Über die Jahre (7): Im August widmet sich der Tonträger Platten aus vergangenen Tagen. Heute: Tim Hardins erstes Album von 1966, eine Sammlung sparsamer und schüchterner Lieder
Als Tim Hardin 1980 an seiner Heroinsucht starb, war ich gerade ein paar Monate alt. Seine wenigen Platten waren längst aus den Musikläden verschwunden, auf Flohmärkten gelandet oder in den Sammlungen eitler Liebhaber. Unbezahlbar waren sie allemal. Seine Lieder haben andere bekannt gemacht. Rod Stewart zum Beispiel, Scott Walker, Joan Baez und Bobby Darin. Über 20 Jahre vergingen, ehe ich Tim Hardins Musik kennen lernte. Auf einem Umweg.
Der Umweg hieß Christine. Wir fuhren morgens manchmal gemeinsam zur Universität mit Christines altem braunen Golf. Wir ließen Kassetten ins Radio schnappen und drehten laut auf, damit sie gegen das Fahrtgeräusch ankamen. Eines nebligen Frühlingsmorgens wartete Christine mit offener Tür an der Straße. Don’t Make Promises von Tim Hardins Album 1 drang aus den Türlautsprechern. Von einer rauschenden Chromkassette. Rückblickend ganz schön unwürdig.
Aber er nahm mich gefangen.
Vielleicht war es seine Beharrlichkeit. Sein zuweilen zittriges Tremolo. Seine sparsam angeschlagene Gitarre. Die Art, wie er „It will never happen again“ singt. Man muss es ihm glauben. Tim Hardin singt sparsam betextete Lieder. Oft so leise, als ob er niemanden stören wolle. Als singe er nur für sich. Man darf sich aber dazusetzen. Im Auto schwiegen wir uns durch die zwölf Lieder. Ich sah aus dem Fenster und wunderte mich, wie kurz das Album ist. Kaum ein Lied ist länger als zwei Minuten.
Die Lieder auf dem Album hat Tim Hardin in einem Zeitraum von 1964–1966 geschrieben. Eine Mischung aus Demos und neueren Aufnahmen. Hardins musikalische Entwicklung lässt sich deutlich erkennen. Die Einflüsse reichen von Blues über hemdsärmeligen Country bis zu zaghaften Rockballaden. Bei Ain’t Gonna Do Without swingt es sogar.
In diese kleine Welt von Tim Hardin finden nicht viele Instrumente Einlass. Eine schüchterne Mundharmonika, ein fernes Klavier. Sie wattieren seine Lieder lediglich, selten stehen sie im Vordergrund, wie die melodramatischen Streicher in einem seiner bekanntesten Songs Hang On To A Dream. Der einzige Song, in dem so etwas wie Kitsch aufkommt. Hardin war selten anwesend, wenn die Instrumente eingespielt wurden, sondern meistens betrunken oder anderweitig betäubt. Als er sein Album zum ersten Mal hörte, soll er einen Wutanfall bekommen haben.
Von den Streichern hörte ich im Auto nichts. Erst später, als Christine mir die Schallplatte vorspielte. Ein junger Mann in leuchtend rotem Hemd sitzt vor einem Fliederbusch und blickt mich an. Mit traurigen Augen. Ein paar Strähnen sind ihm aus dem Scheitel entwischt. Ob ich mir die Platte leihen könnte, fragte ich Christine. Sie lachte mich aus.
Das gleiche Lachen schallt mir heute oft entgegen, wenn ich in Plattenläden nach „der ersten von Tim Hardin“ frage. Immerhin schenkte Christine mir die Kassette.
„1“ von Tim Hardin ist erhältlich auf der bei Universal erschienenen Doppel-CD „Hang On To A Dream – The Verve Recordings“. Darauf vollständig enthalten sind auch seine beiden Alben „2“ und „4“
Hören Sie hier „Reason To Believe“
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(5) Chico Buarque: „Construção“ (1971)
(4) The Mothers of Invention: „Absolutely Free“ (1967)
(3) Soweto Kinch: „Conversations With The Unseen“ (2003)
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