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„Barrierefreier Zugang? Wo sind wir denn?“

 

Der niederösterreichische Landeshauptmann Erwin Pröll sieht die österreichische Gastrokultur bedroht – durch die Vorgaben zur Barrierefreiheit. Allerdings musste er diese Woche lernen: Die Zeiten, in denen Politiker damit punkten konnten, dass sie Barrierefreiheit als Zumutung verteufelten, sind auch in Österreich vorbei.

In einer Sendung des ORF hatte der ÖVP-Politiker die Vorgaben des Bundes für die Länder verteufelt und bemühte dafür das Beispiel Barrierefreiheit:

„Und da sag ich Ihnen: Das ist ein Unding! Ständig von oben verordnen, manches Mal in hanebüchenen Vorgaben. Ich sage Ihnen, was sich da alles abspielt, das spottet jeder Beschreibung. Barrierefreier Zugang muss in Zukunft in jedem Gasthaus, in jedem Landwirtshaus investiert werden. Ja meine Damen und Herren, liebe Frau Chefredakteurin: Wo sind wir denn?“.

Hintergrund ist das österreichische Behindertengleichstellungsgesetz. Demnach müssen Gasthäuser barrierefrei umgerüstet werden, wenn das zumutbar und wirtschaftlich verhältnismäßig ist. Dafür gab es in Österreich eine zehnjährige Übergangsfrist. Nun läuft diese Frist ab – und plötzlich wachen so manche auf, die jahrelang dachten, sie müssten ja erst einmal nichts tun.

Viel Kritik

Die Reaktionen auf die Aussagen Prölls waren entsprechend kritisch. Die politischen Gegner waren empört, Behindertenorganisationen wie BIZEPS sprachen von Behindertenfeindlichkeit des Landeshauptmanns. Österreich habe die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert und sich zu Menschenrechten verpflichtet. Dazu gehöre auch, behinderten Menschen das Leben an der Gesellschaft zu ermöglichen.

Selbst aus den eigenen Reihen hagelte es Kritik, wenn auch etwas diplomatischer formuliert. Der Behindertensprecher der ÖVP, Franz-Joseph Huainigg, sagte:

„Ich gebe Erwin Pröll Recht, dass Gewerbebetriebe oftmals mit überschießender Bürokratie konfrontiert sind. Ich bedauere, dass in diesem Zusammenhang auch die Barrierefreiheit im Pressegespräch gefallen ist.“ Zur Erfüllung des Behindertengleichstellungsgesetzes habe es eine Übergangsfrist von zehn Jahren gegeben, wodurch sich die öffentliche Hand und die Privatwirtschaft auf die schrittweise Umsetzung der Barrierefreiheit gut einstellen konnte. „Ab 2015 muss nicht, wie ausgesagt worden ist, jedes Landgasthaus barrierefrei umgebaut werden, es gilt die betriebswirtschaftliche Zumutbarkeit. Insofern wird auch das Land Niederösterreich keine Probleme haben, diese Hausaufgabe zu erfüllen.“

Betrunken durch Barrierefreiheit

Nur ein Rollstuhlfahrer zeigt sich mit Pröll solidarisch. Der Videoblogger Martin Habacher bedankt sich in einer ziemlich ironischen Grußbotschaft an den Landeshauptmann dafür, dass er ihn mit der mangelnden Barrierefreiheit davor bewahrt, am Wochenende Dummheiten zu machen.

Die Barrierefreiheit eines Wiener Lokals habe bei ihm dazu geführt, dass er am vergangenen Wochenende erst am frühen Morgen betrunken nach Hause kam. Und dann war der ganze Sonntag weg, weil er sich von dieser Nacht erholen musste. Unter Erwin Pröll wäre das sicher nicht passiert.