Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Hurra, ein „Tatort“-Ermittler im Rollstuhl

 

Wer in 50 Jahren mal auf die Geschichte der Inklusion in Deutschland zurückblickt, wird über den ARD-Tatort Fünf Minuten Himmel am Ostermontag mit Heike Makatsch vielleicht sagen: „Und 2016 hatten sie endlich einen Tatort-Ermittler, der im Rollstuhl saß.“ Hurra! Endlich sind behinderte Menschen nicht nur Leichen und Mörder. Endlich haben wir es auf die gute Seite der Macht geschafft, auch im Tatort.

Nicht behinderter Schauspieler

Allerdings wurde auch diesmal – wie so oft, wenn behinderte Menschen im Film auftauchen – die Rolle mit einem nicht behinderten Schauspieler besetzt anstatt mit einem „richtigen“ Rollstuhlfahrer. Das ist vielleicht auch der Grund, warum der rollstuhlfahrende Kommissar immer nur im Büro zu sehen war und manchmal auch im Flur, aber nicht wirklich draußen an der frischen Luft. Ich tippe, das Freiburger Kopfsteinpflaster war der Grund. Denn das ist definitiv nur etwas für fortgeschrittene Rollstuhlfahrer mit guten Bandscheiben.

Aber immerhin, im Büro fährt er ganz gut. Außerdem passt der Rollstuhl zum Besitzer (gute Arbeit, Requisite!). Aber es ist, wie es immer ist: Der nicht behinderte Schauspieler  sitzt da drin, als gehöre der Rollstuhl nicht ganz zu ihm. Und das sieht man halt, wenn man sich ein wenig auskennt. Damit hat die ARD echt eine Chance verpasst, einen authentischen Charakter im Tatort zu etablieren. Dabei ist die Idee durchaus gut und sendet vor allem die Botschaft in die Welt, auch behinderte Menschen können einen qualifizierten Job machen und sogar Morde aufklären. Danke ARD, Bildungsauftrag erfüllt!

Rollstuhlfahrerin spielt Rollstuhlfahrerin

Auch in Großbritannien gibt es eine ähnliche Sendung wie den Tatort. Also zumindest ist Silent Witness für mich vergleichbar. Es wird getwittert und es werden mehr oder weniger spannende Fälle gelöst. Auch Silent Witness hat eine Rollstuhlfahrerin im Team. Es ist die Gerichtsmedizinerin Clarissa Mullery. Sie trägt oft wesentlich zum Lösen der Fälle bei und ist eine Charakterfigur in der Serie.

Gespielt wird Clarissa Mullery von Liz Carr, die nicht zuletzt als Comedian in Großbritannien bekannt wurde. Sie ist auch im wahren Leben Rollstuhlfahrerin und spielt die Rolle sehr authentisch. Nicht behinderte Schauspieler müssen viel Energie aufwenden, um einigermaßen gekonnt Rollstuhl zu fahren, behinderte Schauspieler können sich voll und ganz auf den Charakter der Rolle konzentrieren und das merkt man bei Silent Witness durchaus. Und noch etwas mag ich: Die Behinderung ist sehr selten ein Thema in der Serie, aber sie wird nicht versteckt und zudem realistisch dargestellt, denn sie ist ja echt.

Wenn Clarissa Mullery in ihr Mikroskop schaut, steht sie dafür zum Beispiel auf. Nicht alle Rollstuhlfahrer sitzen nämlich ständig, das kann man ruhig zeigen. Dass Mullery dabei etwas wackelig auf den Beinen ist, ist einfach realistisch.

Der „Tatort“ schafft das auch noch

Diese Form der Inklusion wird irgendwann auch der Tatort schaffen, da bin ich mir sicher. Und man wird in ein paar Jahrzehnten sagen: „Ja, und dann hatten sie 2018 auch endlich mal einen Ermittler, der nicht nur im Rollstuhl saß, sondern sogar von einem rollstuhlfahrenden Schauspieler gespielt wurde.“