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Sag niemals retro!

 

Amy Winehouse hat ihr die Band ausgespannt. Aber Sharon Jones hat sich wieder berappelt. Sie und ihre Dap-Kings machen Soul von gestern mit der Energie von heute.

© Laura Hanifin

Auf Amy Winehouse ist Sharon Jones nicht gut zu sprechen. Kein Wunder: Sie hat ihr die Begleitband ausgespannt. Während die Dap-Kings als Studiomusiker zum Erfolg von Back To Black beitrugen, Winehouse’ Welthit von einem Album, blieb die eigentliche Bandleaderin außen vor. Und wird sich dabei an den Spruch erinnert haben, den die Manager der großen Plattenfirmen ihr einst mitgaben, als sie sich in den achtziger Jahren verzweifelt um einen Plattenvertrag bemühte: Zu klein, zu fett, zu schwarz.

Damals hatte MTV die optische Erscheinung wichtiger gemacht als die Stimme. Der Effekt war, dass der Rhythm’n’Blues mit seinem kantenlosen Design die Musik verdrängte, der Sharon Jones schon als Kind verfallen war: Soul. Sie schlug sich mit Jobs als Geldtransportfahrerin und Gefängniswärterin durch, um nur gelegentlich für den Backgroundgesang ins Studio gebucht zu werden. Bei einer solchen Gelegenheit traf sie auf Gabriel Roth. Der junge weiße Bandleader der Dap-Kings war von ihrer Gospel-Verve begeistert. Und verpflichtete die aus Macon, Georgia, stammende Sängerin als Frontfrau.

Damals galt die Band aus Brooklyn noch als Angelegenheit für Sammler und Spinner, die nicht wahrhaben wollten, dass James-Brown-Gitarren, Stax-Bläsersätze und Conga-getriebener Funk nicht so recht ins Computerzeitalter passten. Doch gerade Sharon Jones’ Stimme sollte die weiße Hipster-Band aus der Nostalgieecke reißen, indem sie deren Hip-Hop-beeinflusste Zitaten-Musik mit einer ganz und gar gegenwärtigen Energie auflud.

Ihr erstes Album brachten die Dap-Kings noch unter dem Vorwand heraus, es handele sich um die Wiederveröffentlichung des Soundtracks zu einem Kung-Fu-Film aus den Siebzigern. Mit Jones am Mikrofon war das Versteckspiel nicht mehr nötig. Sie brachte es fertig, Otis Redding und James Brown gleichzeitig zu verkörpern, in einer Zeile Aretha Franklins Gospel-Schrei und in der nächsten Mavis Staples’ sinnliches Stöhnen zu zitieren, ohne dabei in den Ruch des Gestrigen zu kommen. Vielmehr vertiefte sie sich zusammen mit den Dap-Kings in die Soulgeschichte, um sie – getreu in den Details, aber einzigartig in der Rekombination – für eine nachwachsende Generation neu zu erzählen.

Auf ihrem aktuellen, vierten Album I Learned The Hard Way gelingt ihr das besser als je zuvor. Zwar nehmen die Dap-Kings immer noch mit analogem Equipment aus den sechziger Jahren auf. Dennoch winkt Jones energisch ab, wenn man von retro spricht: „Wir kopieren nicht. Sondern haben eine Old-School-Einstellung. Es geht darum, den Soul so zu machen, wie er sein sollte: schmutzig, kantig, warm!“

Dabei hat sich die Bandbreite der Souljünger aus Brooklyn hörbar erweitert: Sie drosseln das Tempo, lassen den Knüppel-Funk von einst außen vor und schaffen Raum für differenzierte Bläser- und Geigenarrangements. Zarte Vibrafonklänge legen sich über Mollakkorde. Und Jones entlockt ihrer dunklen Stimme mehr emotionale Nuancen als je zuvor.

Ob die 53-Jährige mit diesem Album endlich aus dem Schatten von Amy Winehouse heraustritt? Im Internet kursieren bereits Gerüchte über ein Duett der beiden. Die eine seit Jahren zwischen Drogenentzug und Knast hin und her gerissen, die andere mit ihren Erfahrungen als Gefängniswärterin: Es wäre eine Glanzstunde für ein Genre, das schon immer vom Remix des Alten lebte.

„I Learned The Hard Way“ von Sharon Jones & The Dap-Kings ist erschienen als CD, LP und Download bei Daptone.

Dieser Artikel wurde in der ZEIT Nr. 12/2010 veröffentlicht.