Über die Jahre (10): Im August widmet sich der Tonträger Platten aus vergangenen Tagen. Heute: Wir schreiben das Jahr 1973, Herbie Hancock bricht mit „Sextant“ auf eine weitere Reise in die unendlichen Weiten des Elektrischen Jazz auf
Herbie Hancocks Sextant ist ein Juwel des Fusion-Jazz, eine einzigartig konsequente Verschmelzung von Jazz und frühelektronischen Klangexperimenten. Heute ist das Genre zum Synonym für selbstverliebtes Gegniedel und Gedaddel geworden. Bei Hancock ging es um Sinnlichkeit.
Der Beginn des ersten Stücks Rain Dance legt eine irreführende Spur in Richtung Studio für Elektronische Musik und Karlheinz Stockhausen. Analoge Synthesizer pluckern und tropfen einen Rhythmus. Sie klingen nach Weltraum, nicht nach Jazzkeller. Trompete, Bass und Schlagzeug kommen hinzu, alles ist wunderbar auskomponiert. Wenn Hancock schließlich mit seinem leichtfüßigen, eleganten E-Pianospiel Tupfer dazusetzt, steht das Stück in voller Blüte.
Neben Hancock wichtigster Teil des Sextetts ist Dr. Patrick Gleeson. Er bedient die ARP-Synthesizer, komplizierte Stecksysteme, die in Größe und Umfang Wohnzimmerschrankwänden in nichts nachstehen. Auf Sextant baut er Flächen und Klanglandschaften und harmoniert mit dem Rest der Band. Die Elektronik ist beim ihm kein Kunstgriff sondern integraler Bestandteil der Musik.
Das Ergebnis dieser Verschmelzung ist futuristisch. 1973 muss Sextant geklungen haben, als sei gerade ein Raumschiff vorbei geflogen. Entsprechend kritisch waren auch die Reaktionen. Dreiunddreißig Jahre später gilt das Album als Klassiker. Es ist aktuell, wegweisend und ein beeindruckendes Beispiel dafür, was entstehen kann, wenn man von bestehenden Rezepten abweicht und unterschiedliche Klangquellen mutig mischt.
„Sextant“ von Herbie Hancock ist erhältlich bei Columbia/Sony BMG
Hören Sie hier einen Ausschnitt aus „Rain Dance“
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