierten etwa 20 dieser Gefangenenlager entlang des Rheins, um die vielen deutschen Kriegsgefangenen unterzubringen. Nach Schätzungen von Historikern starben in den Lagern insgesamt knapp 10.000 Gefangene. Die Neonazis hingegen sprechen von einer Million. Diese Überhöhung der deutschen Opferzahlen gehört zum geschichtsrevisionistischen Umgang der extrem rechten Szene mit den historischen Ereignissen. Meist dient sie den Neonazis dazu, die Rolle von Tätern und Opfern zu vertauschen.

Neonazis aus dem Umfeld des „Aktionsbüro Mittelrhein“ hatten 2009 das erste Mal den „Gedenkmarsch“ in Remagen organisiert. Über Jahre etablierte sich der Aufmarsch als Event in der westdeutschen Naziszene. Er ist zudem die größte Neonazi-Veranstaltung dieser Art in Rheinland-Pfalz. Meist kamen zwischen 200 und 250 Neonazis nach Remagen.