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Zum Fremdschämen

 

Am Samstagabend war ich auf einer Geburtstagsparty. In der Kneipe, in der wir feierten, hatte ich keinen Handyempfang und so war ich, was bei mir selten genug vorkommt, fast vier Stunden offline. Als ich draußen wieder Empfang hatte, hatte ich über unterschiedliche Messenger viele neue Nachrichten: Diverse Leute wollen mit mir reden, aus Deutschland, Österreich und Großbritannien. Erst dachte ich, es sei irgendetwas Weltbewegendes passiert. Dann aber ging es doch nur um den Untergang eines Flaggschiffs der deutschen Fernsehunterhaltung.

Körpersprache und Gesichtsausdruck

Alle wollten wissen, ob ich Wetten, dass…? schaue und es auch so furchtbar finde, wie dort Markus Lanz mit Samuel Koch umgeht. Ich schaute mir auf der Heimfahrt Reaktionen auf Twitter an und es war schnell klar, dass das Interview mit Samuel Koch mehr als fragwürdig war.

Samuel Koch hat sich vor einem Millionenpublikum eine Querschnittlähmung zugezogen – in der gleichen Sendung, in der er nun wieder zu Gast war. Dass das keine einfache Situation werden würde, hätten sich Moderator und Redaktion denken können. Aber sie haben das Interview wie einen zweiten Unfall inszeniert. Die Fragen von Markus Lanz waren peinlich, zum Fremdschämen. Sie waren übergriffig und eines Moderators einer Samstagabendsendung unwürdig. Selbst wenn man den Ton ausschaltet und nur die Körpersprache des Moderators und den Gesichtsausdruck von Samuel Koch ansieht, sieht man: da läuft irgendwas gehörig schief.

Samuel Koch wollte über seine Schauspielprojekte reden. Markus Lanz fragte ihn lieber mehrmals, wie es ihm geht, um am Ende nach der Sinnhaftigkeit des Unfalls zu fragen. Solche Fragen bin ich auch gewohnt, normalerweise von irgendwelchen sektenartigen Predigern auf der Straße, die meinen, mich zu irgendetwas bekehren zu wollen, weil ich im Rollstuhl sitze. Die fragen auch immer, welchen Sinn es habe, dass ich nicht laufen kann. Manchmal sage ich solche Leuten auch, wie sehr sie mich nerven. Samuel Koch hatte da mehr Geduld als ich, aber sein Gesicht und die zögerliche Antworten sprachen Bände.

Das schlechte Gewissen der Nation

Man tut Samuel Koch keinen Gefallen damit, ihn zum personalisierten schlechten Gewissen der Nation zu machen. Von einem Moderator wie Markus Lanz kann man erwarten, Samuel Koch und alle behinderten Menschen in seinen Sendungen auf Augenhöhe zu begegnen. Dazu gehört, jemanden wie Samuel Koch nicht ungefragt ständig anzufassen, zu tätscheln und zu umarmen. Es war Samuel Koch sichtlich unangenehm.

Diese von Mitleid getriebene Behandlung von oben herab ist ungefähr das Gegenteil von dem, was jemand wie Samuel Koch verdient hätte: Respekt, so wie jeder andere Schauspieler, der bei Wetten, dass…? seinen Film bewirbt. Mitleid ist so gut wie immer das Gegenteil von Respekt, Mitleid findet nie auf Augenhöhe statt. Es ist zutiefst demütigend, wenn man merkt, der andere bemitleidet einen – vor allem in einer Situation, in der man voller stolz ein Projekt präsentieren möchte.

Erfolge statt Mitleid

Samuel Koch hat sein Studium erfolgreich beendet, spielt Theater, hat mit Til Schweiger gedreht und hat, wenn man der Klatschpresse glauben darf, gerade eine neue Freundin. Es hätte der Sendung gut zu Gesicht gestanden, über solche Dinge und Erfolge zu reden, anstatt eine Mitleidsshow abzuziehen. Das passt in die 1980er Jahre, als die Aktion Mensch noch Aktion Sorgenkind hieß. Markus Lanz hat versucht, aus Samuel Koch ein Sorgenkind zu machen. Es ist ihm nicht gelungen.