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Jukebox im Fegefeuer

Obacht, wenn der Tyrann mit der Snilepisk knallt! Die norwegische Truppe Kvelertak lässt den Black Metal auflodern, wie es lange nicht mehr zu erleben war.

© Stian Andersen
© Stian Andersen

Das Cover hat in der Redaktion einige Verwirrung ausgelöst. Die kunstbeflissenen Kollegen waren sich uneins, ob die nackte Frau inmitten von Tauben und Narzissen Weiter„Jukebox im Fegefeuer“

 

Galaktischer Pierrot

Über die Jahre (40): Klaus Nomi aus Essen wurde in New York berühmt. Als gepuderter Poptenor an David Bowies Seite sprang er drei Jahre lang durch die Clubs, bis zu seinem tragischen Ende am 6. August 1983.

Androgyn und android. Sein Gesicht schminkte er weiß, die Lippen schwarz. Ein Roboter mit onduliertem Haar. Klaus Nomis tragische Ruhmesgeschichte dauerte nur wenige Jahre. Vor 25 Jahren starb der deutsche Kontratenor, einsam und verarmt.

Eines der ersten berühmten Aidsopfer, so wird er oft genannt. Bekannt war er in Deutschland kaum, dieser Sänger, der sich anzog, als sei er aus Oskar Schlemmers mechanischem Ballett gesprungen. In New York war das anders. Selbst Rockmusiker erstarrten, wenn er auftrat. Punks begannen zu weinen. Das erzählt man sich immer noch.

Er war plötzlich da.

David Bowie hatte ihn entdeckt. Ähnlich wie Nomi war er gegen Ende der siebziger Jahre im Futurismus hängen geblieben. Bowie sah ihn in einem New Yorker Club: Mit hartem deutschen Akzent sang Nomi von der Kraft der Liebe, der Apokalypse, in Falsett – gekleidet wie Andy Warhols Version der Königin der Nacht. Wie von einem fremden Stern.

Doch er kam bloß aus Immenstadt, einem bayrischen Dorf, zwischen Kempten und Alpsee gelegen. Da hieß er Klaus Sperber. In Essen wuchs er auf. Als er zwölf war, griff seine Mutter versehentlich in seine Karriere ein. Sperber hatte sich eine Elvis-Presley-Platte gekauft. Seine Mutter schleppte ihn zurück zum Geschäft und tauschte das Album um. In eines von Maria Callas. Elvis und Callas, Pop und Oper. Der junge Klaus wollte beides und auf die Bühne. Statistenrollen in Essen, Gesangsausbildung in Berlin – dann kam er an die Deutsche Oper, als Platzanweiser und Fahrstuhlwärter. Singen mochte ihn in Deutschland niemand hören.

In New York erging es ihm zunächst ähnlich. Jedes Theater lehnte ihn ab. So wandte er sich einem Beruf zu, der ähnlich zuckrige Kunstwerke hervor bringt: Er jobbte als Konditor – bis Bowie kam. Es war die Zeit des New Wave, Sperber wurde zu Nomi und trat in der Samstagabendsendung Saturday Night Live auf. In Frischhaltefolie verpackt sang er mit Bowie zusammen. So wurde er berühmt. Rock, Oper, Disco – Nomi ein Anagramm von „Omni“, „alles in einem“. Ein galaktischer Pierrot! Mechanisch sein Tanz, sein Gesang manchmal schauderhaft. In die New Yorker Clubs passte er perfekt.

Die erste Single erschien 1980: Keys Of Life. Das erste Album Nomi folgte, sein zweites und letztes hieß Simple Man. Nomi sang Marlene Dietrichs Falling in Love Again, Henry Purcells Cold Song, er vermischte schrille Arien mit dem Keyboard getriebenen New Wave. Weltraumoper – selten passte dieser Begriff besser. Der deutschen Presse galt er lange als Kuriosität. Thomas Gottschalk lud ihn 1982 ein, in seine Sendung Na sowas.

Ein Jahr später kam die Krankheit. Das Aids-Virus hatte noch keinen Namen, da lag Nomi im Hospital und starb. Mit nur 39 Jahren. Seine Bewunderer kamen nicht ins Krankenhaus, sie hatten Angst, sich anzustecken. Vor drei Jahren verfilmte der Regisseur Andrew Horn eine posthume Würdigung: The Nomi Song. Bis dahin wussten wenige, was er hinter all dem Plastik und Puder verbarg: einen einsamen Menschen voller Lebensangst und Zweifel.

Das Debütalbum von Klaus Nomi ist im Jahr 1981 bei RCA erschienen und heute als CD über Sony BMG erhältlich.

Weitere Beiträge aus der Serie ÜBER DIE JAHRE
(39) GAS: »Nah und Fern« (Kompakt/Rough Trade 2008)
(38) Liquid Liquid: »Slip In And Out Of Phenomenon« (2008)
(37) Nick Drake: »Fruit Tree« (1979)
(36) The Sonics: »Here Are The Sonics!!!« (1965)
(35) dEUS: »In A Bar, Under The Sea« (1996)

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Sekt auf Schweiß

Der Berliner Alec Empire spielt Rock ohne Gitarren. Das Wummern der Synthesizer auf „The Golden Foretaste Of Heaven“ bringt sogar den binären Code zum Tanzen.

Alec Empire The Golden Foretaste Of Heaven

Null und Eins treffen sich im Club.
Eins: „Wer spielt denn?“
Null: „Alec Empire. Kennst du den?“

Wie aus dem Nichts tritt ein Musikkritiker hinzu.

Kritiker: „Wenn ich mich kurz einmischen darf …“
Eins: „Na, wenn’s denn sein muss.“
Kritiker: „Danke. Also, früher hat er bei Atari Teenage Riot gespielt, einer Radauband aus Berlin. Unhörbar, sag ich euch. Ein Chaos aus digitalem Lärm und Gekreische, dabei verdampften Gehirnwindungen und Schaltkreise. Ein bisschen Punk und viel Techno. Seit fünf Jahren macht er allein Musik und hat Dutzende anderer Musiker produziert. Irre.“
Eins: „Aha.“

Die ersten Töne von New Man scheppern los. Klotziger Takt, rotzige Klänge, es klingt gar nicht nach Techno.

Null: „Das ist jetzt aber rockig. Sind das E-Gitarren?“
Kritiker: „Nein, nein, er benutzt keine Gitarren. Das sind alles Synthesizer. Russische.“
Alec Empire: „Keep on Dancing.“

Die Stimme sägt aus den Lautsprechern, Ice heißt das nächste Lied, „Three Strokes of A Razor“, singt Empire. Der Musikkritiker postuliert, das klinge nach dem englischen Rock’n’Roll der Siebziger, und die Melodie sei von Gary Numan abgekupfert. Aber niemand hört ihm zu.

Dann steht er an der Bar. Versucht jemanden zu beeindrucken. Digitales Kreischen legt sich über den Saal, die Musik wird langsamer. Fast kuschelig, würde es nicht stets fiepen, von oben, von unten, von überall her. Kleine Stromschläge durchzucken 1000 Eyes. Sieben Minuten lang.

Kritiker: „Eigentlich heißt er ja Alexander Wilke. Hat mit 14 angefangen mit Musik, erst Gitarre, dann Computer, erst Charlottenburg, dann London. Jetzt ist er 35. Wollte damals den Techno politisieren, das waren die Neunziger. Inzwischen ist er viel braver geworden, das hat alles Rockstruktur, Strophe und Refrain. Weißt du, das ist eigentlich eine Liebesplatte! Keine Rebellion mehr, keine Parolen, wie damals mit Atari Teenage Riot. Zehn Lieder, neunmal geht’s um Frauen, einmal um Satan. Das hab ich recherchiert.“
Jemand: „Waaas?“

Ein elektronischer Rhythmus schlägt Purzelbäume, rast über schrille Tonflächen, stolpert nie. Das Schlagzeug stampft dahinter. Down, Satan, Down.

Alec Empire: „Come on Satan, drag me down! Down!“
Satan: „Oh yeah.“

Schweiß tropft über die Knöpfchen auf der Bühne. Null und Eins tanzen und zappeln, sie können nicht schwitzen, sind ja nur Zahlen. Die Bässe von On Fire dröhnen in die Lendengegend, beinahe ist das glitzernder Glam-Rock. Eins und Null trinken Sekt auf Eis. Das passt am besten.

Alec Empire (noch verzerrter): „We make love for hours and hours.“
Hormone: „Sind wir zu spät?“
Null: „Gerade richtig, jetzt kommt Robot Love. Das pluckert ganz entspannt.
Eins: „Kenn ich! Das war eine Single im vergangenen Jahr.“
Kritiker: „Ja, das war die erste Platte auf seinem Label Eat your Heart Out.“

Später am Abend. Null und Eins trinken um die Wette, schwitzen jetzt auch, sind aus der Puste. Der Musikkritiker sitzt beseelt am Tanzflächenrand. Bug On My Windshield wummert unerbittlich. Wütend schwillt es an, der Synthesizer pfeift dazwischen. Es hat nicht viel Text.

Alec Empire: „You’re a bug on my windshield.“
Null: „Jaja, Liebesplatte, jaja.“
Kritiker: „Wartet doch den nächsten Song ab. No/Why/New York, eine Ballade. Dazu könnt ihr schwofen.“
Eins: „Aber nicht mit dir.“

Die Hormone holen ihre Jacken, hier gibt’s nichts mehr zu tun. Die Musik geht von vorne los.

Sonne: „Ich geh jetzt auf.“
Alle: „Uns doch egal.“

„The Golden Foretaste Of Heaven“ von Alec Empire ist als CD und Doppel-LP bei Eat Your Heart Out/Cargo erschienen.

Weitere Beiträge aus der Kategorie ROCK
Neil Young: „Dead Man“ (Vapor Records/Warner Music 1996)
Karate: „595“ (Southern Records 2007)
Nevada Tan: „Niemand hört dich“ (Vertigo/Universal 2007)
Codeine: „The White Birch“ (Sub Pop 1994)
Porcupine Tree: „Fear Of A Blank Planet“ (Roadrunner Records/Warner 2007)

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Freudlos glücklich

Über die Jahre (26): Anfang der Neunziger bremsten Codeine die Rockmusik. Schleichend, tranig und zäh wirkt ihr klingendes Schmerzmittel an trüben Tagen

Codeine White Birch

Sonntag. Auch nicht immer schön. Draußen rauscht der Herbst heran, der Wind rüttelt an Fenstern, Regen trommelfeuert aufs Dach. Die Tage sind kürzer und die Nächte kälter. Man liegt im Bett schweren Mutes und Kopfes und wünscht sich, jemand möge endlich den intravenösen Bali-Urlaub erfinden und das sofort. Drumherum bläht sich das Leben auf. Sieht finster aus: Der Kaffee ist alle, die Heizung steht auf drei, statt Tatort Kommunalwahl, und wo ist das ganze Geld geblieben? Und, schrecklassnach, mit wem ist eigentlich die Liebste gestern abend abgezogen? Schnell die Bettdecke über den Kopf. Doch zuvor zum Plattenspieler.

Denn es gibt sie, die entsprechende Musik zu solchen Momenten. Das Trio, das sie spielt, kommt aus New York und könnte nicht besser heißen: Codeine. Wie das Schmerzmittel. Nur rezeptfrei. Auf dem Beipackzettel sollte stehen: Bitte alleine hören, bittebitte in moderater Dosierung und bittebittebitte niemals in glücklichen Augenblicken einnehmen. Das geht schief. Am Schluss folgender Nachsatz: „Die Platte gehört so, also Finger weg vom 45-Knopf!“

Sie sind wirklich bedächtig, gemächlich, kriechend, säumig, schläfrig, schleichend, schleppend, stockend, tranig, zäh, zaudernd, zögernd. Auf diese Weise bremsten Codeine den Rock, der ehedem besinnungslos im Grunge taumelte. Das war 1991. Sie schafften nur zwei Alben. Nach ihnen kamen Bands wie Slint, Low oder June of 44. Die Stücke auf Codeines letztem Album The White Birch aus dem Jahr 1994 sind nicht bloß ein paar Rocknummern in Zeitlupe, sondern wohl durchdachte Spiele mit der Weitläufigkeit.

Ihre Kompositionen sind luftig, oft vergeht viel Zeit zwischen einem Snare-Schlag, einem zart gestrichenen Becken, einem Akkord. Dazwischen brummt der Bass von Stephen Immerwahr. Er singt. So bedächtig die Töne inszeniert sind, so sparsam ist er auch mit Worten. Keine Liedtexte, eher Textminiaturen. Das Siebenminutenlied Sea besteht aus acht Sätzen, die Immerwahrs nasale Stimme singt, die immer etwas beiläufig klingt – man möchte beinahe sagen: resigniert. Als quäle auch ihn ein Brummschädel. Er dehnt sie, die Silben, oft über einen ganzen Takt, eine Ewigkeit, hinein in den Nachklang des Schlagzeugs und der Gitarre, die mal wieder pausiert.

Aufmunternde Worte findet er nicht. Nur Ernüchterung. „Now things taste kind of bitter. Two muddy shoes far from home, far from home“, singt Immerwahr im schütteren Loss Leader. „Can’t watch the trees, can’t go outside, don’t go outside“, heißt es in Ides. Der Hörer steckt den Kopf kurz heraus aus der Bettdecke und denkt: Ich auch nicht.

Die Uhr tickt, die Platte knistert, und trotzdem steht die Zeit. Es knallt die Snare, der Bass schnarrt, die Gitarre schallt. In Moll trottet das Trio durch neun Lieder. Gesenkten Blicks. Immer? Fast. Denn plötzlich schäumen sich die Töne auf, raus aus dem Standgas, der Verzerrer wird zugeschaltet, das Becken schneidet, da brandet etwas hoch, lauter wird’s, fast zornig, gleich platzt es, da geht was zu Bruch, kommt die Katharsis, der erlösende Refrain, das Pathos, Schalala-Dur, jetzt, jeeeetzt, jeeeeeeetzt – und:

Pffffff. Alles angetäuscht. Schaumschlägerei. Das Lied fällt in sich zusammen, franst erneut aus, es geht wieder zurück in die repetitiven Klangmuster. Die Snare knallt, das Becken haucht, die Gitarrenklänge irrlichtern durch den verschneiten Birkenwald auf dem Plattencover.

Im Bett wieder Ruhepuls, Sonntagspuls. Man zieht die Decke höher.

Vor die Tür kann man ja auch morgen.

„The White Birch“ von Codeine ist im Jahr 1994 bei Sub Pop erschienen.

Weitere Beiträge aus der Serie ÜBER DIE JAHRE
(25) The Smiths: „The Queen Is Dead“ (1986)
(24) Young Marble Giants: „Colossal Youth“ (1980)
(23) Sister Sledge: „We Are Family“ (1979)
(22) Rechenzentrum: „The John Peel Session“ (2001)
(21) Sonic Youth: „Goo“ (1990)
(20) Flanger: „Spirituals“ (2005)
(19) DAF: „Alles ist gut“ (1981)
(18) Gorilla Biscuits: „Start Today“ (1989)
(17) ABC: „The Lexicon Of Love“ (1982)
(16) Funny van Dannen: „Uruguay“ (1999)
(15) The Cure: „The Head On The Door“ (1985)
(14) Can: „Tago Mago“ (1971)
(13) Nico: „Chelsea Girl“ (1968)
(12) Byrds: „Sweetheart Of The Rodeo“ (1968)
(11) Sender Freie Rakete: „Keine gute Frau“ (2005)
(10) Herbie Hancock: „Sextant“ (1973)
(9) Depeche Mode: „Violator“ (1990)
(8) Stevie Wonder: „Music Of My Mind“ (1972)
(7) Tim Hardin: „1“ (1966)
(6) Cpt. Kirk &.: „Reformhölle“ (1992)
(5) Chico Buarque: „Construção“ (1971)
(4) The Mothers of Invention: „Absolutely Free“ (1967)
(3) Soweto Kinch: „Conversations With The Unseen“ (2003)
(2) Syd Barrett: „The Madcap Laughs“ (1970)
(1) Fehlfarben: „Monarchie und Alltag“ (1980)

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Das Haupt wie Senkblei

Weinst du noch oder tanzt du schon? „An End Has A Start“ heißt das zweite Album der Editors. Darauf betten sie düstere Lyrik in diskotauglichen Rock.

Wie sieht wohl der Proberaum der Editors aus? Fast dunkel wird er sein, in einer Ecke stottert eine Neonröhre, Kälte ist an die Wände gefliest und wahrscheinlich regnet es rein. Ganz leicht. Tropf, Tropf. Anders ist die Gemütslage der vier jungen Musiker aus Birmingham kaum zu erklären.

Vor zwei Jahren war es, da erzählten sie aus dem Back Room – düstere Rockstücke, (sch)mollende Gitarren, Schicht für Schicht aufgetragen, ein Grummelbass, unruhiges Schlagzeug, und über all dem hallte der Bariton von Tom Smith, dass gar den ärgsten Frohnaturen das Haupt wie Senkblei wurde. Tod, Leben, sie liebt mich, sie liebt mich nicht, und alles von vorn.

Ihr neues Album beginnt dort, wo sich Leben und Sterben, Willkommen und Abschied treffen: vor dem Krankenhaus bei einer Zigarette. Uff. Smokers Outside The Hospital Doors heißt das erste Lied von An End Has A Start, zugleich die erste Single. Das Schlagzeug stapft los, ein Klavier setzt ein, eine zaghafte Ouvertüre bloß – und da ist er plötzlich wieder, dieser sterile Klang. Da fiept keine Rückkopplung, trieft kein brunftiges Rockgeschwitz. Die Musik ist simpel und schwarz lackiert. Sie ist klinisch rein. Wie ein Stationsflur.

Die Gitarren schrauben sich in klirrende Tonhöhen, der Bass bebt, ein Keyboard schleicht sich heran. Manchmal ist sogar Dur dabei. „Say goodbye to everyone you have ever known, you are not gonna see them ever again”, singt Tom Smith zu Beginn. Das ist natürlich Kitsch. Häufig wird es pathetisch: “Lift the weight of the world from my shoulders again”, heißt es in The Weight Of The World. Peinlich klingt es nie. Die Editors jammern nicht. Nüchtern tragen sie ihre Düsternis vor. Allenthalben durchaus diskotauglich, wie im Titelstück der Platte oder in Bones. Ein Offbeat-Schlagzeug treibt sie an, flott schwirren die Melodien. Weinst du noch oder tanzt du schon? In solchen Momenten weicht die dräuende Stimmung aus der Musik.

Doch es fällt schwer, die zehn Stücke nacheinander zu hören. Die Hälfte sind Balladen. Dann liegt ein schwerer Samtvorhang auf Tom Smiths Stimme, der kaum Licht durchlässt. Nur dann und wann mal ein kleiner Schimmer Hoffnung, höchstens purpurrot. Am Ende versinkt das Album in ewiger Finsternis. Well Worn Hand, dem Wehklagen eines Verlassenen. „I don’t want to go out on my own anymore / I cant face the night like I used to before / I’m so sorry for the things that they’ve done / I’m so sorry about what we’ve all become.” So entlassen sie den Hörer in den kommenden Sommer. Herrlich.

„An End Has A Start“ von den Editors ist als LP und CD erschienen bei PIAS/Rough Trade

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Tomahawk: „Anonymous“ (Ipecac 2007)
Battles: „Mirrored“ (Warp/Rough Trade 2007)
Arctic Monkeys: „Favourite Worst Nightmare“ (Domino 2007)
Dinosaur Jr.: „Beyond“ (PIAS 2007)
Maximo Park: „Our Earthly Pleasures“ (Warp 2007)

 

Calypso aus Sheffield

“Favourite Worst Nightmare” von den Arctic Monkeys ist in seinem tropischen Mittelteil neu und gut. Der Rest klingt, als kopierten sie sich bloß.

Arctic Monkeys Favourite Worst Nightmare

Lieber Leser,

Geschichten über die Arctic Monkeys sind mühsam zu lesen und noch mühsamer zu schreiben. Denn die Erfolge der Rockband aus Sheffield werden seit einem Jahr immer wieder durchgekaut. Daher vorweg: In diesem Text wird nicht über Web 2.0 geredet. Nicht über Internetdownloads. Nicht über Verkaufszahlen britischer Debütalben. Auch nicht über das Alter der Band. Und MySpace? Vergessen Sie’s! Falls Sie, lieber Leser, mehr über diese Themen wissen wollen, klicken Sie einfach hier. Oder hier. Dort dürften Sie fündig werden. Es wäre nett, würden sie danach hier weiterlesen. ––

Wieder da? Wie schön. Sie wollen jetzt sicher wissen, wie das neue Album Favourite Worst Nightmare klingt. Es beginnt stürmisch. Ein Trommelfeuer, der Bass schnarrt und die Gitarre klingt, als werde sie mit rostigen Nägeln gespielt. Brianstorm heißt das Lied. Der Sturm legt sich bald, Struktur kommt ins Lied, ein körniger Basslauf treibt es an. Aber die Stimme? Ein Verzerrer malträtiert den Yorkshire-Akzent des Sängers Alex Turner. Es rauscht und krächzt. Die Silben sind schwer zu verstehen. Aus „don’t“ wird „dun“, „something“ wäscht aus zu „summat“.

Ruppig geht es weiter. Kaum ein Lied ist länger als zweieinhalb Minuten. Ein kantiger Bass baut das Grundgerüst. Simple Muster spielt er, sie klingen nach gut abgehangenem Funk und ein bisschen nach Punk. Vier Lieder lang donnern die Arctic Monkeys furios, als hätten sie keine Lust mehr, über Disko-Plattenteller gescheucht zu werden. Und diese ständigen Rhythmuswechsel, dazu kann kein Mensch tanzen. Der Schlagzeuger soll Box-Unterricht genommen haben, damit seine haarsträubenden Wirbel ihn nicht aus der Puste bringen. Mit dem fünften Stück wird’s milder auf Favourite Worst Nightmare.

Ein tropischer Wind bläst durch Sheffield. Palmen wiegen sich zwischen Thatcher’schen Zweckbauten, lässige Gitarren kehren ein: Fluorescent Adolescent gerät zu einer schwelgenden Calypso-Nummer. Es folgt Only Ones Who Know, eine Ballade! Ein bisschen missglückt kräht der mehrstimmige Gesang, aber hat man so was erwartet? Und dass der rotzige Alex Turner plötzlich Sätze singt wie: „True romance can’t be achieved these days“? Nein, oder? Das wehmütige Do Me A Favour beschließt die Ruhephase. Es ist das schönste Lied des Albums. „Do me a favour and unbreak my nose“, fleht Turner und jetzt könnte die Platte zu Ende sein. Aber nein. Kurzes Luftholen, bevor der Verzerrer wieder zugeschaltet wird. Aufs Neue schrubben die Gitarren los. Schade.

In den schnellen Stücken fällt zuweilen auf, wie sehr sie sich ähneln – und wie sehr sie denen des vorigen Albums ähneln. Natürlich, sie sind besser aufgenommen. Der jugendliche Ungestüm von vormals klingt nun kalkuliert. Sie mühen sich nach einem zweiten „I Bet You Look Good On The Dancefloor“, doch es wirkt, als imitierten sie sich selbst. Und das in diesen jungen Jahren! Immerhin, der Mittelteil des Albums weckt Hoffnung. Und vielleicht ist ihr nächstes Album ja eines für lauschige Stunden? Ohne Wut und Rebellion. Das wär doch was.

„Favourite Worst Nightmare“ von den Arctic Monkeys ist erschienen bei Domino/Rough Trade

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Dinosaur Jr.: „Beyond“ (PIAS 2007)
Maximo Park: „Our Earthly Pleasures“ (Warp 2007)
!!!: „Myth Takes“ (Warp/Rough Trade 2007)
The Fall: „Reformation! Post-TLC“ (Slogan/Sanctuary 2007)
Arcade Fire: „Neon Bible“ (City Slang 2007)

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Liedgewordene Diddlmäuse

Als Sechzehnjähriger war Kim Frank der Sänger der Jungsgruppe Echt, danach knickte seine Karriere ab. Mit den zwölf triefenden Liedern seines Soloalbums „Hellblau“ will er sich nun wieder ganz nach oben singen

Kim Frank Hellblau

Rund zehn Jahre ist es her, dass die Schülerband Echt in der Flensburger Fußgängerzone entdeckt wurde. Kurz darauf füllten die fünf Knaben Mehrzweckhallen, sie waren die erste erfolgreiche Jungsgruppe aus Deutschland. Ihre Stücke klangen wie liedgewordene Diddlmaus-Karten. Wir habens getan, Junimond oder Du trägst keine Liebe in dir – Echt schrieben die Musik zur Pubertät. Scharen liebeskranker Schülerinnen warfen bei Konzerten Teddys und riefen Kinderwünsche auf die Bühne – wie bei Take That. Meist handelten die Mädchenträume von dem Sänger Kim Frank, damals süße 16 Jahre alt. Er war so brav wie Heintje und gab sich verwegen wie Robbie Williams, für eine kurze Zeit war er ein Star.

Bereitwillig gab er in Interviews Auskunft über die Mädchen, mit denen er schlief. Hunderte sollen es gewesen sein. Alle habe er geliebt. Kurz nach dem 11. September blamierte er sich bei Harald Schmidt mit dem Bekenntnis, er interessiere sich nicht für Politik und wisse noch nicht einmal, wo Taliban liege. Er lief nackt über die Reeperbahn und wunderte sich, tags darauf auf dem Titel der Bild zu stehen. Einige verglichen ihn mit Rio Reiser.
Nach Echts finalem Album Recorder begann Franks Absturz: Die Platte wollte keiner haben, die Hallen blieben leer, und die Band war weg. Irgendwann auch das Geld, verzockt, verlebt, vertrunken. Sein feudales Landhaus musste er verkaufen, gar seine ehemals treue Begleiterin Bravo wandte sich ab. Auf dem Starschnitt waren inzwischen andere. Schließlich ging auch die Freundin des Sängers. Vorbei-bei-bei war die Popkarriere. Er begab sich in Behandlung, geplagt von Magenproblemen. Hernach erzählte er, er plane ein Soloalbum mit Liedern über all das, was in seinem Notizbuch „Kims Kladde“ stehe. Nichts passierte. Zwischenzeitlich spielte er in Leander Haußmanns Film NVA einen jungen Soldaten, fiel aber nicht weiter auf. Immerhin war es ein Lebenszeichen, ein schüchternes Winken aus der „Was macht eigentlich …?“-Ecke.

Jetzt ist Kim Frank 24, seine Platte fertig. Sie „soll verdammt noch mal durch die Decke gehen“, sagt er. Hellblau heißt sie, die zwölf Stücke darauf findet er selbst „unglaublich kraftvoll“. Seine Musik sei die beste in Deutschland, sagt er der Süddeutschen Zeitung. Es lebe der Größenwahn.

Zum „Prinzen der Melancholie“ kürte ihn unlängst die MAX, das „Magazin für Popkultur und Style“. Kim Frank bemüht sich, standesgemäß zu dichten: „Immer erst am Morgen verfliegen meine Sorgen, die Sonne geht auf und ich fühle mich hellblau“, singt er im Titelstück. Das klingt eher nach Ausnüchterung, denn nach neuer Lebensfreude. Ungelenk muten seine Zeilen an. In seinen Texten verwechselt er häufig Banales und Tragisches miteinander. Im Stück Berlin hört man, die Verflossene lebe nun in einer Zwei-Zimmer-Wohnung und versuche sich als „Darstellerin“. Bei Zeilen wie „Sie richtet ihr Leben ganz arrogant nach sich“ dürfte Franks ehemaliger Deutschlehrer wohl die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Da fällt es schwer, auf die Musik zu achten. Die klingt wohl komponiert, aber beliebig. Von Streichern getragene Balladen, hie und da ein bisschen Brusthaar-Rock, fernes Orchestergetöse. Von „großer deutscher Popmusik“ – wie Frank sein Werk lobt – keine Spur.

Bald steht er wieder auf der Bühne. Wie viele Mädchen dann noch kreischen, wird man sehen. Kim Frank freut sich darauf: „Live spielen ist wie Sex. Das hat mir sehr gefehlt.“ Äh, was genau?

„Hellblau“ von Kim Frank ist erschienen bei Universal

Hören Sie hier einen Ausschnitt aus dem Stück „Berlin“

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Monta: „The Brilliant Masses“ (Labelmate/Klein 2007)
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Brazilian Girls: „Talk To La Bomb“ (Verve 2007)
Milenasong: „Seven Sisters“ (Monika 2007)

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Gealterte Jungs

Take That sind zurück und besingen die „Beautiful World“. Nach zehnjähriger Trennung tragen sie ein paar nette Popliedchen souverän vor

Take That - Beautiful World

Take That waren die erfolgreichste Jungsband der neunziger Jahre. Viele Mädchen erlebten ihre Pubertät unter Postern der fünf Briten. Sie sahen adrett aus, konnten tanzen und singen. Ihre Lieder hießen Could It Be Magic, Babe und Everything Changes. Sie sangen für Prinzessin Diana und improvisierten mit Elton John. Ganz gleich, was sie taten, sie hatten Erfolg. Bis nach vier Jahren einer von ihnen plötzlich Rocker werden wollte.

Der Ausstieg von Robbie Williams war eine Katastrophe für die Anhängerinnen. Manche kamen tagelang nicht zur Schule, Telefonseelsorger pflegten zertrümmerte Mädchenseelen in aller Welt. Nach der Neuinterpretation des schwülstigen Bee Gees-Klassikers How Deep Is Your Love war auch für die vier übrigen Sangesbrüder Schluss, fortan gingen sie getrennte Wege. Freunde wollten sie bleiben, hieß es. Nur mit Williams hatten sie sich überworfen. Der zechte inzwischen mit den Rockern von Oasis die Nächte durch und wurde berühmter, als er es mit Take That je hätte werden können.

Gary Barlow komponierte sich einen Hit und paar Tanzlieder für unbekannte Diskogruppen. Mark Owen nahm drei Solo-Platten auf, die kaum jemanden interessierten. Jason Orange turnte über Englands Kleinkunstbühnen. Und Howard Donald stand wieder in englischen Clubs herum und tat das, was er schon zu Bandzeiten am besten konnte: gut aussehen und ergeben schweigen. So vergingen zehn Jahre, und das war irgendwie auch in Ordnung.

Vorigen Herbst dann der Aufmarsch der Gescheiterten. Auf einer Pressekonferenz, umgeben von mittlerweile älter gewordenen Fans, verkündeten die vier Musiker, dass sie – kreisch – wieder zusammen – doppelkreisch – musizieren wollten. Die ersten Konzerte waren nach einer Stunde ausverkauft. Robbie Williams hatten sie auch gefragt, ob er mitkommen wolle. Er lehnte ab und spottete auf seiner eigenen Tournee über seine ehemaligen Weggefährten.

Die ersten Presse-Fotos zur Vereinigungskampagne zeigen nun vier Männer, die eine Küstenstraße entlangschreiten, drei von ihnen mit wallenden Mänteln und Haaren. Ein Zeugnis bemühter Emanzipation vom alten Erscheinungsbild. Sieht so eine gealterte Jungsband aus? Von einer „atemberaubenden neuen Single“ schwärmt die Plattenfirma. Patience heißt sie und schwappte kürzlich auf den Vorweihnachtsmarkt. Eine Woche später erscheint nun das Album Beautiful World.

Die Stimmen von Barlow, Owen, Donald und Orange schwelgen in Hall und Melancholie, während sie Liebe, Schmerz und Glück verhandeln. Die Stücke werden souverän vorgetragen, Musik und Text klingen gelegentlich wie aus einem Popbaukasten zusammengezimmert: Akustische Gitarren und zartes Klaviergeklimper tragen sie, erwartbar wie der Reim „tear“ auf „fear“ streichen Geigen, wenn es tragisch wird. Dahinter fiept zuweilen Elektronik hinein in die balladeske Beliebigkeit von Take Thats schöner Welt.

Nur zwei Lieder stechen heraus. Zum einen Wooden Boat, ein überraschendes Liedermacherstück. Zum anderen Shine, eine verspätete Sommernummer im beschwingten Tanzrhythmus, die ein wenig nach einer Zeit klingt, da die vier noch schillernd über die Bühnen hopsten. Der Rest ist gefälliges Radiogedudel. Harmlose Lieder für Supermärkte, Großraumbüros und Umkleidekabinen.

„Beautiful World“ von Take That ist erschienen bei Universal

Hören Sie hier Ausschnitte aus dem Album

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Meat Loaf: „Bat Out Of Hell 3“ (Universal 2006)
Funny Van Dannen: „Uruguay“ (Trikont 1999)

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