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Zrräsch kommt von dreschen

 

Wenn schon Achtziger-Revival, dann richtig: Municipal Waste renovieren das Genre des Thrash Metal. Schnell, laut, und warum eigentlich ein Vergnügen?

Cover

 
Municipal Waste – Divine Blasphemer
 
Von dem Album: Massive Aggressive Earache 2009

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Weil die Musik schon so kurz ist, eine längere Einleitung: Ruth Köppler war Ansagerin der ARD, trug toupiertes Haar und lächelte immer sehr freundlich. Auch an diesem Vorabend 1990, als der Dokumentarfilm von Thomas Schadt laufen sollte – ein Porträt einer bis dahin wenig bekannten Musik, deren Tieäitsch vielen schon die erste Hürde ist: Thrash Metal.

Um die ungeübten Zuschauerohren zu warnen, eilte die Moderatorin voraus: „Zrräsch ist eine Mischung aus Heavy Metal, Rock und Punk.“ Es sei der „rebellische Ausdruck tiefer Unzufriedenheit, laut und aggressiv“. Über die Einschaltquoten von damals wissen wir leider wenig.

Aber wir kennen ein paar Namen. Slayer zum Beispiel, diese vier Kalifonier mit den infantilen Texten, die den blutigen Regen besangen und Bassdrumsalven salonfähig machten. Oder Metallica, ganz früher, bevor ihnen die Haare ausfielen und sie fortan Gebrauchsrock in Mehrzweckhallen trugen. Wer beklagt, wie wenig Einfluss Deutschland auf die Musik in der Welt gehabt habe, wem nur Kraftwerk einfällt, Can vielleicht und die Einstürzenden Neubauten, tja, dem sei gesagt: Im Thrash Metal galoppierte Deutschland vorneweg.

(Wer jetzt schnell zurück zu den Nachrichten will: bitte vorher noch auf’s Lied klicken!)

Davon erzählt auch Schadts noch immer sehenswerter Film Thrash Alten-Essen. Von ruhrscher Vorstadtödnis, den rußgeschwärzten Straßen, den Zechen und verlorener Hoffnung, aus denen Bands wie Kreator ihre Wut zogen. Bands, die das Genre fürderhin prägten. Tief in den Achtzigern war das. Und deren Schrecken fallen ja bekanntlich gerade wieder über die Musik her. Die Röhrenjeans, Neonfarben, Synthesizer, wie haben sie uns gefehlt! Und auch wer Thrash Metal vermisst hat, dem wird gegeben: Municipal Waste.

Befragen wir das Lexikon: „Mjunisippel“ spricht sich das und bedeutet städtisch. Städtischer Abfall also. Vier Musiker. Schlagzeug, Bass, Gitarre, nun, Sänger. Ihr viertes Album heißt Massive Aggressive, das Gesamtwerk kann man in anderthalb Stunden durchqueren. Im Schnitt kommt die Band in 90 Sekunden auf den Punkt und der Rezensent spätestens jetzt in akuten Notstand. Denn wie – außer schnell – lässt sich das beschreiben?

(Jetzt wäre der Zeitpunkt: Klicken Sie auf das Lied!)

Mit präzise vielleicht! Municipal Waste fegen durch die Lieder, ohne jemals einen Takt zu verschludern. Jedes kleinste Gitarrenornament sitzt an der richtigen Stelle, die Genauigkeit ist bemerkenswert in diesem tabularasenden Tempo. Punk ohne Gedröhn. Hardcore ohne die Manneshärte. Auf Massive Aggressive und, soviel sei gesagt, auf den vorigen Alben, wandern Zombies und allerhand B-Movie-Grusel durch die Texte. Diese sind weniger ernst als ironisch, mehr gebellt als gesungen. Ein Funke Sozialkritik aus der suburbanen Hölle steckt auch darin.

Freilich: Lärm kann man das im ersten Moment durchaus nennen. Das wäre verständlich. Tanzbar? Nö. Subtil? Auch nicht. Wer in jedem Musikstück ein Zitat von Bob Dylan erwartet, wird Municipal Waste vermutlich reizlos nennen. Anspielungsfrei. Stumpf. Weißderteufel.

Seit Jahren behauptet der feuilletonistische Stoßseufzer, Metal sei Deppenmusik. Dabei entzieht Heavy Metal sich bloß dem poptheoretischen Kleister, der die aberhundertsten Talkingheads-Wiedergänger in Musikmagazinen zusammenhält. Doch wer sich von eben diesem Anspruch frei macht, kann mit manch einer Metalplatte Stunden glänzender Unterhaltung erleben. Obendrein noch blendend sauber gespielt.

Municipal Waste erneuern den wütenden Ausdruck des Thrash, was – wieder hilft das Lexikon – „dreschen“ bedeutet, im wahrsten Sinn des Worts. Und ihr Elan kann wirklich ein Vergnügen sein, mit dem sie dieses in die Jahre gekommene Genre renovieren, es vom Staub deutscher Kohlegruben befreien, mit Witz und musikalischer Finesse.

Und damit dürften die Achtziger komplett sein. Wir warten nun auf Euro Dance im Radio.

(Klicken Sie schon, dann haben Sie es hinter sich!)

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