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Werkstätten: kein Mindestlohn, keine Inklusion

 

Neulich bin ich beim Zappen bei einer Sendung in einem der dritten Programme aus einer Behindertenwerkstatt hängen geblieben. Der Moderator stellte im Laufe des Programms die einzelnen Bereiche der Werkstatt vor. Wenn ich mich recht erinnere, gab es eine Bäckerei und eine Wäscherei. Außerdem einen Bereich für Montagearbeiten. Es wurden irgendwelche Teile für eine namhafte Firma zusammengesteckt. Zudem zeigte man behinderte Menschen, die in einem Betrieb arbeiten, aber offiziell bei der Werkstatt angestellt waren. Irgendein Modellprojekt. Das sei Inklusion, verkündete der Moderator vollmundig. „Ist es nicht“, widersprach ich und schaltete weiter. Denn zuvor hatte man auch noch episch zu erklären versucht, warum die behinderten Mitarbeiter in der Firma nur die Werkstattvergütung bekämen und nicht bezahlt würden wie ihre nicht behinderten Kollegen.

Kein Mindestlohn

Menschen mit Behinderungen, die in Behindertenwerkstätten arbeiten, haben nicht einmal Anspruch auf Mindestlohn. Das hat gerade das Arbeitsgericht in Kiel entschieden (Aktenzeichen: 2 Ca 165 a/15).

Geklagt hatte ein behinderter Mann, der in einer „Werkstatt für Behinderte“ im Gemüseanbau tätig war. Er hat einen Grad der Behinderung von 70 und kann Auto fahren. Außerdem beliefert er zweimal wöchentlich Kunden mit Lebensmittelkisten. Laut Werkstattvertrag erhielt er eine Nettovergütung von 216,75 Euro monatlich für 38,5 Stunden Arbeit in der Woche. Das war dem Mann zu wenig, denn seiner Meinung nach läge wegen seiner Leistungsfähigkeit und seiner positiven Entwicklung unterdessen ein reguläres Arbeitnehmerverhältnis vor und kein „arbeitnehmerähnliches Arbeitsverhältnis“ mehr. Er habe aber nur einen, in seinen Augen, sittenwidrigen Stundenlohn von 1,49 Euro erhalten.

Er forderte für das Jahr 2014 einen angemessenen Lohn von sechs Euro und für 2015 die Zahlung von Mindestlohn. Doch das Arbeitsgericht stellte fest, dass die Bezahlung in dieser Höhe auch bei leistungsfähigen Mitarbeitern in einer Behindertenwerkstatt rechtens sei. Der Werkstattvertrag sei nicht sittenwidrig, da der Zweck (Eingliederung ins Arbeitsleben) im Vordergrund stehe.

Neue Konzepte statt Werkstatt

Ich glaube unterdessen, dass Behindertenwerkstätten der Inklusion behinderter Menschen eher schaden als nutzen, vor allem denen, die so leistungsfähig sind wie der Kläger. Wäre es nicht viel sinnvoller, er würde die Lebensmittelkisten für einen Betrieb auf dem ersten Arbeitsmarkt ausliefern, nachdem ihn jemand, der das kann und vom Staat dafür bezahlt wird, dazu angeleitet hat?

In dem oben erwähnten Programm fiel mir genau diese Problematik auf: Die Mitarbeiter in der Behindertenwerkstatt brauchen vielleicht länger, um bestimmte Tätigkeiten zu lernen, aber sie machen sie anschließend oftmals umso gewissenhafter. Dafür müssen sie aber nicht alle ihr Leben lang in einer Werkstatt für einen Hungerlohn arbeiten, sondern dafür bräuchte es Arbeitgeber, die sich auf eine längere Einarbeitungszeit einlassen (unter Umständen auch mit einem finanziellen Ausgleich dafür) und Angebote, die diese Einarbeitung leisten und gegebenenfalls wiederkommen, wenn sich die Arbeitsbedingungen ändern und neu geschult werden muss.

Mir ist selbstverständlich klar, dass nicht jeder Mensch mit Behinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt unterkommen kann und dass auch diese eine Tagesstruktur brauchen. Arbeit hat auch eine soziale Komponente. Aber ich habe unterdessen große Bedenken, ob wirklich jeder Mensch, der derzeit in einer Behindertenwerkstatt arbeitet, dort wirklich hingehört.

Wer mit Anleitung leistungsfähig ist, ist am Ende leistungsfähig und sollte dafür auch entsprechend entlohnt werden. Das wäre Inklusion. 216 Euro im Monat in einer Werkstatt sind es definitiv nicht.